Das Datum des 7. Dezember 2022 könnte – als deutsches Pendant zum Sturm der Trumpisten aufs Capitol am 6. Januar 2021 – in die Annalen der westlichen Demokratie eingehen. Wir sind vor einer weiteren deutschen Geschichtskatastrophe gerade noch einmal davongekommen. Einen Guy-Fawkes-Day als zusätzlichen Feiertag wird es in der Bundesrepublik jedoch nicht geben. Herbert Ammon kommentiert die Rettung der Republik vor den Reichsbürgern sowie das diplomatische Wirken der „Top-Eurocrat“ von der Leyen.
Mit Entsetzen und Dankbarkeit verfolgen wir die Nachrichten über den missglückten Putsch der um Prinz Heinrich XIII. Reuß gescharten Truppe von Reichsbürgern. Laut Innenministerin Nancy Faeser standen wir vor »einem Abgrund terroristischer Bedrohung«. Doch gerade noch rechtzeitig wurde die monarchistische Verschwörung mit einem veritablen Fürsten – aus dem von Kaiser Friedrich I. Barbarossa belehnten und zigmal geteilten thüringischen Herrscherhause Reuß – an der Spitze aufgedeckt und zerschlagen. Als überzeugter Demokrat hat sich der in Niederösterreich auf einem Schloss ansässige Chef des Hauses Reuß, Heinrich XIV., von der Aktion seines Nebenlinien-Namensträgers distanziert.
Das Datum des 7. Dezember 2022 könnte als deutsches Pendant zum Sturm der Trumpisten aufs Capitol am 6. Januar 2021 in die Annalen der westlichen Demokratie eingehen. Wir sind vor einer weiteren deutschen Geschichtskatastrophe gerade noch einmal davongekommen. Einen Guy-Fawkes-Day als zusätzlichen Feiertag wird es in der Bundesrepublik jedoch nicht geben.
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Angesichts der historischen Schwere der Ereignisse – vergleichbar dem gescheiterten Kapp-Putsch anno 1920 – geraten mindere Katastrophen der letzten Tage schnell aus dem Blick. Wir sprechen von zwei Episoden, die mit dem Namen der EU-Hochkommissarin Ursula von der Leyden verknüpft sind. Über den einen Fall berichtet die FAZ (vom 7. Dezember 2022, noch vor Bekanntwerden des Reußenschlags) unter der Überschrift »GW 950m hat das Pony Dolly getötet«. Die kryptische Ziffer bezieht sich auf den Wolf (m.), der bereits Anfang September auf der Koppel in Burgdorf-Beinhorn bei Hannover von der Leyens Lieblingspony riss, sprich: tötete und mindestens teilweise auffraß.
Das Wolfsthema gehört zu den – außer den Corona-Masken und den Gaspreisen – im Volke heiß diskutierten Themen. Laute Klagen über die grüne Wolfspflege kommen seit langem von Bauern mit offenem Weideland, von Pferdezüchtern und Schäfern, die über viel zu niedrige Entschädigungsgelder für ihre »gerissenen« Tiere ergrimmt sind. Einige Betriebe mussten wegen hoher Verluste bereits aufgeben. Doch selbst nach der »Beinhorner Tragödie« wehrt der grüne Umweltminister Christian Meyer Kritik in klassischem Green Speak ab: Nötig sei ein »offener, transparenter und am Ende zielführender Dialog zum Wolfsmanagement, zum Herdenschutz und zur Weidetierhaltung.«
Gleichwohl könnte von der Leyens Privatkatastrophe noch eine Revision der grünen Wolfsschutzpolitik erzwingen und eine Koalitionskrise nach sich ziehen. Denn es ist – bislang nur über die »sozialen Medien« – zu erfahren, dass die Präsidentin der EU-Kommission dabei ist, auf eine Änderung des bislang gerade auch von Brüssel vertretenen Jagdverbots für die Europas Fauna bereichernden Wölfe zu dringen.
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Von anderer Qualität ist eine – dank umfassenden Stillschweigens in den Medien – gerade noch vermiedene, von Kommissionspräsidentin von der Leyen höchstselbst bzw. von ihrer (mutmaßlich ungegenderten) Redenschreiberin verursachte diplomatische Peinlichkeit. Sie steht in der – in den Geschichtsbüchern meist mit Wilhelminismus assoziierten – den Deutschen allgemein zugeschriebenen Tradition mangelnden diplomatischen Feingefühls. (Adnote: Anders als Wilhelm II. mit seiner »Hunnenrede« behandeln Historiker seinen Zeitgenossen und vermeintlichen Freund Teddy Roosevelt und dessen »Big Stick«-Rhetorik meist mit nachsichtigem Lächeln.)
Am 3. Dezember 2022 hielt von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin im irischen Parlament (Dáil und Seanad) zu Dublin eine Rede anlässlich des bevorstehenden 50. Jahrestags des Beitritts der Republik Irland zum damals noch lose geeinten (West-)Europa. (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_22_7347). In ihrer mit ein paar gälischen Einsprengseln verzierten Rede lobte die Chef-Europäern die enge Verbundenheit der Insel mit Europa, wie sie in dem EWG-Referendum anno 1973 und zuletzt im same-sex-marriage-Referendum zum Ausdruck gekommen sei. Dass die Iren im Juni 2008 den Lissabon-Vertrag der EU bei einem ersten Referendum durchfallen ließen, blieb in der Laudatio unerwähnt.
Umso mehr betonte von der Leyen den irischen Freiheitswillen als nationalspezifischen Beitrag zur europäischen Wertgemeinschaft. Sie rühmte die »heroes of the Easter Rising« (anno 1915), wobei sie indes den Hinweis unterließ, dass die Freiheitshelden im General Post Office vergeblich auf deutsche Hilfe und Waffen aus dem von der britischen Marine zerstörten Schiff gehofft hatten. Stattdessen schlug sie den Bogen von der tief verwurzelten irischen Freiheitsliebe zum aktuellen Freiheitskampf der Ukraine.
Der Eklat in England über derlei Geschichtsbild erfolgte prompt. Der führende Brexiteer Jacob Rees-Mogg meinte milde: »It is an extraordinary thing for Ursula von der Leyen to say, undiplomatic, unwise and wrong.« Die »Daily Mail« benannte den möglichen diplomatischen Schaden der Geschichtslektion der »Top Eurocrat«: »Her comments threatened to sour relations amid talks over renegotiating the post-Brexit Northern Ireland protocol trading arrangements.« Der »Daily Express« titelte in offener Empörung: »›How dare she!‹ Von der Leyen condemned for likening IRA to Ukraine freedom fighters«.
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Der deutschen Politik, erst recht der medialen Öffentlichkeit war von der Leyens Auftritt in Dublin keinen Kommentar wert. Wichtigere Themen der vergangenen Tage waren Faesers Binde und künftiges Flüssiggas aus Qatar, seit dem 7. Dezember der gerade noch verhinderte Umsturz. Obenan steht jetzt wieder der »Kampf gegen rechts«.
Quelle: Globkult