Das politische Energie-Krisen-Management schnürt finanzielle Hilfs-Pakete und verhindert so eine nachhaltige Verbrauchs-Reduktion

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Die Bundesregierung hat sich die aktuelle Versorgungs-Krise im Zusammenhang des Ukraine-Krieges sicher nicht gewünscht. Täglich sind sehr folgenreiche Entscheidungen zu treffen. Aber trifft sie dabei auch mutig jene Entscheidungen, um dem Energie-Mangel wirksam durch eine Verbrauchs-Reduktion zu begegnen? Zur Klärung wird das Augenmerk hier auf folgende Fragen gerichtet: „Wieso wird durch die Ampel-Politiker auf einen riesigen Energie-Mangel mit finanziellen Entlastungs-Paketen ohne nachhaltige Steuerungs-Funktion reagiert? – Wie kann eine konsumgeprägte Überfluss-Gesellschaft im Schnell-Verfahren zum Energie-Sparen motiviert werden?

Nach wie vor werden die UN-Nachhaltigkeits-Ziele von der Politik missachtet

Dass der deutsche Lebensstil seit vielen Jahren nachhaltig unsere globale Zukunft ramponiert, wissen wahrscheinlich fast alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Aber das konsequente Handeln bleibt weitestgehend aus. Würden alle Menschen so leben wie die Deutschen, wäre schon am 4. Mai das Ressourcen-Budget fürs gesamte Jahr 2022 aufgebraucht, so Berechnungen des Global Footprint Network. Deutschland muss/müsste deshalb – wie alle Industrieländer – seit Jahren den Verbrauch drastisch reduzieren, um nicht weiter auf Kosten der ‚Ärmeren’ zu leben. Aber solange die Energie-Quellen noch reichlich sprudelten und die Preise erschwinglich waren, passierte – außer Sonntags-Reden und etlichen Mahn-Appellen – fast nichts.

Auch der rasante Anstieg der Energie-Preise zum Jahreswechsel 2021/22 führte zu keinen der Nachhaltigkeit dienenden politischen Initiativen, um den Ressourcen-Verbrauch drastisch zu reduzieren. Damit wird auch das schon im Jahre 1992 auf der ‚UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung’ neu gefasste Verständnis von Nachhaltigkeit gezielt missachtet. Denn danach soll nur soviel verbraucht werden, dass die nachfolgenden Generationen unter vergleichbaren „ökologischen, ökonomischen und sozialen“ Aspekten leben können. So sollen auch die krassen Unterschiede zwischen ‚armen’ und ‚reichen’ Völkern beendet werden. Selbst die großen Beschaffungs-Probleme im Zuge des Ukraine-Krieges veränderten dieses ignorante politische Agieren kaum, obwohl niemand weiß, wie ab Herbst die Grundversorgung – besonders beim Gas – gewährleistet werden kann.

Appelle und düstre Prophezeiungen sind oft wirkungslos oder kontraproduktiv

Stattdessen setzt die Politik aktuell auf Spar-Appelle und düstre Prophezeiungen. So heißt es in Aufmacher-Artikeln: „Die Energiekrise macht vielen Angst“, der Sozialverband VDK verdeutlicht, „die Menschen fürchten, im Winter in kalter Wohnung Not zu leiden“, aus Bayern kommt mit Blick auf Herbst und Winter das Signal: das ein „Herzinfarkt für die Wirtschaft“ befürchtet wird und Wirtschaftsminister Habeck äußert: „Müssen uns auf das Schlimmste einstellen.“ Und alle denken könnende Menschen fragen sich: Was heißt das nun für mich konkret???

Aber der Alltag lehrt und die Kommunikations-Wissenschaft belegt, dass Appelle oft wirkungslos oder gar kontraproduktiv sind und düstre Prophezeiungen Druck, Angst und Desorientiertheit auslösen. Was soll durch solche, vielleicht gut gemeinten aber untauglichen bzw. gefährlichen Aktionen positiv bewirkt werden?  Ist es nicht grob fahrlässig, angesichts einer bedrohlichen Versorgungs-Situation keine wirksamen Handlungs-Schritte zur Verbrauchs-Reduktion einzuleiten?

