„Verwunderlich ist, dass wir diese Bäume ansehen und uns nicht mehr wundern.“ Der Philosoph und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson äußerste dieses Befremden über den Umgang oder die Wahrnehmung dieser faszinierenden „Geschöpfe“. Denn ohne sie gäbe es uns aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Ein Baum von angemessener Größe ist in der Lage, den Sauerstoff für eine vierköpfige Familie zu produzieren. Die Skala des Nutzens reicht neben der Sauerstoffanreicherung und der Wärmeregulierung allerdings noch um ein Vielfaches weiter bis hin zu unserer mentalen Abhängigkeit von ihnen. Bäume bereichern seit ungefähr 370 Millionen Jahren unsere Erde und werden trotz aller Ausrottungsversuche durch den Menschen auch dann noch hier sein, wenn wir längst vom Erdboden verschwunden sind. „Wer gelernt hat, Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein. Er begehrt nichts zu sein, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück.“ Dies schrieb Hermann Hesse 1918 in einem Zeitungsartikel. Der äußerst naturnahe Schriftsteller entwickelte Zeit seines Lebens zu Bäumen „eine geradezu wahlverwandte Beziehung“. So wie für unsere Vorfahren waren auch für ihn diese größten und langlebigsten Pflanzen Heiligtümer, „nicht nur ihres Nutzens und der Vielfalt ihrer Arten wegen, sondern als Gleichnisse des Lebens, als Symbole für die organische Organisation der Natur, die es zu beherzigen gilt, um auch künftig den Herausforderungen gewachsen zu sein, vor die der zivilisatorische Fortschritt die Vegetation unseres Planeten bei einer zunehmend wachsenden Erdbevölkerung stellt.“, wie der Herausgeber Volker Michels so treffend im Nachwort schreibt.
„Zu jedem Bilde, das ein Ort uns hinterläßt, gehören viele Dinge, Wasser und Fels, Dächer und Plätze, für mich aber am meisten die Bäume. Sie sind nicht nur an sich schön und liebenswert und stellen dem Menschenwesen, das sich in den Bauten ausspricht, die Unschuld der Natur entgegen; man kann außerdem auch viel aus ihnen ersehen, über Art und Alter des Kulturbodens, über Klima und Wetter, sowie über den Sinn der Menschen.“ (aus: „Kastanienbäume“, 1904)
Besonders gern beschrieb Hesse in seinen frühen Erzählungen „den Zauber der Wälder seiner Kindheit im Schwarzwald, das Spiel des Lichtes im Gewölbe der Wipfel, den Knospenduft im Frühjahr oder die Säulenhallen der Tannen“. Später gesellten sich dann die üppigen Edelkastanienhänge seiner Tessiner Wahlheimat hinzu. Aber auch einzeln stehende Bäume wurden von dem Individualisten verehrt, die er gern mit großen vereinsamten Menschen wie Beethoven und Nietzsche vergleicht. All die literarischen Gefühlsregungen dieses gemütvollen Schreibers sind in dem wunderbaren, kleinen Büchlein lesend und betrachtend zu spüren. In 39 Textauszügen und Gedichten erhält man einen wunderbaren Einblick in die Naturverbundenheit des großen „Schwelgers“, egal ob er Kastanien, Pfirsichbäume, Kirschblütenzweige oder indische Weide und Kamelie „besingt“. Hinzu gesellen sich die stimmungsvollen und kongenial ergänzenden Fotografien von Dagmar Morath. Ihre Aufnahmen sind sozusagen das i-Tüpfelchen zum geschriebenen Wort: hier ein lichtdurchfluteter Buchenwald oder das Spiel der Sonnenstrahlen auf Kastanienblättern, dort farbchangierendes Laub im Herbst oder Nebelschwaden im Tal hinter der dunkel umrahmenden Waldgrenze.
Fazit: „Nein, es war, wie jede Schauung, ein Sichtbarwerden des Großen und Ewigen, des Zusammenfalls der Gegensätze, ihres Zusammenschmelzens im Feuer der Wirklichkeit, es bedeutete nichts, mahnte zu nichts, vielmehr es bedeutete alles, es bedeutete das Geheimnis des Seins und es war schön, war Glück, war Sinn, war Geschenk und Fund für den Schauenden, wie es ein Ohr voll Bach, ein Auge voll Cézanne ist.“ Diesen Zeilen Hermann Hesses aus seinem „Aprilbrief“ (1952) gibt es nichts hinzuzufügen. Sie beschreiben treffend auch dieses liebevoll gestaltete Buch. „Was bei ihm dominiert, ist ein verstiegenes Gutmenschentum, das sich in gewundenen Sätzen ausdrückt. Wer Hesse liest, zieht Filzpantoffel an.“, ist in der Welt vom 08.08.12 anlässlich seines 50. Todestages zu lesen. Diese antiquaren „Latschen“ habe ich mir allerdings sehr gern übergestreift.
Volker Michels (Hrsg.)
Hermann Hesse
Bäume
Mit Fotografien von Dagmar Morath
Insel-Bücherei (April 2014)
131 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3458193936
ISBN-13: 978-3458193937
Preis: 14,95 EUR
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