Fahrende Musikanten treten jetzt im Bayerischen Nationalmuseum auf

Pfeifen aus dem letzten Loch

Die „drei herumziehenden Musikanten“ von Theodor Hosemann (1838) kamen 2022 ans Bayerische Nationalmuseum, Foto: Hans Gärtner

Fahrende Musikanten treten jetzt im Bayerischen Nationalmuseum auf – keine heutigen, sondern gestrige – in einer Studio-Ausstellung als Figuren, auf Bildern und mit seltenen Instrumenten

Na, was wird denn von diesen drei schrägen Gestalten zu hören sein? Ein Terzett von Klarinette, Cello und Fidel macht Halt in einem Hinterhof, um hier für ein paar Groschen aufzuspielen. Sie haben`s wohl nötig, so wie die aussehen! Wer hört ihnen zu? Der Berliner Genremaler Theodor Hosemann setzte 1838 den drei wohl nur ihm Bekannten ein Denkmal. Das Bayerische Nationalmuseum T(BNM) stellt das Bildchen an den Anfang seiner neuesten Studio-Ausstellung: „Straßenmusik. Fahrende Musikanten und ihre Instrumente“. Nur Musikanten? Musikantinnen gab es damals, ja schon seit dem frühen Mittelalter, auch. Kurator Sybe Wartena liefert selbst den Beweis – mit der Figurengruppe eines Bettler-Pärchens aus dem Grödner Tal, holzgeschnitzt und farbig gefasst, 18. Jahrhundert. Er drückt verstohlen die Drehleier an den Leib, sie hält das gewickelte Baby. Beide sehen bedrückt und geschreckt aus.

Arme Schlucker war das Gros der Straßenmusiker, sie pfiffen fast alle aus dem letzten Loch, ob im lauten Berlin oder im stillen Südtirol. Sie zogen, unaufgefordert, von der Not bedrängt, umher, um, als Gelegenheitsmusiker, für ein Almosen aufzuspielen, das ihnen den Lebensunterhalt sicherte, wenigstens zum Teil. „Eine soziale Spaltung“ zöge sich durch die Geschichte der Straßenmusiker“, ist Sybe Wartena überzeugt. „Soziale Differenzen“ dokumentieren ihre Instrumente: hier Sackpfeife und Drehorgel, dort mechanisches Hackbrett, dessen Spielweise der der Drehorgel ähnelt. Ebenso kann festgestellt werden: Hier kleine Ensembles, dort Einzelgänger.

Daran hat sich bis in unsere Tage kaum etwas geändert. Auf dem Münchner Odeonsplatz platziert sich sommers schon mal, am Eingang zum Hofgarten,  ein Pianist am Flügel, um seine Künste in Geld zu verwandeln – Zylinder in der Nähe, um den Einwurf im Auge zu behalten. Nah an der Treppe zur Feldherrnhalle geigt hurtig ein Mädchen im wallenden Haar, vor sich Noten Paganinis auf dem Ständer – eine „höhere Tochter“ vielleicht aus dem Norden, die aus Spaß auf die Straße geht und sich gerne der Öffentlichkeit zeigt.

Zu dem Jungfräulein passt der Fächer aus Elfenbein, Schwanenhaut und Seidenpapier mit zwei gemalten Musikanten, sie bearbeiten Zampogna und Ciaramella beziehungsweise Sackpfeife und Schalmei, Instrumente, die heute kein Mensch mehr kennt, geschweige denn zu spielen versteht.

Dem Kurator gelingt ganz nebenher, die Geschichte einiger Musikinstrumente mit der Entwicklung des fahrenden Künstlertums zu verbinden. Dabei ist ihm bewusst, dass es ohne Klangbeispiele anzubieten, nicht geht. Wie also „tut“ eine Drehleier? Wie ein chromatisches Tenorhackbrett, das sich mit einem Hochzeitsmarsch aus der „Bauernmusi“ von Raimund Zoder und Georg Preiß aus dem Jahr 1919 vernehmen lässt? Man kann sich das an der Audio-Station anhören. Die Studio-Ausstellung „wirft Schlaglichter auf ein Thema, dessen historische Dimensionen sich die wenigsten von uns beim Hören von Straßenmusik während eines Stadtbummels bewusst sind“, sagt Wartena.

Ein 100 Seiten starker Katalog, den BNM-Direktor Frank Matthias Kammel herausgibt, ist in Arbeit (8 €). Dauer der Schau: bis 7. Januar 2024, geöffnet täglich außer Montag von 10 bis 17 Uhr.

Die „drei herumziehenden Musikanten“ von Theodor Hosemann (1838) kamen 2022 ans Bayerische Nationalmuseum, Foto: Hans Gärtner
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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.