Die Diskussion über eine Dienstpflicht tut unserem Land gut

bundeswehr soldat kireg camouflage militär armee, Quelle: Daniel6D, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Von Mitte 1956 bis Mitte 2011 galt in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht. Alle männlichen deutschen Staatsbürger waren gesetzlich verpflichtet, in den Streitkräften Wehrdienst zu leisten. Seit 2011 ist die Einberufung zum Grundwehrdienst nur noch im Spannungs- oder Verteidigungsfall vorgesehen, die allgemeine Wehrpflicht ist seit nunmehr 11 Jahren ausgesetzt.

Der Krieg in der Ukraine hat unsere Sicht auf eine potenzielle Bedrohung unserer Freiheit und unserer territorialen Integrität verändert. Krieg ist nicht mehr nur möglich in Europa, er findet seit fast einem halben Jahr statt. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft, und die Bevölkerung blickt sorgenvoller denn je in die Zukunft. In einer solchen Zeit suchen junge Menschen nach Orientierung, auch im Hinblick auf ihren persönlichen und beruflichen Werdegang. Da kann es nicht überraschen, dass sowohl über die Wehrpflicht als auch über ein verpflichtendes soziales Jahr erneut diskutiert wird. Gerade in der jungen Generation gibt es sowohl für die Wehrpflicht als auch für ein soziales Jahr ein hohes, wenn auch nicht ungeteiltes Maß an Zustimmung. Der Bundespräsident sah sich vor einigen Wochen veranlasst, einen Pflichtdienst in Deutschland für alle junge Menschen zu fordern.

Die Diskussion über eine Dienstpflicht tut unserem Land gut

Die CDU wird voraussichtlich auf ihrem nächsten Bundesparteitag Anfang September in Hannover ebenfalls über dieses Thema diskutieren. Allein die Diskussion über eine Dienstpflicht tut unserem Land gut, denn sie lässt erkennen, dass große Teile der Bevölkerung über alle Altersgruppen hinweg Sympathie haben für einen solchen Dienst. Die Bindung an unseren Staat und unsere Gesellschaft ist bei vielen doch sehr viel ausgeprägter, als dies die veröffentlichte Meinung gemeinhin erkennen lässt. Aber es gilt auch, Argumente abzuwägen und in die Diskussion einzubeziehen, die eine allgemeine Dienstpflicht kritisch sehen.

Zunächst ist ein rein quantitatives Argument zu beachten: Ein Jahrgang umfasst in Deutschland gegenwärtig rund 700.000 Menschen. Und da Frauen – anders als bei der früheren Wehrpflicht – natürlich einbezogen werden wollen und müssen, sprechen wir über einen sehr hohen administrativen Aufwand, um Jahr für Jahr eine Dienstpflicht, wo immer sie dann auch abgeleistet wird, zu organisieren. Die Bundeswehr, die früher nur rund die Hälfte eines Jahrgangs, nämlich die Männer, erfassen musste, verfügt heute über keinerlei Strukturen mehr, um wenigstens Teile aller potenziell Dienstpflichtigen zu erfassen und aufzunehmen. Gleiches gilt für alle denkbaren weiteren Institutionen wie das THW, das Deutsche Rote Kreuz, die karitativen Organisationen und viele andere, die als Anbieter zur Ableistung einer Dienstpflicht in Frage kommen würden.

Nun ließe sich ohne Zweifel ein rein administratives Hindernis – wenn auch mit hohem Aufwand – überwinden, wenn denn genügend gewichtige Argumente für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht sprechen würden. Junge Leute kämen raus aus der eigenen Blase, sie träfen ganz andere Menschen, sie könnten Bürgern in Notlagen helfen, wie auch der Bundespräsident sagt: „Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn,“ so seine Schlussfolgerung.

Eine Dienstzeit – ob freiwillig oder verpflichtend – kann einen wesentlichen Teil zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft leisten.

Ich teile diese Einschätzung, nehme aber auch die Gegenargumente ernst. Eine allgemeine Dienstpflicht ist in erster Linie ein sehr tiefer Eingriff in die persönliche Freiheit und Lebensgestaltung. Damit sind gleich mehrere Grundrechte betroffen, deshalb könnte eine Dienstpflicht nur mit einer festen Verankerung im Grundgesetz eingeführt werden. Erfahrungen außerhalb der eigenen Blase sind durchaus dringend notwendig für viele junge Menschen, und Hilfe in Notlagen ist sicher mehr denn je eine Herausforderung für große Teile unserer Gesellschaft, aber ein derart tiefer Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte unserer Verfassung bräuchte denn wohl schon etwas schwerer wiegende Rechtfertigungen. Und jetzt, wo das Abitur in fast allen Bundesländern durchweg erst wieder nach 13 Schuljahren absolviert wird, wäre ein weiteres Jahr als Dienstpflicht obendrauf schon eine erhebliche Verzögerung für die weitere Ausbildung und den Berufseinstieg.

Trotzdem sprechen immer noch so viele Argumente dafür, jungen Menschen in einer Zeit ihres Lebens, die Veränderung und Orientierung zugleich erfordert, ein Angebot zu machen, unserem Land zu dienen und zugleich ihren eigenen Horizont zu weiten. Es muss ein Stück Normalität werden, nach Abschluss der schulischen Ausbildung in einen Dienst zu gehen. Deshalb sollten wir zumindest die Attraktivität der bereits jetzt in Frage kommenden freiwilligen Dienste so erhöhen, dass sich wenigstens ein signifikanter Teil eines jeden Jahrgangs dafür entscheidet. Das könnte ein verbesserter Zugang zur weiteren Ausbildung ebenso sein wie die Anerkennung der Dienstzeit für die Altersversorgung. In jedem Fall darf die deutsche Politik das Potential der jungen Menschen, die sich in der gegenwärtigen Lage für unser Land und für unsere Gesellschaft einsetzen wollen, nicht missachten. Eine Dienstzeit – ob freiwillig oder verpflichtend – kann einen wesentlichen Teil zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft leisten.

Quelle: MerzMail