Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert auch in Deutschland das politische Meinungsklima. In den letzten Jahren hatten CDU und CSU zunehmend Mühe, die Notwendigkeit der militärischen Landesverteidigung zu begründen. Auch innerhalb der Union hatte die Außen- und Sicherheitspolitik an Stellenwert eingebüßt, andere Themen rückten in den Vordergrund. Aber seit dem Morgen des 24. Februar 2022 wissen wir, dass Imperialismus und militärische Gewalt mit Macht zurückgekehrt sind auf den europäischen Kontinent. Die Bedrohung durch Waffen ist keine abstrakte Größe mehr, sondern reale Gefahr für die Freiheit in Europa. Eine selten große Mehrheit der Bevölkerung hält Verteidigungsfähigkeit und militärische Abschreckung wieder für unverzichtbar, um unser Land zu schützen.
Allerdings gibt es ein sehr gespaltenes Meinungsbild zwischen Ost und West. Sowohl bei der NATO-Mitgliedschaft und den sich daraus ergebenen Verpflichtungen als auch bei der Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine stimmen in Ostdeutschland nur die Hälfte der Bevölkerung und noch weniger den zustimmenden Auffassungen im Westen zu. AfD und Linkspartei rekrutieren aus diesen Unterschieden ihre Wählerschichten im Osten.
Wenn sich daraus nicht eine dauerhafte neue Spaltung zwischen Ost und West ergeben soll, dann muss vor allem die CDU mit außen- und sicherheitspolitischen Themen im Osten stärker präsent werden. Präsenz heißt dabei nicht Belehrung des Publikums von vorn; Präsenz heißt zunächst einmal zuzuhören und nach den Gründen für die Skepsis gegenüber NATO und Verteidigungsbereitschaft zu suchen. Auch die Bundeswehr ist gefragt, ihre Sichtbarkeit, aber auch ihre Dialogbereitschaft im Osten zu verbessern. 32 Jahre nach der staatlichen Einheit sehen wir gerade in diesen Wochen des Krieges noch einmal sehr deutlich, wie unterschiedlich unsere Prägungen und Lebenserfahrungen in Ost und West immer noch sind. Der Krieg in der Ukraine fordert die Politik heraus wie selten zuvor. Aber gerade das so unterschiedliche Meinungsbild in Deutschland zu den Antworten, die wir darauf politisch und militärisch geben wollen, bleibt eine besondere Verantwortung von Politik und Gesellschaft.
Quelle: MerzMail