Hier einige der gesellschaftlichen Folgen solch dramatischer Verdeutlichungen: Da werden Viele bei einer solch empfundenen Ausweglosigkeit in die Depression geraten und bei Anderen wird sich die existentiell erlebte Spannung in Aggression entladen. Etliche Zeitgenossen werden das Problem ignorieren, die Bedürfnisse des eigenen Egos herausstellen und weiter leben – oder aus Trotz noch etwas üppiger – wie bisher. Und die wachen Verantwortungs-Bewussten stehen der Konzeptlosigkeit ratlos gegenüber. Die Katastrophe ist vorprogrammiert, wenn nicht etwas Wundersames passiert.

Wie kann durch finanzielle Hilfs-Pakete Energie eingespart werden?

Um diese erst erzeugten persönlichen Existenz-Ängste abzufedern wird dann durch Politiker laut verkündet, dass die Heizungen im Wohnbereich Vorrang haben. Wenige Tage später verdeutlichen Industrie und Gewerbe, dass arbeitslos gewordene Beschäftigte im warmen Zuhause auch kein Überlebenskonzept für den Wirtschafts-Standort darstellen. Was ist zu tun? – Wie kann eine konsumgeprägte und verzichtsungeübte Überfluss-Gesellschaft im Schnell-Verfahren motiviert werden, das Einsparen von Energie zu erlernen? – Statt dazu Lösungen einzubringen verspricht die Regierung, neue finanzielle Hilfs-Pakete zu schnüren. Aber wird die schon seit vielen Jahren geforderte Reduktions-Notwendigkeit des Energie-Verbrauchs durch breite Finanz-Hilfen nicht gezielt konterkariert?

Wer den Preis nicht kennt, wird auch keine Verbrauchs-Verantwortung entwickeln.

Seit über 15 Jahren greife ich das Thema Nachhaltigkeit auch innerhalb meiner Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen auf. Nach den dabei entstandenen Erkenntnissen wäre der Energie-Verbrauch (Strom, Wasser, Gas und Öl) in einem ersten Schritt – relativ leicht um 15 – 20% zu reduzieren, ohne das dies zu spürbaren Veränderungen des Lebens-Standards führen würde. Das ist jene Menge, welche für den Herbst als fehlend bezeichnet wird. Aber es erfolgen offensichtlich keine finalen Schritte dazu.

Was jedes Mal erneut erschreckend ist, dass bei entsprechenden Befragungen innerhalb meiner Lehrveranstaltungen fast keine Studierenden wussten, welche Menge an Strom, Wasser Gas oder Öl sie selbst im eigenen Haushalt bzw. in dem Haushalt, in welchem sie leben (viele noch in der Familie) pro Tag oder Jahr verbrauchen und auch keine Kenntnis von den Energie-Preisen hatten. Wer aber nicht weiß, was etwas kostet, kann auch kein Verantwortungs-Bewusstsein für einen reduzierten Verbrauch entwickeln. Jedes mal schauen bei dieser Verdeutlichung 20 bis 50 Augenpaare verwundert aber interessiert im Hörsaal nach vorne. Nonverbal steht dann im Raum: Die Energie ist doch da und wir benötigen sie auch! Und etwas zeitversetzt kommt dann verbal: Ja, eigentlich müssten wir da wohl was tun. – Gut, dass es seit einiger Zeit die Fridays for Future Demos gibt.

‚Bitte-Bitte-Einspaar-Appelle’ durch die Politik belegen Handlungs-Unfähigkeit

Das Ziel aller gesellschaftlichen Kräfte müsste sein, wie ohne Zwang, Verbote oder Verordnungen, aber auch ohne ‚Bitte-Bitte-Einspaar-Appelle’ durch die Politik, ein Rahmen für deutliche Energie-Einsparungen zu schaffen ist. Aber wie kann das geschehen?

