Das Herz der Finsternis? Die Geheimnisse des Voodoo

Von allen Religionen und kulturellen Strömungen ist Voodoo sicherlich jene, die im Laufe ihrer Geschichte und Entwicklung am meisten und am gründlichsten missverstanden worden ist. Zahlreiche Vorurteile und Klischees haften allein schon der Bezeichnung an, und noch vielmehr den „düsteren“ und „geheimnisvollen“ Praktiken, die dahinter vermutet werden.

Das Wort „Voodoo“ kommt aus der Sprache des Fon-Stammes aus dem alten Dahomey. Es bedeutet „Gott“ oder auch „Geist“. Dahomey war zu Zeiten der Kolonialherrschaft das Zentrum des einstigen Sklavenhandels. Von dort nahmen die aus Afrika verschleppten schwarzen Sklaven ihre Kultur mit in die fremden Länder Amerikas und behaupteten sie dort als eine Art symbolischen Widerstand.

Voodoo entspricht heute der sogenannten animistischen Strömung im westlichen Afrika, die Juju genannt wird. Ihr hängt immerhin mindestens ein Drittel der Bevölkerung Westafrikas an. Dort, und vor allem in Nigeria, geht nichts ohne Götter und Geister.

Die Bezeichnung voodoo, juju oder grigri kann sowohl Geist als auch göttliche Energie, Kraftort oder Kraftgegenstand bedeuten. Um Voodoo wirklich zu begreifen, ist es angeraten, auf unser westlich-rationelles Denken zu verzichten.

Voodoo ist ein soziales, spirituelles und kulturelles Netz. Es ist ein Weltbild des Verflochtenseins der menschlichen Existenz mit allen Wesen der Natur. Daher rührt die Sehnsucht, Götter oder Geister zu rufen, sie zu spüren, in sich aufzunehmen, um daran fröhlich und gesund zu werden. Mann könnte Voodoo sogar als eine Art „demokratische“ Religion bezeichnen. Es gibt zwar verschiedene Eingeweihte, Priesterinnen und Priester des Voodoo-Kultes, doch die Götter und Geister jede Person erwählen, und in deren Körper eintreten. Jeder Mensch vermag göttlich zu sein, und ist zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens von den Göttern erwählt, wenn er deren Ruf befolgt.

Den „Loa“, also den Geistern, zu dienen, ist die wesentliche Aufgabe in Voodoo. Sie wird zumeist durch Tanzrituale verwirklicht. Bei diesen Zeremonien bemächtigen sich die „Loa“ der Menschenkörper und werden so sichtbar.

Zu diesen Tanzfesten gehören immer auch Opferrituale, bei denen die Götter und Geister mit Gin oder anderen starken alkoholischen Getränken herbeigerufen werden. Sinnigerweise wird diese Anrufung „spirit for the spirits“ genannt.

Das gleiche gilt auch für die Zeremonien des Juju. Eigentlich besteht der einzige Unterschied zwischen Voodoo und dem heutigen Juju darin, das Voodoo aus Haiti, dem Süden der USA und der Karibik nach Afrika zurückgekommen ist, während sich die Tradition des Juju kontinuierlich über Jahrtausende weiterentwickelt hat, und auf eine weitgehend ungebrochene Tradition zurückblicken kann.

Auch die Christianisierung hat die alten Religionen nur wenig verändern können. Die Götter der alten Tage werden heute in den Heiligen der Katholischen Kirche gerufen. Maria und selbst Jesus Christus wurden nahtlos in den Juju-Kult integriert. Wenn heute eine afrikanische Christengemeinde ihren Gottesdienst feiert, fällt es anwesenden Europäern durchaus schwer, diesen von einer Juju-Zeremonie zu unterscheiden, denn auch hier fehlen Trommeln und Tänze nicht.

Fetische sind Kraftgegenstände aus Materialien, die als heilig gelten oder denen eine besondere Kraft innewohnt. Diese Fetische sollen die Götter oder Geister rufen. Sie dienen sozusagen als Wohnung und Lockmittel für die Wesen aus einer anderen Welt. Je mehr die Voodoo-Priester über die verschiedenen Materialien wissen, je tiefer sie also mit den Göttern in Verbindung stehen, umso mächtiger sind diese Fetische, und umso wirksamer die mit ihnen begangenen Zeremonien. Im Voodoo gibt es zahlreiche mächtige Frauen, und selbst die meisten einflußreichen Priester haben bei Frauen gelernt.

Götter und Geister kommen durch die Trance zu den Menschen. Es gilt als ausgesprochen großes glück in Westafrika, von den Göttern erwählt zu werden, auch wenn dies im Alltag zumeist große Probleme bereitet. Wer von den Göttern gerufen wird, folgt diesem Ruf in aller Regel, auch wenn er dabei sein ganzes bisheriges Leben hinter sich lassen muß.

Bei Voodoo-Heilzeremonien geht es blutig zu. Es werden Hühner geschlachtet und das Blut der Tiere den Göttern geopfert. Es kann auch vorkommen, dass Kranke mit Hilfe des Opfertieres von der „schlechten“, also krankmachenden Energie gereinigt werden, indem der Priester mit dem noch lebenden Huhn über den Körper des Kranken streicht. Dazu werden Gebete gesprochen und Gesänge angestimmt, welche die Götter rufen und um Hilfe bitten. Schließlich wird das Huhn durch einen Schnitt in den Hals getötet. Mit dem Blut des Tieres bestreicht der Voodoo-Priester sowohl den Altar der Zeremonie, als auch den Kranken. Bei bestimmten Trancetänzen wird das Blut der Opfertiere auch von den Tanzenden getrunken.

