Die Sache mit Israel von Richard C. Schneider

Liebeserklärung an Israel, durch differenzierte Töne sehr wirksam

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30 Seiten Eingangsessay bringt Richard Schneider – sehr informativ. Das ist angesichts der schnell wechselnden Nachrichten aber auch nötig. Seine Zeilen sind mit „Anfang März 2023“ datiert, und sie fallen damit in den Monat, an dessen Ende der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine umstrittene Justizreform verschoben hat. Dieses Buch – in seiner Entstehung mutmaßlich sehr eng mit dieser vom Autor deutlich kritisierten Reform verbunden – gewinnt dadurch zusätzlich an Aktualität.

Schneider erklärt verständlich, warum auch nach der „Denkpause“, die Natanjahu verordnet hat – wohl zuvörderst sich selbst –, diese Reform keinesfalls umgesetzt werden darf, und er steht damit ganz auf der Linie des israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog, dessen politischer Hintergrund in der Awoda zu suchen ist, dem israelischen Gegenstück zur Sozialdemokratie.

Fünf Fragen, die sich mancher Leser wohl für sich auch schon gestellt hat, wirft Schneider auf. Provokante Fragen. Zuerst geht es ihm um die Klärung, ob der Staat Israel überhaupt eine Demokratie sei. Das „Ja“, zu dem Schneider kommt, ist dabei intelligent, denn einerseits gelingt es ihm, einen weltweiten Vergleichskontext herzustellen, andererseits erklärt er, warum es eine demokratische, alle Menschen einschließende, und zugleich eine jüdische, bestimmte Gruppen ausschließende Kultur in Israel geben kann – und alles auf dem Boden einer Demokratie. Lernstoff!

In seiner zweiten Frage steigert Schneider die inhaltliche Spannung durch die Verwendung des Schlagwortes „Apartheid“. Dieses böse Wort kam von Amnesty International, und Schneider gibt, gut abgewogen, zu, dass manche Vorwürfe, die diese Menschenrechtsorganisation erhebt, durchaus eine Berechtigung haben. Doch unter Berücksichtigung der sehr differenzierten Verhältnisse in unterschiedlichen Teilen des Landes kann er dann – und jetzt wird’s spannend – den Spieß umdrehen. Demnach ist es nicht so, dass Israel insgesamt ein „Apartheidstaat“ sei, wohl aber so, dass Anmesty International teilweise antisemitisch argumentiert. Die ausführliche Begründung dafür – lesenswert!

Im dritten Kapitel kommen weitere, höchst aktuelle Fäden ans Tageslicht. Die BDS-Bewegung, vielfach verharmlost, kann Schneider als ihrerseits extremistisch, rassistisch und ausgrenzend brandmarken. Die Haltung dieser Bewegung, deren Namensgebung „Boykott, Disvestment, Sanctions“ für „Boykott, wirtschaftlichen Kontaktabbruch und direkte Strafen“ steht, sollte dringend verboten werden – in Deutschland und weltweit. Derlei Kritik an Israel müsste also nicht antisemitisch sein, ist es aber leider. Das legt Richard Schneider nahe, ohne es direkt zu fordern, durch Argumente. Intelligent – abermals sei es bemerkt!

Bei der vierten Frage, ob Israel als „fundamentalistischer Staat“ zu bezeichnen ist, kontert Schneider mit der Feststellung, dass es bereits lange vor der Gründung des Staates eine ansteigende und inhaltlich erneuerte Theologisierung der gesamten Frage der Siedlung jüdischer Menschen im Heiligen Land gab – dies einerseits. Andererseits legt er dar, wie zahlreich die Angriffe sind, denen sich unschuldige Menschen jüdischen Glaubens in Israel ausgesetzt sehen. Eine erkennbare Reaktion darauf kann nicht „Fundamentalismus“ sein – das erkennt die Leserschaft.

Bleibt schließlich die Frage aller Fragen: „Palästina den Palästinensern?“ – Nun, so formuliert Schneider nicht. Denn zweidimensionale, dumme Gedanken sind ihm völlig fremd. Vielmehr sucht und findet er auch hie die Zwischentöne. Die Möglichkeit, den Glauben auch ins Exil mitzunehmen, eine seit babylonischer Zeit in der jüdischen Kultur fest verankerte Erkenntnis, die letztlich dem Menschen die allumfassende Gestalt Gottes erstmals in der Kultur- und Religionsgeschichte vor Augen führte, ist Herausforderung und Gewissheit zugleich. Herausforderung für diejenigen, die der Thora nicht folgen. Gewissheit für diejenigen, die in Gott sind, in denen Gott ist. Oder, wie Richard Schneider schreibt: „Es geht um alles, das hat selbst David Ben Gurion gewusst.“

Nicht nur zum Staatsgeburtstag Israels, sondern auch zu einer eminent wichtigen innenpolitischen Debatte in Israel kommt dieses Buch gerade richtig. Doch so tagesaktuell und frisch es auch geschrieben ist, enthält es doch wichtige Hintergründe zum Nahostkonflikt an sich. Und eine gar nicht so sehr versteckte Liebeserklärung an den Staat Israel. Denn, so Schneider auf Seite 26: „So ist das letzte Wort über die Zukunft Israels noch lange nicht gesprochen. Aber selbst wenn die Justizreform durchgeht, selbst wenn die Extremisten erst einmal am Ruder bleiben – die Schlussfolgerung so mancher Antizionisten und Antisemiten, dass sich damit das ‚wahre Antlitz’ Israels zeige, dass man nun erkennen könne, wie Israel schon immer war, ist genauso falsch und verzerrt, wie daran zu glauben, dass Juden, nur weil sie einst Opfer waren, nichts falsch machen können.“ Gerade diese kritische Differenziertheit ist es, die Schneiders Liebeserklärung an Israel – nichts weniger ist dieses Buch – so glaubwürdig macht.

Über Sebastian Sigler 104 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.