Vladimir Sorokin – Erfolgsschriftsteller und Putin-Kritiker

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Vladimir Sorokin und Wladimir Putin haben viele Gemeinsamkeiten: beide wurden im westlichen Teil Russlands geboren, Putin in Sankt Petersburg, Sorokin bei Moskau. Sorokin hat sich jahrzehntelang mit Putin innerlich auseinandergesetzt. Und tritt jetzt offen als Putin-Kritiker auf. Seit Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist Vladimir Sorokin zu einer wichtigen Stimme Russlands geworden. Er verkörpert die „anderen Russen“, die nicht so sind wie Putin. In der westlichen Welt ist Sorokin jetzt eine Person, auf deren Stimme gerne gehört wird und der international Wertschätzung und Anerkennung findet. Sorokin ist für viele Literaturkenner der bedeutsamste russische Schriftsteller der Gegenwart und wird seit einigen Jahren als Anwärter für den Literaturnobelpreis genannt. Er gilt als glaubwürdig, während Putin für seine Tendenz zum Lügen bekannt ist. Während Sorokin die Wahrheit liebt, verachtet Putin dieselbe. Wie sehr Putin die Wahrheit entwertet, kann im Buch „Der Weg in die Unfreiheit“ des renommierten Historikers Timothy Snyder nachgelesen werden. Lange Zeit pendelte Sorokin zwischen Moskau und Berlin hin und her. Seit Putin den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine begann, wurde Sorokin zum offenen Putin-Kritiker. Es wäre wohl nicht ratsam für Sorokin, nach Russland zurückzukehren. Berlin ist da wohl für ihn eher der sichere Ort.

Kurzes biographisches Porträt von Vladimir Sorokin

Vladimir Sorokin wurde im Jahr 1955 in der Nähe von Moskau geboren. Er absolvierte nach dem Gymnasium erfolgreich ein Ingenieursstudium mit der Spezialisierung auf Erdgas und Erdöl. Nach kurzer Tätigkeit in diesem Bereich widmete der sich der Dichtkunst. Er schrieb erfolgreiche Romane und Erzählungen. In seinem Privatleben ist er verheiratet und hat zwei Zwillingstöchter. Lange Zeit lebte er in Berlin und Moskau. In deutschen Zeitungen wie FAZ, Spiegel, Welt, Zeit oder Frankfurter Rundschau erschienen seit vielen Jahren Interviews mit Vladimir Sorokin. Bereits in seiner Satire „Der Tag des Opritschniks“ aus dem Jahr 2007 gelang ihm eine literarische Entlarvung des Terrorstaates von Putin. Sorokin wurde in Russland wegen seiner Werke wiederholt diffamiert, angegriffen oder angeklagt. Dabei warf man ihm Pornographie vor. Er wurde wohl von den Zensurbehörden nicht gut genug gelesen, denn sonst wäre diesen nicht entgangen, welche politische Sprengkraft in dieser Satire steckte. Sinnigerweise ist sie auch noch eine Persiflage auf Iwan den Schrecklichen, der im 16. Jahrhundert in Russland wütete. Mit der offenen Putin-Kritik ist nun der Vorhang gefallen. Für Sorokin wäre es wohl klug, im sicheren Berlin zu bleiben. Putin hat allerdings schon im Berliner Tiergartenmord bewiesen, dass er unangenehme Kritiker auch in Berlin auf offener Straße umbringen lassen kann.

Literarische Bedeutung

Vladimir Sorokin hat ein umfangreiches literarisches Oeuvre von Romanen und Erzählungen vorzuweisen. Etwa fünfzehn seiner im Original auf russisch erschienenen Bücher sind in die deutsche Sprache übersetzt worden und die meisten sind aktuell im Buchhandel lieferbar. Seine Werke wurden in 22 Sprachen übersetzt. Der deutsche Literaturkritiker Richard Kämmerlings hält Sorokin für den bedeutendsten russischen Schriftsteller der Gegenwart. International wird Sorokin seit Jahren als bedeutsamer Anwärter auf den Literaturnobelpreis genannt. Sorokin erhielt zahlreiche Literaturpreise und Auszeichnungen. Im Jahr 2010 wurde ihm der in Russland sehr renommierte Gorki-Preis verliehen. Sorokin hat mehr als 15 Romane und ebenso viele Prosa- und Erzählbände geschrieben. Von seinen fast zwanzig Theaterstücken wurden die meisten auf deutschen Bühnen uraufgeführt. Weiterhin hat Sorokin fast zehn Drehbücher für Filme verfasst.