Brechen wir die aktuelle gesellschaftliche Situation auf eine Familie oder eine kleine Ortschaft herunter. Aufgrund einer Katastrophe ist eine Versorgung von außen über mehrere Tage nicht zu erwarten ist. Als erstes – so der normale Menschen-Verstand – wird gesichtet, welche Grund-Versorgungsmittel existieren. Dann werden diese in Relation zu den Personen und der erwarteten/befürchteten Notzeit gesetzt. Und alle werden darauf achten, dass nicht mehr pro Tag verbraucht wird, als eingeplant. Wahrscheinlich werden sich alle bemühen, noch etwas weniger zu verbrauchen, um so einen kleinen Zusatzpuffer zu haben. Und weshalb orientiert sich die Bundesregierung nicht an einem solchen Not reduzierenden Denkansatz?

Eine uralte wirksame Erfahrung: Wenn Mangel existiert, wird sorgsam rationiert

Die Entwicklung von Eigenverantwortung wird dann besonders schnell wirksam, wenn die positiven oder auch negativen Folgen von Verhaltensweisen möglichst zeitnah bei den handelnden Personen ankommen. Wird dieser Grundsatz der Lern- und Motivations-Theorien auf die seit Jahren notwendigen Reduktion der verbrauchten Energie-Mengen angewendet, dann ist das wirksamste Mittel, den seit Jahren steigen Energie-Verbrauch und aktuell die fast täglich steigenden Energie-Kosten dadurch zu reduzieren, indem pro Kopf ein Basis-Tages-/Jahres-Verbrauch zu einem evt. auch subventionierten Basis- Preis angeboten wird und alle höheren Verbräuche innerhalb von stark ansteigen Tarifen immer teurer werden. Das könnte z.B. so aussehen: Ein Vierpersonen-Haushalt verbraucht in Deutschland durchschnittlich 3.500 KWh Strom (ohne Warmwasser). Diese Menge wird zu einem erschwinglichen Preis angeboten. Pro Prozent Mehrverbrauch kostet der Strom einen  Mehrverbrauchs-Faktor zusätzlich. Mit anderen Worten: Familie Müller verbraucht anstelle der 3.500 KWh 35% mehr Strom. Dann zahlt sie für diesen Mehrverbrauch 135% des normalen Jahres-Durchschnitt-Preises. Das läst sich auf die anderen Energie-Arten entsprechend anwenden. Das dazu Veränderungen der abgeschlossenen Tarif-Vereinbarungen mit den Energie-Bereitstellern anstehen, ist klar. Diese werden aber sowieso wegen der immensen Kostensteigerungen stattfinden müssen.

Stark progressive Tarifen schaffen Kosten-Vorteile für die Sparsamen

Meist wird bei Mangel einfach die Energie-Art für Stunden gesperrt. Das trifft Sparsame wie Viel-Verbraucher gleichermaßen und ist damit zutiefst ungerecht. In Südafrika dagegen wird z.B. ein Wasserverbrauch von 50 Ltr. pro Person und Tag (der Tagesverbrauch für Wasser liegt in Deutschland bei 127 Ltr. pro Person) bereitgestellt und dann wird die Leitung gesperrt. Anstelle der Sperrung könnte es in Deutschland dann richtig teuer werden. Im Nachbarland Österreich wird die Einführung von progressiven Energie-Tarifen offensiv diskutiert. Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifw) verdeutlicht die Wichtigkeit von progressiven Tarifen. Und Attac „vermisst progressive Tarife für den verschwenderischen Luxuskonsum“, weil wir „als Gesellschaft unseren Energieverbrauch senken müssen“. Aber, – in der deutschen Politik wir hier das ‚Schweigen der Unbedarften oder Zauderer’ deutlich.

Damit wird offenkundig, dass die deutsche Politik die aktuelle Krise nur unter dem Aspekt der Versorgungs-Probleme und des zu hohen Preises angeht. Das wir als Gesellschaft – wie angerissen – unabhängig von den Folgen des Ukraine-Krieges schon seit vielen Jahren unseren Energie-Verbrauch drastisch senken müssen, wird in der aktuellen politischen Diskussion restlos ausgeblendet. Stattdessen setzte ein Energie-Ersatz-Beschaffungs-Tourismus ein. Liegt das an einer fehlenden Nach-Denk-Fähigkeit oder drückt dies die Sorge aus, Wählerstimmen verlieren zu können. Den Preis dieser vertanen Chance müssen fast alle bezahlen.

