Die romantische Vorstellung vom verstaubten Einzelgänger, der in seinem Atelier vor sich hin werkelt, wann er gerade Lust dazu hat und periodisch eine Ausstellung macht, wenn ihm das Geld ausgeht, ist schon längst überholt. Ich heiße Carole Kohler, bin Vollzeit-Kunstschaffende aus der Schweiz und möchte Ihnen in diesem Artikel näher bringen, in welcher Form ein professioneller Künstler heutzutage aktiv sein muss und welche Bereiche nebst der Arbeit im Atelier dazu kommen sollten. Ich räume dabei mit den rosaroten Klischees auf – verstehen Sie mich nicht falsch, die Kunst ist meine Passion und ich liebe meinen Beruf. Aber er sieht meist doch etwas anders aus, als viele es glauben mögen. Wenn man als Künstler von seiner Kunst leben muss, werden wirtschaftliche Aspekte zunehmend wichtiger.
1. Der Kaufmännische Bereich
Als eingetragenes Einzelunternehmen führe ich natürlich eine Unternehmensbuchhaltung und muss als selbständig Erwerbende auch selbst für meine berufliche Vorsorge sorgen. Ich habe ein Rechnungssystem aufgebaut, da ich immer unter Kontrolle haben muss, an welcher Stelle welche Werke gerade ausgestellt sind, auf welchem Onlineshop diese angeboten werden oder momentan nicht erhältlich sind. Da ich weltweit tätig bin, muss ich Angebote und Verträge von möglichen Partnern in mehreren Sprachen verstehen, überprüfen und abschließen können. Ich schließe Lizenz- und Designverträge ab und unterzeichne für Übersee elektronisch mit DocuSign.
2. Der Bereich Internet und Medien
Ich pflege und update meine Website und promote diese auf den sozialen Medien, um potentielle Kunden darauf leiten zu können. Ich poste regelmäßig Fotos, Fotomontagen und Videos in mehreren sozialen Medien – das erhöht meine Sichtbarkeit und lässt die Menschen aufmerksam auf mich werden. Ich lege Wert darauf in Printmedien, elektronischen Zeitungen und Magazinen Präsenz zu zeigen, weshalb ich auch über ein eigenes, selbst kreiertes Logo verfüge. Ich promote sowohl meine Werke, wie auch meine Marke und meine Person selbst. Im Kunstbereich ist die Identifikation mit der Person des Künstlers ein wesentlicher Faktor, aufgrund dessen sich Kunden am Ende für oder gegen eine Kunst entscheiden.
3. Der Faktor strategisches Management
Ich muss entscheiden, welche Ausstellungs- und Messeangebote kurz- und mittelfristig für mich und meine Kunst vielversprechend sein könnten, wo ich mit meiner Kunst präsent sein muss und wo es voraussichtlich für mich eher nicht zielführend sein wird. Ich muss als Künstlerin also kritisch hinterfragen, an welchen Stellen die Energie wirklich zielführend für mich ist. Da die Industrie, die von Künstlern lebt, immer größer und ideenreicher wird, überprüfe ich angebotene, flankierende Maßnahmen auf deren Risiken und Chancen. Ich bewerbe mich auf Kunstmessen, Museen und Kunstwettbewerben, entwerfe thematische Konzepte dafür und bringe Tätigkeiten in einen mehrjährigen, für mich zu bewältigenden, Kontext. Als Künstler hat man eine riesige Konkurrenz im Nacken und muss dadurch immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort vertreten sein.
4. Der Verkauf und die Beratung
Wann immer es möglich ist, führe ich interessierte Kunden persönlich durch meine physischen Ausstellungen. Falls gerade keine Ausstellung in der näheren Umgebung stattfindet, können Kunden auf Voranmeldung meinen Showroom besuchen, wo ich sie für ein ultimatives Kunsterlebnis durch mein umfangreiches Lager an Werken führe. Ich bringe eine Auswahl zu interessierten Kunden und Sammlern nach Hause und berate diese auch für die optimale Integration der Kunst in deren vier Wänden.
5. Outsourcing und Regeneration
Ich miete mich vor allem für skulpturale Projekte bei spezialisierten Firmen ein und arbeite in den dortigen Werkstätten. So spare ich mir Investitionen, die ich nur temporär nutzen könnte. Ich entfliehe regelmäßig meinen alltäglichen Verpflichtungen in eine Künstlerresidenz im Ausland, schotte mich dort von Medien, Telefon, Kontakten und weiterem ab – so kann ich einen freien Kopf für die intensive Kreation von Kunst bekommen und neue Kräfte sammeln. Ich schaffe mir einen fokussierten Tagesablauf, um die Phasen von Kreation, Inspiration und Erholung in einer gesunden Balance zu halten.
6. Die Planung mit Weitsicht
Für mich ist wichtig, dass ich sämtliche Arbeiten außerhalb des Ateliers klar geregelt habe, bevor ich in die Welt meiner künstlerischen Kreation eintauche. Als Künstler braucht man einen freien, unbelasteten Kopf und Bauch – nur so ist es möglich, abstrakte Werke unbeschwert entstehen zu lassen und frei für den kreativen Prozess zu sein. Deshalb strukturiere ich meine Tage und Wochen stark, um für die jeweilige Arbeit vollständig bereit zu sein, Energie zu haben und mich ihr hingeben zu können. Wenn alles geplant und organisiert ist, kann man voll und ganz in die eigene Künstlerseele eintauchen und die Kunst erschaffen, die man der Welt zeigen möchte.
Ein Fazit
Als Künstler ist man im 21. Jahrhundert also auch immer ein kleines Unternehmen – mit allen Hochs und Tiefs, die die Welt der Kunst schon seit tausenden von Jahren für die Menschheit bereithält!