Poltisches Engagement Sorokins seit dem Angriffskrieg von Putin gegen die Ukraine

Am 24. Februar 2022 ließ Putin seine russischen Truppen in die Ukraine einmarschieren. In einer internationalen Abstimmung in der UN-Vollversammlung wurde dieser Angriffs- und Vernichtungskrieg einhellig verurteilt. In der russischen Staatspropaganda wird dreist geleugnet, dass Russland überhaupt einen Krieg gegen die Ukraine begonnen habe, obwohl etwa 150.000 russische Soldaten mit Panzern und  Raketen einmarschiert sind und großflächige Bombardierungen ukrainischer Städte durch russische Jagdflugzeuge stattfinden. Die Resonanz im russischen Volk ist sehr ängstlich verhalten. Putin hat mittlerweile die Medien komplett gleichgeschaltet und auf Staatspropaganda getrimmt. Es gibt keine freie Presse. Kürzlich hat Putin ein Mediengesetz erlassen, nach dem jedem 15 Jahre Haft drohen, der „Falschinformationen“ zum Krieg macht, wobei sogar das Aussprechen des Wortes Krieg schon verboten ist. Die Meinungsäußerung ist dadurch erheblich eingeschränkt und selbst westliche Journalisten trauen sich nicht mehr aus Russland berichten.

Angesichts dieser erheblichen Drohkulisse ist es bemerkenswert, dass Vladimir Sorokin gemeinsam mit anderen russischen Schriftstellern am 5. März 2022 in der FAZ einen Aufruf mit dem Titel „Sprechen Sie mit Russen“ veröffentlich hat. Darin sind folgende Sätze zu lesen:

„Amtliche Medien verheimlichen das Ausmaß der Aggression. Das russische Volk wird seit vielen Jahren mit Lügen abgespeist. Die unabhängigen Informationsquellen sind fast vollständig zerstört worden. Die Opposition ist zum Schweigen gebracht worden. Die staatliche Propagandamaschine arbeitet mit aller Kraft. Gerade jetzt ist es wichtig, den russischen Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit über die russische Aggression gegen die Ukraine zu offenbaren. Über das Leiden und die Verluste des ukrainischen Volkes. Über Zivilisten, die angegriffen und getötet werden. Über die Gefahren für den gesamten europäischen Kontinent. Und möglicherweise – angesichts der nuklearen Bedrohung – für die gesamte Menschheit.“ (Vladimir Sorokin und viele andere russische Schriftsteller, FAZ vom 5.3.2022)

Jeder, der in Russland diesen Text auf einem Flugblatt oder sonst wie öffentlich machen würde, müsste mit einer jahrelangen Gefängnisstrafe rechnen. Deshalb dürfte Sorokin in Berlin bleiben.

In mehreren deutschen TV-Sendungen hat sich seit Kriegsbeginn Sorokin offen kritisch zu Putin geäußert. Er bezeichnete Putin als einen Verrückten, der einen sinnlosen Vernichtungskrieg gegen ein Brudervolk führt. Er warnt, dass Putin Millionen Ukrainer ermorden will. Und dass seinen Aussagen überhaupt nicht mehr zu trauen sei. Vielmehr sei für ihn die Lüge das Hauptkommunikationsmittel. (Vladimir Sorokin, Interview in der Deutschen Welle vom 12. März 2022).

Quo vadis?

Die Lage ist sehr ernst, aber offen. Wie groß die Wunde ist, die dieser Vernichtungskrieg hinterlassen wird, wird wohl daran zu sehen sein, wie viele unschuldige Zivilisten  und wie viele Soldaten ihr Leben verloren haben. Die Blutspuren, die Putin mit seinen Vernichtungskriegen in Tschetschenien und Syrien hinterlassen hat, sind deutliche Mahnrufe. Wie viele ukrainische Städte, die über Jahrzehnte als stolze und glanzvolle Metropolen erschienen, nun bald aussehen wie die Trümmerwüsten von Grosny und Aleppo – all das lässt Furchtbares ahnen.

Literatur:

Encke, Julia, Vladimir Sorokin über Putin: „Das ist er Anfang vom Ende.“. FAZ vom 12.3.2022

Kämmerlings, Richard, Finsterer kann man Putins Russland nicht zeichnen. Die Welt vom 9.2.2021

Kämmerlings, Richard, „Echt ist bei uns nur dieser Sprengkopf. Das funktioniert.“ Die Welt vom 19.2.2022

Snyder, Timothy, Der Weg in die Unfreiheit. Russland, Europa, Amerika. C.H. Beck, München 2018

Sorokin, Vladimir, Der Tag des Opritschniks. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007

Sorokin, Vladimir u.a. russische Schriftsteller, Sprechen Sie mit Russen. FAZ vom 5.3. 2022

Sorokin, Vladimir, Interview in der Deutschen Welle. Kultur 21. Zum Thema: Im Krieg: Was bewegt die Kunst? Sendung vom 12.3. 2022

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.