Nein, er sträubte sich nicht, der Elfjährige der Tochter, Münchner Huber-Gymnasiast mit Hang zu allem Zähl- und Messbaren. Im Gegenteil: Jonathan wollte entführt werden – in W. A. Mozarts „Entführung aus dem Serail“, eine von zwei Aufführungen der Bayerischen Staatsoper, die diese fürs Schul- und Familienprogramm ausgewählt hatte. Ein bisschen gezwungen werden müssen die Kids freilich, wenn`s um „Oper“ geht. Zu anspruchsvoll, zu langweilig, zu wenig lässig, fürchten sie. Außerdem viel zu spät – „dauert doch bis halb in die Nacht“. Eine Samstagnachmittags-Vorstellung, Beginn 17 Uhr, Einführung (nur für Kinder, Erwachsene bleiben draußen!) 45 Minuten vorher – das ließ sich Jonathan – „na ja“ – gefallen. Zumal Mama eine Pausen-Brotzeit einpackte und Opa ihn im Wagen bis knapp vors Loch, sprich: Nationaltheater, chauffierte.
Dort fand Jonathan sich freilich nicht nur unter seinesgleichen – ältere Leute und etliche ganz alte, so wie Opa, waren auch da. Die sahen lächelnd auf das Gespann Jonathan/Opa, rümpften nur die Nase, wohl weil der Kleine statt im weißen im Holzhacker-Hemd über der Jeans, und mit Brotzeit-Rucksack daherkam. „Etwa ein gutes Viertel“, mutmaßte Mathe-Freak Jonathan, wären Kinder da. Das fand er okay. Die „puren Kindervorstellungen“ mag er nicht. „Zu kindisch“, befindet er.
„Ziemlich viel Kindisches“ hätte die Inszenierung von Martin Duncan (Regie) und Ultz (Ausstattung) gehabt. Fand jedenfalls der auf einem gemieteten Staatsopernsitzkissen neben Opa platzierte Bub bei der Rückfahrt. Zu „krachert“ die bunten Sofa-Schaukeln. Zu „orientalisch“ der Riesenturban des Bassa Selim. Zu „gänsig“ die zwei „Weiber“ (Konstanze: Brenda Rae, Blonde: Rebecca Nelsen). Zu „nackert“ die jungen Eunuchen. Auf Jonathans Haben-Seite kamen „der fette Osmin“ (Peter Rose) zu stehen, der quirlige Pedrillo des Matthew Grills, und, ganz oben, der „spitzenklasse Belmundo oder wie der heißt“: der Belmonte des wirklich fabelhaften Daniel Behle.
Wer denn der Mann im schwarzen Anzug gewesen sei, der zum polternd-grölenden Schluss-Applaus auf die Bühne sprang? Opa: „Ivor Bolton. Der Dirigent“. – „Ach so, ja, der war auch toll, überhaupt, die Musik vom Mozart, bloß die lange Arie der einen da, der dünnen …“ (gemeint war die Konstanze alias Brenda Rae) – also, die „Martern-Arie“, die hielt Jonathan für übertrieben. Und zu hoch. Er hielt sich mal kurz die Ohren zu. Und packte Opas Hand, um sie zu kneten.
Die Erzählerin (Demet Gül) – ob der Kleine die eigentlich so überflüssig fand wie ein Kritiker der Premiere vor etlichen Jahren, wollte Opa wissen. Spontane Antwort: „Die Türkin? Die war krass. Und nett. Und hat alles gut erklärt. Hätt ich mir eigentlich die Einführung sparen können.“
Foto
Witzig (von Patrick Widmer) gezeichnet: Figuren aus Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“. Fundstelle: Kinder- und Jugendprogramm der Bayerischen Staatsoper. Foto: Hans Gärtner
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