Es ist erst wenige Jahre her, da machten amerikanische Wissenschaftler aus Harvard mit einem sensationellen Forschungsergebnis auf sich aufmerksam. Ihnen war es bei Mäusen gelungen, deren Alterungsprozess aufzuhalten und ihn sogar umzukehren. Die entscheidende Rolle dabei spielt das sogenannte „Untsterblichkeitsenzym“ Telomerase, für dessen Entdeckung es im Jahr 2009 sogar den Medizin-Nobelpreis gab. „Forever young“! Sollte der Song von Alphaville aus dem Jahr 1984 bald kein Wunschtraum mehr sein? Bis dies allerdings auch für den Menschen Wirklichkeit wird, müssen wir uns „wohl oder übel“ mit dem Alterungsprozess „abfinden“. Doch warum tun wir uns so schwer mit dem Alter? Warum ist unser Bild, das wir davon haben, so negativ aufgeladen? Warum wird es zuweilen gar als Bedrohung angesehen? Wir verknüpfen das Älterwerden und Altsein mit Krankheit, Vergesslichkeit, Schmerzen, Einsamkeit, grauen Haare oder Glatze, Falten, Gebrechlichkeit oder Pflegebedürftigkeit. Laut neueren Untersuchungen spuken sogar schon in den Köpfen von sechsjährigen Kindern negative Fantasien von den bedauernswerten senilen und in die Jahre gekommenen Alten herum. „Ein Aspekt der Wahrheit des Älterwerdens ist, dass dieses Werden mehr als jedes andere mit der Vergänglichkeit konfrontiert ist.“, stellt Wilhelm Schmid fest. Das ist zwar schon seit Menschengedenken so, „aber in moderner Zeit wurde ein Ärgernis daraus, denn alles ist technisch machbar, warum nicht auch die ewige Jugend?“, so Schmid.
„Der Mensch wird von allein alt. Aber ob sein Altern gelingt, hängt von ihm ab. Es ist eine hohe Kunst, in guter Weise älter zu werden.“, stellte schon der Benediktinerpater Anselm Grün fest. Gelassenheit ist das „Zauberwort“, dem schon in der Antike eine große Bedeutung beigemessen wurde. In der Moderne aber geriet gerade sie in Vergessenheit. Sie wurde zum Opfer des modernen Aktivismus, des wissenschaftlich-technischen Optimismus. Warum diese Tugend nicht einfach wieder kultivieren? „Art of Aging statt Anti-Aging“, so Schmids Slogan. Das kleine, schmale Büchlein des Philosophen und Glücksforschers zeigt, wie man durch mehr Gelassenheit seine Einstellung zum Älterwerden und zum Alter beeinflussen, damit gesünder alt werden und so dem Alter abgeklärter und entspannter entgegensehen kann.
In tiefgehenden, aber verständlichen philosophischen Disputen, gegliedert in zehn kurze Kapitel, stellt er Überlegungen zur schrittweisen Erlangung von mehr Gelassenheit beim Älterwerden an. Grob zusammengefasst umfassen sie Gedanken:
1. zu den einzelnen Zeiten des Lebens
2. zum „Erwerb eines Wissens von den Eigenheiten dieser Lebensphase, eine Aufgeschlossenheit für das Werden, das sie ermöglicht und ein Verständnis für die Herausforderungen, die sie mit sich bringt“
3. zum Pflegen und Kultivieren von Gewohnheiten
4. zur Erlangung einer bewussten Fähigkeit zum Genuss, sei es im Reisen, der Erinnerung, des Gesprächs, der Gartenlust oder auch der Lust zur Muße
5. zur Stärkung der Hinnahmefähigkeit, „um mit kleineren Malaisen und größeren Problemen zurechtzukommen“
6. zu Berührungen, egal ob aktiven oder passiven wie dem Gespräch oder der stillem Form während einer Lektüre
7. zum vielfältigen Netz aus Freund-, aber auch Feindschaft
8. zur Besinnung, der Suche nach Sinn und Zusammenhang
9. aber auch zum Finden einer Haltung „zur Grenze des Lebens“ – dem Tod
sowie schlussendlich
10. zu einem möglichen Leben nach dem Tod.
Statt das Alter als eine Bedrohung, können wir es auch als eine Bereicherung und eine Chance ansehen. Oder wie es der Autor ausdrückt: „Das Einverständnis mit dem Leben kann alle Beschwernisse des Alters überwinden. Es geht mit der Gelassenheit einher, die nicht schwer ist, da sie vom Lassen kommt, das wiederum von selbst leichter wird, wenn das Tun schwerer fällt: Dinge einfach geschehen lassen und sie nicht komplizierter zu machen, als sie sowieso schon sind.“ In knappen, klaren, fast stichwortartigen Sequenzen gibt der Berliner Philosoph Gedankenanstöße und regt an, in sich zu gehen, das eigene Leben und auch sein Umfeld zu hinterfragen. Entstanden ist ein wunderbar-geistvolles, belebendes-besinnliches, ja schönes Büchlein, das zum Nachdenken ermuntert, zum In-sich-Hineinhorchen, zum Sinnieren. Ein Text, nicht opulent und ausschweifend, sondern wortweise und prägnant, der dazu verleitet, Gedanken spielen zu lassen: sehr sinnvoll! Manchmal kann weniger durchaus mehr sein.
Wilhelm Schmid
Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden
Insel Verlag (März 2014)
119 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3458176004
ISBN-13: 978-3458176008
Preis: 8,00 EUR
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