Carlo Naya, Blick auf San Giorgio von der Galerie des Dogenpalastes,
um 1865, Albuminpapier, 31,8 x 26,1 cm
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen/Sammlung Dietmar Siegert
Ausstellung:
Venedig sehen… Malerei des 18. Jahrhunderts – Fotografie vor 1900
aus der Sammlung Dietmar Siegert
Eröffnung: 08.10.2014, 19.00
Ausstellungsdauer: 09.10.2014-02.02.2015
Eine spektakuläre Erwerbung für die Neue Pinakothek
Die Neue Pinakothek ist nicht nur ein Haus der Malerei und der Skulptur des 19. Jahrhunderts, sondern künftig auch der Fotografie: In einer großartigen mäzenatischen Initiative hat der Pinakotheks-Verein gemeinsam mit der Ernst von Siemens Kunststiftung und dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband die bedeutende Sammlung italienischer Fotografien des Münchner Sammlers Dietmar Siegert erworben und sie der Neuen Pinakothek als Dauerleihgabe übergeben. Dort verstärkt sie entscheidend einen der großen Schwerpunkte der Sammlung: die romantische Italiensehnsucht, eine der tragenden Säulen der Neuen Pinakothek seit den Tagen Ludwigs I.. Zugleich eröffnet sie eine neue Perspektive für dieses Haus. Die Fotografie tritt als gleichberechtigtes bildkünstlerisches Medium neben Malerei und Skulptur und ermöglicht damit einen umfassenden Blick auf die Epoche des 19. Jahrhunderts.
Die rund 9500 Fotografien umfassende Italiensammlung von Dietmar Siegert ist eine der umfangreichsten und bedeutendsten privaten Sammlungen dieser Art. Sie dokumentiert in einzigartiger Weise die Entwicklung der Fotografie in Italien von den Anfängen in den 1840er Jahren bis in die Zeit um 1900. Nicht nur die großen kunst- und kulturhistorischen Zentren wie Venedig, Florenz, Rom und Neapel sind mit einer überwältigenden Vielzahl von Aufnahmen vertreten, sondern auch entlegene Regionen und Orte, von denen es oftmals überhaupt nur sehr wenige Fotografien aus dieser frühen Zeit gibt.
Die Sammlung umfasst die bedeutendsten in Italien tätigen Fotografen in teils umfangreichen Konvoluten: etwa Giacomo Caneva (1813-1865), der zu den interessantesten und facettenreichsten Akteuren in Rom gehört und von dem mehr als einhundert seiner raren, sehr gesuchten frühen Kalotypien vorhanden sind; James Anderson (1813-1877), wie Caneva zunächst Maler, als Fotograf dann zusammen mit Robert MacPherson (1814-1872) stilprägend für die frühe römische Architektur- und Landschaftsfotografie; oder Domenico Bresolin (1813-1900), dessen frühe Venedig-Fotografien zu den schönsten Architekturaufnahmen der Zeit gehören, auch er mit mehr als einhundert Aufnahmen in der Sammlung vertreten. Einen eigenen, umfangreichen Sammlungskomplex bilden die Fotografien von Giorgio Sommer (1834-1914), der, aus Frankfurt am Main stammend, sich in Neapel niedergelassen und von dort aus ein Bildkompendium vor allem des italienischen Südens und Siziliens geschaffen hat. In der Sammlung Siegert ist das Werk Sommers mit mehr als 2000 Fotografien in einzigartiger Breite dokumentiert. Hinzu kommt eine große Zahl reisender Fotografen aus England, Frankreich und Deutschland, darunter Pioniere der frühen Fotografie wie Calvert Richard Jones (1802-1877), von dessen sehr seltenen, während seiner Italienreise 1845/46 entstandenen Kalotypien sich drei in der Sammlung befinden.
Weitere Aufnahmen zeigen historische Ereignisse, darunter einige besonders seltene Aufnahmen von den Schlachtfeldern Giuseppe Garibaldis von Stefano Lecchi (1804-1859/63) als früheste Beispiele der Kriegs- und Reportagefotografie (1849!). Die Sammlung insgesamt besitzt eine enorme kulturgeschichtliche Bedeutung, nicht nur als Bildkompendium der Landschaften und Städte sowie der Geschichte Italiens, sondern auch für die Entwicklung des fotografischen Italienbildes, das die Wahrnehmung dieses Landes geprägt und auch die Selbstwahrnehmung seiner Bewohner beeinflusst hat.