Den meisten Europäern erscheint eine solche Zeremonie roh und nur in sehr geringem Maße spirituell. Dabei vergessen wir nur allzu leicht, wie gut uns das Putenschnitzel aus dem Supermarkt schmeckt, von dem wir doch eigentlich wissen, dass es auch in einer Art Massenvernichtung hergestellt wird.

Das Opfer ist ein wichtiger Bestandteil der Voodoo-Zeremonie. Um die Götter und Geister gnädig zu stimmen, wird ihnen etwas geschenkt. Dabei geht es vor allem darum, eine Harmonie zwischen Nehmen und Geben herzustellen. Keinesfalls wird durch solche Opfer versucht, die göttliche Gunst zu „erkaufen“. Durch das Opfer werden die Götter gerufen. Man reicht ihnen dazu Speisen, Spirituosen, Tabak und noch verschiedene andere Gaben.

Die Eingeweihten des Voodoo verfügen über einen reichen Schatz an magischem Wissen und sollen sogar über Zauberkräfte gebieten können. Es gibt in ganz Westafrika regelrechte Voodoo-Schulen, an denen man diese magischen Praktiken erlernen kann. Jede Götter-Anrufung im Voodoo vermag sowohl Gutes als auch Schlechtes zu bewirken.

„Ich könnte Schlechtes tun, also mit Schwarzer Magie jemandem Schaden zufügen,“ erzählte mir Bakoy, ein Voodoo-Priester aus Benin. „Doch diese Kräfte würden auf mich zurückfallen. Aus diesem einfachen Grund versuche ich keinen Schadenzauber.“ Zahlreiche Voodoo-Priester verwenden mehr Zeit darauf, sich spirituell vor negativen Energien zu schützen, als andere Dinge zu bewirken.

Die alles beherrschende Kraft des Voodoo ist die Katzen-Energie. Deshalb darf die Katze auf keinem Altar fehlen, sei es in Form von Statuen oder Bildern. Doch auch Krallen und Fellstücke werden auf den Altaren niedergelegt.

Die Farbe des Voodoo ist weiß, denn dies ist auch die Farbe der Götter und Geister. Ein wichtiger göttlicher Begleiter bei jeder Zeremonie ist Legba, der Wächtergott, welcher die Menschen vor Gefahren warnt. Bei vielen Zeremonien tanzen nur Frauen. Sie sind dabei von Kopf bis Fuß weiß gekleidet.

Beliebte Opfergaben bei diesen Zeremonien sind Kaurimuscheln. Doch auch als Schmuck werden die Muscheln häufig verwendet. In früheren Zeiten dienten sie als Tauschobjekte und eine Art Geld. Mit den Kaurimuscheln werden auch Orakel geworfen. Diese uralte Technik wenden vor allem Frauen an. Sie wurde der Legende nach einst von den Priesterinnen des Voodoo-Kultes entwickelt, um künftige Ereignisse deuten zu können.

In Westafrika gibt es zahlreiche unterschiedliche Ausprägungen des Voodoo-Kultes. An der nigerianischen Küste etwa verehren die Einwohner Mami Wata. Diese Göttin wird halb als Frau, halb als Nixe dargestellt. Ihre außergewöhnliche, weiße Hautfarbe veranlasste zahlreiche Forscher zu der Spekulation, Mami Wata sei den Gallionsfiguren europäischer Segelschiffe nachempfunden worden, die meist hellhäutige Frauen zeigten. Doch inzwischen konnten Ethnologen nachweisen, dass die helle Haut der Göttin auf ihren Aufenthalt im Wasser zurückgehen soll, wo nach dem Glauben der Voodoo-Anhänger die Haut nicht genügend Sonne bekommt und daher ausbleicht. Das größte Mami-Wata-Fest jedoch wird am 21. Dezember jedes Jahres in Aneho (Togo) gefeiert.

Vor allem in Nigeria gibt es noch zahlreiche andere Voodoo-Götter, teilweise in Heiligen Hainen verehrt werden. Der Voodoo-Kult ist dort auch Weißen zugänglich. So wurde vor wenigen Jahren die Österreicherin Susanne Wenger in Oshogbo zur Priesterin des Flussgöttinnen-Kultes geweiht.

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Über Thomas Ritter 110 Artikel
Thomas Ritter, 1968 in Freital geboren, ist Autor und freier Mitarbeiter verschiedener grenzwissenschaftlicher und historischer Magazine. Thomas Ritter hat zahlreiche Bücher und Anthologien veröffentlicht. Außerdem veranstaltet er seit mehr als zwanzig Jahren Reisen auf den Spuren unserer Vorfahren zu rätselhaften Orten sowie zu den Mysterien unserer Zeit. Mit seiner Firma „Thomas Ritter Reiseservice“ hat er sich auf Kleingruppenreisen in Asien, dem Orient, Europa und Mittelamerika spezialisiert. Mehr Informationen auf: https://www.thomas-ritter-reisen.de Nach einer Ausbildung zum Stahlwerker im Edelstahlwerk Freital, der Erlangung der Hochschulreife und abgeleistetem Wehrdienst, studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte an der TU Dresden von 1991 bis 1998. Seit 1990 unternimmt Thomas Ritter Studienreisen auf den Spuren früher Kulturen durch Europa und Asien.