„Lieber Gott, mach mich dumm, Denken tut so weh.“ (P. Parnass)

Kindheit – sich um nichts Sorgen machen, schnell und einfach Freundschaften knüpfen, nach einem Streit sofort wieder versöhnen ohne langes hin und her, sich nicht mit der Mutter streiten und auch nicht den Streit der Erwachsenen mitkriegen. Unbeschwert einfach in den Tag hineinleben und nur das Gute in der Welt sehen, weil man das Schlechte noch nicht versteht. Über allem schwebt die schützende und behütende Elternliebe, die Basis fürs Glücklichsein. Doch was ist, wenn einem dieses Kindsein rigoros verwehrt wurde? Ausgesperrt, weil man zur „falschen“ Zeit, am „falschen“ Ort, in eine „falsche“ Familie geboren und die Eltern einem viel zu früh entrissen wurden?

Die Eltern von Peggy Parnass waren Juden. Beide wurden im Vernichtungslager Treblinka von den Nationalsozialisten ermordet. Um ihr und ihrem Bruder das gleiche Schicksal zu ersparen, schmuggelt man sie aus dem bereits schon zur Abfahrt vorgesehenen Zug und bringt sie mit einem Kindertransport nach Schweden. Beide überleben, doch zu welchem Preis? Während der folgenden sechs Jahre – Peggy war bei der Trennung von ihren Eltern gerade einmal fünf, ihr Bruder ein Jahr jünger, lebt sie in zwölf verschiedenen Pflegefamilien, bevor sie kurz vor Ende des Krieges zu ihrem Onkel nach London kommt, der als einziger der Familie durch Flucht überlebt hatte.

Nun hat die charismatische Schauspielerin, Kolumnistin, Gerichtsreporterin und Autorin, die am 11. Oktober 2014 80 Jahre alt wurde, ein wundervolles Buch für Kinder ab 12 Jahren geschrieben. So dramatisch ihre Kindheit endete, ja eigentlich nie richtig begann, so unprätentiös und zwanglos, so humorvoll und gelöst erzählt sie in dem vorliegenden Buch darüber: „Natürlich habe ich gleich ja gesagt, als es um Kindheitserlebnisse ging. So wie ich immer viel zu schnell ja sag, wenn ein Thema mich reizt. Erst hinterher fiel mir ein, dass ich nie Kind war. Vielleicht jetzt inzwischen bin ich's. Gelegentlich. (…) Komisch – einerseits nie Kind, andererseits nie erwachsen.“

Voller Liebe und reich an Metaphern lässt sie darin ihre halbportugiesische Mutter mit den wuschelig krausen, schwarzen Haar und den seidenweichen Händen wie Lilien wieder lebendig werden. Sie erinnert sich an ihr ansteckendes Lachen und ihre Stimme. Beinahe wie beiläufig und immer ein wenig verschmitzt taucht ihr polnischer, spielsüchtiger Vater Pudl auf, der das kesse, pfiffige, zuweilen besserwisserische Mädchen mit den langen, goldblonden Haaren und den verträumten Augen gern zu seiner Komplizin macht, weil diese nicht auf den Mund gefallen war. Dieses Unverkrampfte und Resolute hat sich die Autorin wohl bis heute bewahrt und dies rettete ihr wohl auch das Leben, das jeden Grund gehabt hätte, in tiefsten Depressionen zu versinken oder mit schwersten seelischen Störungen gezeichnet zu sein.

Begleitet von den lustigen und detailreichen Holzschnitten der Brasilianerin Tita de Rêgo Silva, deren Figuren zumeist tierischer Natur sind und die oftmals von zahlreichen floralen Elementen gerahmt und umrankt werden, ist ein unglaublich intensives, emotional-gefühlvolles, aber auch munteres und durchaus unkompliziert, schlicht und geradlinig zu nennendes Buch für junge aber auch erwachsene Leser entstanden. Eine Hommage an ihre Eltern, deren liebevolle Obhut Peggy Parnass nur ganze fünf Jahre genießen durfte: „Also kein Grab und keinen Grabstein. Aber jetzt dieses wunderbare Buch zu ihren Ehren.“

Peggy Parnass, Tita do Rêgo Silva
Kindheit
Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete
Fischer KJB Verlag (September 2014)
80 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3596856728
ISBN-13: 978-3596856725
Preis: 14,99 EUR

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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