Lernen ist dann wirkungsvoll, wenn die Folgen möglichst zeitnah gespürt werden

Es wurde schon kurz verdeutlicht: Lernen geschieht dann besondern schnell und wirkungsvoll, wenn Menschen die positiven oder auch negativen Folgen möglichst zeitnah und verursacherbezogen zu spüren bekommen. Und bei einer Bevölkerung, welche Geiz als geil betrachtet, wirken Anreiz-Systeme immer. Ob es um die Katalysator-Umrüstung oder die Aufforderungen zum Einbau von Solar-Anlagen ging, ohne staatliche Förder-Programme wäre da ganz wenig passiert. Auch die Abfall-Trennung auf Baustellen wurde vor ca. 30 Jahren nicht mit Bitte-Bitte-Appellen oder dirigistischen Verordnungen erfolgreich umgesetzt, sondern durch ein klares Preis-Anreiz-System. Denn wenn die Entsorgung von Bau-Misch-Schutt ca. 10 mal so viel Kosten wie sortenreiner Schutt verursacht, rechnet sich das eigenverantwortliche Separieren.

Die Folge bei der Energie-Nutzung wird dann sein, dass die Sparsamen recht passabel über die Runden kommen und die Viel-Verbraucher durch den Progressions-Tarif deutlich mehr zahlen und so den Preis des Grund-Kontingentes mit subventionieren. Genau jetzt in der Sommerzeit ist der ideale Zeitpunkt, dieses Verbrauchs-Reduktions-Modell einzuführen. Dann kann bis zum Herbst kräftig gespart und eine neue Sorgfalt erlernt werden.

Sollten jedoch zeitnah keine Spar-Anreize im Umgang mit der Energie-Knappheit einsetzen, wird leicht ein gefahrvolles gruppendynamisches Problem innerhalb unserer Gesellschaft ausgelöst. Denn die Sparsamen werden nicht hinnehmen wollen, dass andere Zeitgenossen zu Lasten eigener Möglichkeiten ihre Pool-Pumpe – und evtl. Pool-Heizung – ständig in Aktion halten, die täglichen Dauer-Dusch-Gewohnheiten beibehalten, im Winter die Heizung über offene Fenster und Türen regulieren und mit den Leuchtmitteln und Elektro-Geräten in Wohnung, Haus und Garten so umgehen, als wenn es keinen Mangel gäbe. Selbst Jene, welche den Strom selber erzeugen, sind dann unter dem Aspekt der Solidar-Gemeinschaft genauso gefordert, wie alle Anderen. Denn wenn der Grund ‚meines’ spürbaren Mangels durch das – tatsächliche oder gemutmaßte – unverantwortliche Verbrauchs-Verhalten des Nachbarn zurückzuführen ist, wird selbst bei spaßorientierten Menschen der Spaß schnell aufhören. Der gesellschaftliche Alltag lehrt uns: Wenn es um die Versorgungs-Grundbedürfnisse geht, sind die meisten Menschen im Einsatz ihrer Notwehr-Mittel gar nicht zimperlich und wenig einschätzbar.

Zur Person: Albert Wunsch ist promovierte Erziehungswissenschafter und Psychologe, Supervisor (DGSv), Konfliktcoach, Erziehungs- und Paar-Berater (DGSF). Seit über 10 Jahren ist er an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf tätig. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahr hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter Die Verwöhnungsfalle, Abschied von der Spaßpädagogik, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare. Diese Publikationen und seine Fachvorträge lösten ein starkes Medienecho aus. Er ist Vater von zwei Söhnen und Großvater von drei Enkeltöchtern.

Über Albert Wunsch 16 Artikel
Albert Wunsch ist promovierte Erziehungswissenschafter und Psychologe, Supervisor (DGSv), Konfliktcoach, Erziehungs- und Paarberater (DGSF). Seit über 10 Jahren ist er an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf tätig. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahr hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter Die Verwöhnungsfalle, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare.