Im Münchner Museum Fünf Kontinente hängen großformatige Fotos von Stéphan Gladieu: afrikanische Masken zwischen Mystik und Müll
Ein weitgereister Fotograf ist mit ungewöhnlichen, faszinierenden Aufnahmen erstmals in München kennenzulernen: Stéphan Gladieu, Jahrgang 1969, GEO-Lesern ein Begriff. In seiner Sonderausstellung hängen neueste Arbeiten, in zwei Zyklen aufgeteilt: „Egungun“, entstanden 2018/2020 und „Homo Détritus“ aus dem folgenden Jahr. Die Egungun-Masken fand er in der Republik Bénin, Westafrika, die Masken des 2. Zyklus sind Neuschöpfungen eines Künstler-Kollektivs der DR Kongo, Zentralafrika.
„detritus“ – dieser medizinische Begriff bezeichnet den Zellen- und Gewebe-Zerfall zu fauliger, gestaltloser Masse. In den Slums von Kinshasa entstand 2018, initiiert von Eddy Ekete Mombesa, das Kreativen-Kollektiv, das auf Deutsch „Das Leben ist schön“ bedeutet. Der gemeinhin unbrauchbare Müll – von Korken über Autoreifen bis zu Dosen und Flaschendeckeln – war den Künstlern Inspirationsquelle für Gestalt-Schöpfungen voller Phantasie und Expression, die eine politische Anklage enthalten. Die afrikanische Tradition der Maskierung wurde aufgegriffen: den Trägerinnen und Trägern von Kostümen wachsen durch die Verkleidung Kräfte des Spirituellen und Übernatürlichen zu. Damit einher geht die Absicht, Ungerechtigkeiten in der an sich reichen DR Kongo anzuprangern – mit Fotos und Figuren von „Kunststoff-Frauen“ und „Reifen-Männern“. Diese Inszenierungen stehen real im räudigen Umfeld eines gesellschaftlichen Verwesungsprozesses.
Im Zyklus „Egungun“, den der Besucher der leider wenig einladend „From Mystic to Plastic“ betitelten Sonderausstellung zuerst kennenlernt, treten lebensgroße Ganzkörper-Masken auf Fotos auf, die bei Performances verwendet werden, wo es im Kern um Ahnenverehrung geht. Diese verbindet sich mit den tiefen Verbeugungen vor den Vorfahren im Voodoo-Kult: Die sichtbare und unsichtbare Welt tritt in ein mystisches Zwiegespräch. Eine Erklärung, woher die Probleme kommen, die einem Menschen im Leben zusetzen, findet der „Egungun“-Geheimbund in der Vernachlässigung der Vorfahren. Es geht also darum, in Zorn geratene Ahnen zu beschwichtigen.
Stéphan Gladieu stellt sich vor eines seiner beeindruckendsten Fotografien, aufgenommen im sakralen Gehöft des Oberhauptes des Ahnenkults von Sakété, Bénin und erklärt: „Oft wird bei Problemen das Fa-Orakel aufgesucht, und der Orakel-Spezialist wirft Perlen oder Kokosnüsse auf ein Brett. So wird der Kontakt zu den Ahnen aktiviert.“
Von den zahlreichen Objekten – Fotos an den Wänden und „echte“ Figuren in den Glasschränken – berührt besonders die Fotografie einer „Maske“, die ein Baby als Geschenk auf den Armen hält. Ist das Gesicht eines Neugeborenen bei der Geburt von der Plazenta bedeckt, so gilt dieses Kind als ein wiedergeborener Vorfahr.
Kurator der Sonderschau ist Stefan Eisenhofer, Afrika-Experte des Museums Fünf Kontinente. Beide Gegenden, aus denen die meisterhaften Fotografien des Parisers Stéphan Gladieu stammen, hätten so viel miteinander zu tun wie Sizilien mit Norwegen. Beide Projekte belegen aber „die enorme Aktualität und die gesellschaftliche Relevanz von Maskenauftritten in vielen Regionen Afrikas“. Stéphan Gladieus Fotos stuft Eisenhofer als „imposante Dokumente der Vielschichtigkeit afrikanischer Lebenswirklichkeiten jenseits eurozentrischer Klischees“ ein. Damit regt er an, sich mit diesen exotischen, aber bekanntlich auch bei uns – etwa in den alpinen Perchten – heimischen Verkleidungsritualen zu beschäftigen. Möglich ist das bis 6. August, Di – So 9.30 – 17.30 Uhr.