Die Erwerbung bindet nun diese außergewöhnliche Sammlung dauerhaft an die Neue Pinakothek, die, wie auch die Sammlung Schack, mit den Werken der Nazarener, der romantischen Landschaftsmalerei und der Kunst der Deutsch-Römer seit den Tagen ihrer Gründung einen ausgeprägten Italienschwerpunkt und damit vielfältige Anknüpfungspunkte für die Einbindung der Fotografie besitzt.
Die Erwerbung der Sammlung Siegert markiert einen neuen Höhepunkt des Engagements des Pinakotheks-Vereins und beschert der Neuen Pinakothek den bedeutendsten Zuwachs ihrer Bestände seit Jahrzehnten. Die Ernst von Siemens Kunststiftung bekräftigt mit ihrem Anteil an der Förderung ihren fortwährend hohen Einsatz zugunsten der Münchner Pinakotheken. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband setzt mit seinem Beitrag die bereits seit Jahren gepflegte Förderung der künstlerischen Fotografie fort.
Fotografie in der Neuen Pinakothek
Die Fotografie besitzt in der Neuen Pinakothek eine Tradition, die bis in die Gründungszeit des Museums zurückreicht. Bereits zu Zeiten Ludwigs I. waren im sogenannten Vedutensaal Fotografien aus Italien und Griechenland neben gemalten Ansichten aus den Mittelmeerländern ausgestellt,.
Im Verbund der Münchner Pinakotheken bedeutet die Erwerbung der Italiensammlung von Dietmar Siegert eine weitere Stärkung des Schwerpunkts Fotografie, der bisher allein der Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts in der Pinakothek der Moderne gegolten hat. Mit der Erwerbung der Italiensammlung von Dietmar Siegert besitzen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nun auch einen kostbaren Schatz an Fotografien des 19. Jahrhunderts. Dass dieser Zuwachs im Jahr des 175. Jubiläums der Erfindung des fotografischen Verfahrens durch Louis Daguerre gefeiert werden kann, ist dabei eine schöne, glückliche Fügung.
Die Ausstellung: »Venedig sehen…«
In der Neuen Pinakothek werden die Fotografien der Sammlung Siegert künftig in wechselnden Präsentationen in den Dialog mit Gemälden der Sammlung treten. Den Anfang macht ab dem 9. Oktober eine Schau unter dem Titel »Venedig sehen…«, in der venezianische Veduten des 18. Jahrhunderts aus der Alten Pinakothek mit frühen Venedig-Fotografien gezeigt und damit vergleichende Perspektiven auf die Serenissima aus den Blickwinkeln unterschiedlicher Medien und Epochen ermöglicht werden. Die gemalten Veduten und die Fotografien sind nicht nur durch gemeinsame Motive wie Canale Grande oder Rialtobrücke miteinander verbunden: Die Camera obscura als technische Vorrichtung, die mittels einer optischen Linse das Bild der Außenwelt auf eine Fläche projiziert, ist sowohl Ahnherrin der Fotografie als auch instrumenteller Ausgangspunkt für die berühmten Stadtansichten Canalettos oder Bellottos.
Während Guardi und Marieschi in ihrem Gemälden aber das lebendige Treiben einer pulsierenden Stadt betonen, entsteht in den Aufnahmen der Fotografen Domenico Bresolin, Antonio Perini, Carlo Ponti und Carlo Naya ein anderes Venedigbild: Die einstige Metropole der früheren Adelsrepublik erscheint als eine dem Verfall preisgegebene Kulisse aus historischen Monumenten. Im Fokus auf das ausgewählte Detail, in der Erkundung unterschiedlicher Lichteffekte und der Wahl ungewöhnlicher Blickwinkel wird bei aller dem Medium eigenen Abbildfunktion ein eigener ästhetischer Anspruch erkennbar. Venedig war – das belegen Gemälde und Fotografien – nicht nur ein faszinierendes und unterschiedlich interpretierbares Bildtthema, sondern immer auch Anreiz zur kreativen Erprobung der künstlerischen Möglichkeiten des jeweiligen visuellen Mediums.
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