„Georg Elser war ein Anti-Held“ – Wer war der Mann, der am November 1939 Hitler töten wollte?

Georg Elser

In der Galerie deutscher Widerstandskämpfer führte er lange ein Schattendasein: Georg Elser. Wer war der Mann, der am November 1939 Hitler töten wollte? Ein Mann mit Eigensinn und Mut in einem Ozean von Konformismus und Fanatismus, sagt Helmut Ortner. Er hat ein Buch über den Hitler-Attentäter geschrieben.

Ist Georg Elser für Sie der größte Held des deutschen Widerstands? Wo steht er Ihrer Meinung nach im Vergleich zu Stauffenberg oder den Geschwistern Scholl?

„Ich tue mich mit dem Helden-Begriff schwer, weil ich mit großem Misstrauen auf alles reagiere, was mit Pathos und Opfergeist verbunden wird.  Helden-Figuren werden ja häufig ideologisch und moralisch überhöht – sie sind immer auch Blendwerk der Propaganda und Projektion.

Die streitbare italienische Journalistin Franca Magnani hat einmal gesagt: »Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es brauchen… «.

In der Galerie deutscher Widerstandskämpfer führte Georg Elser jedenfalls lange Jahre ein Schattendasein. Anders als der vier Jahre ältere Graf von Stauffenberg eignete er sich nicht für die Rolle des staatlich verklärten Helden. Hier der gebildete Offizier, der zunächst den Verheißungen des NS-Regimes vertraute, engagiert mitgemacht hat und erst später umgekehrt ist, dann aber entschieden zur Tat schritt. Dort der stille, zurückhaltende Schreinergeselle Elser, der bereits 1939, als Millionen Deutsche dem Führer zujubelten, den mörderischen Charakter des Regimes erkannte und den Entschluss zum Attentat fasste.

Er bastelte eine Bombe, doch sein geplanter Anschlag misslang. Hitler beendete im Münchner Bürgerbräukeller seine Rede früher als geplant.  Der Historiker Joseph Peter Stern nannte Elser einmal einen »Mann ohne Ideologie«. Für mich ist er ein »Anti-Held«

Was hat Sie schon vor Jahren motiviert über ihn zu forschen und ein Buch über Georg Elser zu schreiben?

Vor mehr als 30 Jahren besuchte ich eine Ausstellung im Berliner Gropius- Bau. Thema: Widerstand in der Hitler-Diktatur. Ein Foto fiel mir damals besonders auf: das Portrait eines Mannes mit hellem, aber uneitlen Blick – Georg Elser. Ein einfacher Schreinergeselle, der keiner Widerstands-Gruppe oder einem und oppositionellen Milieu angehörte, der aber in der Nazi-Politik bereits 1939 eine große Gefahr sah. Er litt an dem, was um ihn herum, unter dem Jubel seiner Landsleute, Bann brach…

Sein Gerechtigkeitssinn, gab ihm die Energie, über ein Jahr lang mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit den Anschlag zu planen und vorzubereiten …“

Sie begaben sich auf Spurensuche …

„Ja, mich interessierte und faszinierte dieser Mann. Wer war dieser unscheinbare Attentäter? Was trieb ihn an? Also fuhr ich nach Königsbronn, seinem Heimatort hoch oben auf der Schwäbischen Alb. Ich suchte nach noch lebenden Zeitzeugen – und traf seinen noch ehemaligen Jugendfreund Eugen Rau und seinen damals noch lebenden Bruder Leonhard.

Ich erkannte: Elser war alles andere als ein idealistischer Spinner, sondern ein Mann mit Eigensinn und Mut in einem Ozean von Opportunismus. Also beschloss ich, weiter zu recherchieren – und ein Buch über ihn zu schreiben…“

Ihr Buch erzählt faktennah die Lebensgeschichte Elsers, es beschreibt die Planung und Vorbereitung seines Attentats, seine Verhaftung, seine jahrelange Inhaftierung, schließlich seinen Tod. Wie ist es aus Ihrer Sicht zu erklären, dass Georg Elser das Attentat so minutiös plante, aber bei seiner Flucht sich so leichtfertig in Gefahr gebracht? Mit belastenden Dokumenten wurde er noch   Abend des gescheiterten Attentats beim Versuch, bei Konstanz sich in die Schweiz abzusetzen, verhaftet ….

„Elser wog sich in trügerischer Sicherheit, der Übertritt über die sogenannte grüne, nicht bewachte Grenze zur Schweiz, sei kein allzu großes Problem. Eine leichtfertige, ja naive Einschätzung … – er wurde von Grenzpolizisten gestellt und der Gestapo überstellt. Elser war ein handwerklicher Tüftler, aber kein planender Stratege – das wurde ihm zum Verhängnis… “

Wird seine Tat heute angemessen gewürdigt?

„In der Nachkriegszeit wurde Georg Elser lange ignoriert ­­– und zwar von allen Seiten. Eder Mann war eine Herausforderung – nicht nur für seine Heimatregion – auch für die Deutschen. Im Land der Täter wollte sich niemand gerne an jene erinnern, die gegen die Nazi-Barbarei Widerstand leisteten. Die meisten wollten von Kriegsverbrechern, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von den NS-Verstrickungen, kurz: vom moralischen und zivilisatorischen Desaster Hitler-Deutschlands, nichts mehr wissen. Es herrschte kollektives Beschweigen…. Elser erinnerte daran, dass ein einfacher Mann aus dem Volke sich zu einer weltgeschichtlichen Tat aufraffen konnte. Er strafte all jene Lügen, die sich weiterhin einredeten, sie hätten dem Terror des NS-Staates nichts entgegensetzen können. Seine Tat beschämte viele Deutschen.

Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Heute sind Straßen, Plätze und Schulen in ganz Deutschland nach ihm benannt; in seinem Geburtsort Königsbronn gibt es ein kleines Elser-Museum. In Berlin und München ­ erinnern öffentliche Installationen und Skulpturen an Elser.  Die Deutsche Post brachte eine Gedenk-Briefmarke heraus … Er erfährt nun die Würdigung, die ihm lange  allzu lange verwehrt wurde … “

Wie nimmt das Ausland die historische Figur Elser wahr? Kennt man seinen Namen?

„Das Bild des deutschen Widerstands wird im Ausland vor allem von den Geschwistern Scholl und von Graf Stauffenberg geprägt. Ich habe versucht, etwas dazu beitragen, dass sich der Blick auf die Geschichte des Widerstands gegen die Nazi-Diktatur auch auf Menschen weitet, die sich keiner der bekannten Widerstands-Gruppen zugehörig fühlten. Elser war so ein Einzelgänger. ­ Und es freut mich, dass mein Elser-Buch in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, gerade ist eine Übersetzung in Japan erschienen.  Menschen wie Georg Elser erinnern uns daran, dass Haltung und Zivilcourage wichtige und notwendige Tugenden sind.

Heute heißt das:  sich gegen nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut, gegen grassierende Gleichgültigkeit und wissende Ignoranz sich zu engagieren, denn es gibt eine Verpflichtung: die des Erinnerns.“

Interview: Lea Holst-Zwanziger

Buchhinweis:

Helmut Ortner

GEORG ELSER ­– ALLEIN GEGEN HITLER

Nomen Verlag

248 Seiten, 22 Euro

Georg Elser, Bildrechte Helmut Ortner
Über Helmut Ortner 96 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.