Nach allgemeinen demokratischen Erfahrungen wäre es sinnvoll, dass sich die SPD, die in der Nachkriegszeit nur zehn Jahre lang in Berlin nicht an der Regierung beteiligt war, in der Opposition neu aufstellen kann und die CDU eine Regierung bildet. Aber das ist kein Gesetz.
Tatsächlich hat der Berliner CDU-Spitzenmann Kai Wegner eine Chance, wenn er mit seinen Ankündigungen vom Wahlabend Ernst macht, „das gespaltene Berlin zusammen zu führen“, und mit den Grünen eine Übereinkunft findet. Ob er über das dafür erforderliche politische Format verfügt, wird in seiner eigenen Partei bezweifelt.
Das Berliner Wahlergebnis fordert die CDU auch im Bund, die eigene Partei aus einer Position relativer Stärke in der Opposition auf den Partner einzustellen, den sie in der absehbaren Zeit zur Bildung von Koalitionen braucht. Das ist nicht die SPD, die der Union – nicht nur, aber besonders in Berlin – vielleicht gefühlt am nächsten steht.
Ihr strategischer Partner sind zur Zeit die Grünen. Die Sicherung der Lebensbedingungen auf dem Planeten ist ein zentraler konservativer Wert, der beide Parteien verbindet. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine stimmen Union und Grüne auch in der aussenpolitischen Ausrichtung Deutschland weitgehend überein. Es geht ja nicht darum, dass die Union sich den Grünen programmatisch anzupassen hat, sondern sie muss ihr lieb gewonnenes Ressentiment gegen ihren grünen Lieblingsgegner überwinden.
Beide Parteien trennen mentale Fragen, bei Teilen der grünen Basis die traditionellen Anti-Rechts-Erregungen und bei vielen Unionspolitikern die Lust, vermeintlich lebensfremde grüne Vorstellungen zu verspotten. Als der grüne Parteichef Omnid Nouripour am Berliner Wahlabend ein Gespräch über Gemeinsamkeiten mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Jens Spahn versuchte, liess dieser ihn ins Leere laufen. Sein Parteichef Friedrich Merz weiss um die Herausforderung, mag sich aber nicht entscheiden.
Das Berliner Wahlergebnis bietet der CDU die Chance, einen historischen Kompromiss mit den Grünen zu finden. Sie wird diese grosse Stadt damit nicht versöhnen, aber sie könnte ihr etwas mehr innere Ruhe verschaffen. Da die CDU in einem schwarz-grünen Bündnis die deutlich stärkere ist, kann sie sich auch grössere Zugeständnisse leisten. Sie muss so weit gehen, bis es schmerzt. Denn anders als die Grünen hat sie keine Alternative. Daher wird es sich für die CDU immer rechnen, in Berlin und erst Recht als Perspektive für den Bund.
Kai Wegner kann in Berlin Geschichte schreiben. Unverhofft kommt nicht so oft.
Quelle: Franz Sommerfeld