Pietro Mascagnis musikdramatisch gefasste „Sizilianische Bauernehre“ lässt opera incignito-Regisseur Andreas Wiedermann mal nicht im Mafia-Land verloren gehen, wo sie hingehört und seit Jahrzehnten für Aufregung unter Verismo-Fans auf der Opernbühne sorgt, sondern im verarmten, engen Einwanderer-Milieu New Yorks der 1920er Jahre. „Cavalleria rusticana“ also ganz anders? Nicht doch. Denn musikalisch ist sie, wenn auch nur durch ein tüchtiges Quartett unter Leitung und vom Flügel aus dirigiert von Ernst Bartmann, wie mit Orchester angekommen. Die herzergreifende Story lässt Wiedermann nicht ganz so verlaufen wie sie Mascagnis Librettisten erfanden und kurz vor 1890 in die Welt setzten.
Wiedermann, der Widerständler. Schon der Aufhänger ist bei ihm anders als es jeder Operngänger im Gedächtnis hat. Eindrucksvoll die an die Apsiswand projizierten alten Auswanderer-Fotos. Seine ausgesucht präsente Crew agiert in Mama Lucias Requisiten-armer Behausung, d. h. im Altarraum der Münchner Allerheiligenhofkirche, eingerichtet von Anton Empl, minimalistisch ausgestattet von Bärbel Gruber und Evi Festl. Man kommt ohne Chorszenen, aber nicht völlig ohne Ostersonntagmorgen-Flair aus. Was für gewöhnlich mit Wucht und Kraft aus sizilianischen Bauern-Kehlen strömt, unterstützt von Frauen und Kindern, wurde eingedampft auf Einzelstimmen, die man im Libretto vergeblich sucht. Die frei erfundene Rosarina (Zuzanna Ciszewska) ersetzt mit von der an den Rollstuhl gebundenen Mama Lucia (großartig: Maria Czeiler) die Chorpartien, lässt sogar lieblich eine Mascagni abgelauschte Arie vernehmen. Für die Osterzeit passen allerdings ihre Rosen nicht. Wie arg, wenn sie nach und nach – symbolisch für den Verlust der Ehre – geköpft werden!
Die brutale Vergewaltigung der entehrten, bedauerlich hintergangenen zarten Santuzza durch den erregten Turrido-Vetter Alfio war nicht notwendig, um die mit Lola betrogene, schwangere Gattin Turridos unmittelbar vor dem wehmütigen, von den Musikern bewundernswert feinfühlig dargebrachten Intermezzo völlig fertig zu machen. Das starke Oktett der Schmuggler- und Einbrecherbande überzeugte. Carolin Ritter gab als leidende Santuzza alles, was ihr gefragter Mezzosopran hergab. Ihr fremdgehender Turridu war bei Rodrigo Trosino sehr gut aufgehoben, während Robson Bueno sich für den Grobian Alfio viel zu sehr verausgabte. Turridu muss sein Leben lassen – das Publikum erfährt von seinem Tod durch Rosalina. „Mutter, der Rote war allzu feurig“, hat man noch im Ohr – kann`s aber nicht recht glauben, dass das Schlückchen genippten Weins wirklich schuld sein soll an seinem Hingang.
Das Münchner Publikum applaudierte freundlich. Der ersten von zwei Aufführungen in der Wiedermann`schen „Cavalleria“-Version gingen, kaum zu glauben, vier im Dorfener Gasthof Jakobmayer voraus. Nächste opera incognita-Produktion: „Akhnaten“. Damit begibt man sich erstmals auf das zumindest für die Publikums-Akzeptanz heikle Terrain der zeitgenössischen Oper, komponiert 1984 von Philipp Glass. Premiere: 27. August. Der der Handlung angepasste Ort: das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst.