Freud. Adler. Frankl. Die Wiener Welt der Seelenforschung

Lausbergs Buchtipp

Hannes Leidinger/Christian Rapp/Birgit Mosser-Schuöcker: Freud. Adler. Frankl. Die Wiener Welt der Seelenforschung, Residenz Verlag, Wien/Salzburg 2022, ISBN: 978-3-7017-3566-2, 28 EURO (D)

Sigmund Freud, Alfred Adler, Viktor Frankl – herausragende Größen des Wiener Geisteslebens, die innerhalb kurzer Zeit die Wissenschaft der Seelenforschung revolutioniert haben. Sie wurden zu den Gründungsvätern bis heute maßgeblicher Theorien und Behandlungsmethoden: der Psychoanalyse, der Individualpsychologie und der Logotherapie. Aus welchen sozialen Milieus stammten sie, welches familiäre Umfeld hat sie geprägt und wie sahen ihre beruflichen Netzwerke aus? Die Autor*innen erzählen auf spannende Weise eine hundertfünfzigjährige Kultur- und Wissenschaftsgeschichte und beleuchten dabei auch die komplizierten Beziehungen zwischen diesen drei Persönlichkeiten. Sowohl die Gemeinsamkeiten als auch kontroverse Positionen werden zueinander in Beziehung gesetzt.

Außerdem betont das Buch die Auseinandersetzungen der drei mit den politischen Umständen ihrer Zeit wie Nationalsozialismus, Antisemitismus und der beiden Weltkriege, was von den dreien in Bezug auf Spielräumen, Verantwortlichkeiten des menschlichen Handelns und Verarbeitungsformen des Erlebten anders interpretiert wurde.

Nach einem kurzen Vorwort zur Herangehensweise des Buches stellt Verena Moritz Eckdaten des Lebens von Sigmund Freud vor. Danach beschäftigt sich Hannes Leidinger mit Freuds Theorien und Schriften. Dasselbe passiert in dem Beitrag von Christian Rapp über Alfred Adler. Die Logotherapie und die besondere Biografie von Viktor Frankl wird danach von Birgit Mosser-Schuöcker dargelegt.

In einem Gespräch zwischen den Herausgeber*innen und in Bezugnahme auf wichtige Werke werden zum Schluss noch Zusammenhänge, Unterschiede, Bezüge und Kontinuitätslinien sichtbar gemacht.

Ausgangspunkt ist schon aufgrund der Chronologie Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse. Der jüngere Alfred Adler praktizierte als Arzt unmittelbar in geografischer Nähe des Geburtshauses von Viktor Frankl. Adler kam als Wiener Intellektueller und Psychologe natürlich nicht an der Auseinandersetzung mit Freud und seinen Lehren vorbei. Er nahm um die Jahrhundertwende an regelmäßigen Diskussionsrunden mit Freud teil. Je mehr Adler seine Individualpsychologie ausarbeitete, desto größer wurden die Konflikte mit Freud, so dass es 1911 zum Bruch kam. Adler wurde aus dem Kreis um Freud ausgeschlossen.

Frankl selbst hatte in frühen Jahren regen Kontakt mit Adler und seinem Kreis. Mit Freud gab es einen Briefwechsel. Er setzte sich aber kritisch mit beiden Theorien auseinander und entwickelte in der Folge Fragen nach dem Sinn. Frankl begründete mit der Logotherapie und Existenzanalyse eine anthropologische Theorie und psychologische Behandlungsform in den 1920er Jahren. Dieser Ansatz nimmt in besonderer Weise die geistige Dimension des Menschen in den Blick nimmt und betrachtet sein existenzielles Streben nach Sinn im Leben als dessen primäre Motivationskraft. Frankl wurde 1927 nach heftiger Kritik durch Alfred Adler aus der Gesellschaft für Individualpsychologie ausgeschlossen.

Die Endnoten sind allerdings kaum zu lesen, da eine zu kleine Schriftgröße gewählt wurde.

Das Konzept der Trennung und Gemeinsamkeit der Beiträge ist gelungen. Jeder der drei wird als eigenständiger Denker gesehen und Unterschiede sichtbar gemacht. Dies war aber ohne die kritische Auseinandersetzung mit den jeweils anderen Theorien kaum möglich. So werden in den einzelnen Beiträgen einige Verbindungslinien sichtbar, vor allem im abschließenden Gespräch. So kann die fruchtbare Abgrenzung und Kooperation dieser drei eigenwilligen Denker gut nachvollzogen werden.

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Über Michael Lausberg 572 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.