„Wer wie der Hamburger CDU-Vorsitzende Ploß nur 15 Prozent holt, der sollte sich mit Ratschlägen zur Ausrichtung der CDU zurückhalten.“
Karl-Josef Laumann, CDU
Wenn ich irgendwann mit einem Raumschiff diese Erde verlassen müsste, dann müsste es so aussehen wie das Berliner ICC.
Eine wunderschöne Hymne auf diesen „Panzerkreuzer Charlottenburg“ hat Niklas Maak in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben. Das seit Jahren leerstehende Berliner ICC wird jetzt zehn Tage lang von Künstlern bespielt und belegt das immense Potenzial des Riesenbaus, eines „Labyrinthgarten voller Fiktionen“.
Hier, nur hier wäre zum Beispiel der Ort, wo man eine wirklich neue, also eine neu gedachte Berlinale veranstalten könnte.
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Zwei Wochen nach der Wahl sind die Sondierungen für die Ampel in vollem Gange. Von allem Möglichen ist da die Rede. Aber eigentlich gar nicht von Corona. Obwohl wir doch noch mitten in der Pandemie sind. Ist das in Ordnung so?
Eigentlich darf man gespannt sein, wo sich die zukünftigen Koalitionsparteien am Ende treffen und wo sie sich streiten werden. Denn auf der einen Seite der Skala steht das Beharren der FDP auf Rechtsstaatlichkeit in den Verfahren und dem Vorrang der individuellen Freiheitsrechte der Bürger. Beides wurde von manchen nicht als Prinzipientreue, sondern als Leichtfertigkeit wahrgenommen – darf man hier an Wolfgang Kubickis mir persönlich hochsympathisches, aber für einen Politiker vielleicht nicht recht angemessenes öffentliche Zugeben verbotener Kneipenbesuche während des Lockdowns („Ja, selbstverständlich, was denn sonst? Es haben sich Leute natürlich an ihren Stammtischen getroffen, obwohl es verboten war.“) erinnern? Und auf der anderen Seite die dauerbesorgte Corona-Moral und das Gesundheitsmoralisieren von Katrin Göring-Eckardt bei den Grünen.
Zumindest in einem sind sich beide Parteien allerdings schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen einig: In der Kritik am Robert-Koch-Institut. Politiker beider Parteien haben politische Einflussnahme auf das Robert-Koch-Institut beklagt und Kritik an Instituts-Chef Lothar Wieler geübt. Jüngster Anlass ist das Eingeständnis des Instituts, dass die Zahl der Geimpften offenbar lange zu niedrig angegeben worden sei. Bei Wieler gebe es „von Fehlereinsicht keine Spur“, sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). Auch der Grünen-Politiker Dieter Janecek kritisierte: „Deutschland ist mal wieder überfordert.“ Janecek kritisiert auch die langen Schulschließungen in Deutschland: „Das RKI hat einen Kurs mitgetragen, der auf Kinder als angebliche Infektionstreiber ein besonderes Augenmerk gelegt hat.“
RKI-Chef Wieler sei „zu nah dran an der Linie der Bundesregierung“, wird kritisiert. Die FDP will, dass die Behörde nicht länger dem Bundesgesundheitsministerium untersteht: „Wir machen uns dafür stark, dem RKI künftig politische Unabhängigkeit zu garantieren.“
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Nach neuesten Angaben des RKI sind in der erwachsenen Bevölkerung bis zu 80 Prozent vollständig geimpft, immerhin 5 Prozent mehr als bisher angegeben.
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Eine interessante Frage wird dann auch die, wer wohl in der neuen Koalition das Gesundheitsministerium übernimmt? Schafft es Karl Lauterbach, der in der Pandemie in manchen Kreisen zum Volkshelden wurde, in anderen zur Hassfigur, der aber seiner eigenen Partei aus vielen Gründen eher unbeliebt ist. Erinnern wir auch hier mal kurz daran, dass Karl Lauterbach zwar wirkt, wie der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, dies aber keineswegs ist. Er ist einfach nur der gesundheitspolitische Sprecher der „Markus Lanz“-Show, für die SPD im Parlament ist weiterhin Sabine Dittmar zuständig.
Kubicki hat übrigens auch das Verhalten der CSU gegen die CDU kommentiert: „Ein solches Maß an Illoyalität wie von Söder oder Blume habe ich in meinem ganzen politischen Leben noch nie erlebt – und ich bin 50 Jahre in der Politik.“
Unter den gefühlt Hunderten von Interviews am Wahlabend war für mich das interessanteste ein Gespräch in den „Tagesthemen Extra“. Dort trafen Robert Habeck und FDP-Vize Johannes Vogel zusammen. Habeck war da – vier Stunden nach Schließung der Wahllokale und mit frisch geschnittenen Haaren – keineswegs schlecht gelaunt, eher Ernst und Konzentration zeigend, gerade in der Phase die Zügel anzuziehen, und de facto die alleinige Führung der Grünen für alle anstehenden Fragen zu übernehmen.
Es war interessant, wie er das Ergebnis seiner Partei kommentierte: „Wir haben ordentliche Zuwächse, aber so ein bisschen bleibt einem die Freude im Hals stecken. Das ist ja offensichtlich: Wir sind nicht da, wo wir hin wollten; wir haben es nicht geschafft über 20 Prozent zu holen. […] Nun ist der Wahlkampf ja vorbei, nun ist es auch egal, jetzt gucken wir nach vorne. Und versuchen aus dem Ergebnis das zu machen, was kompliziert genug ist: nämlich Deutschland eine Regierung zu geben, auf die sich niemand wirklich vorbereitet hat. Das kennt ja die Bundesrepublik auf der Bundesebene gar nicht, so eine Dreierkonstellation zu bauen, und so sehr der Wahlkampf ein Gewürge war – jetzt muss es vorbei sein. Es muss eine konzise, präzise Regierung geben, die die Größe der Aufgaben auch bewältigen kann. Und das wird anspruchsvoll genug sein. […] Es muss eine Regierung sein, die einen Plan, ein Ziel, ein Projekt, eine Identität hat, und da hilft jetzt das ganze Rumgerenne und Malen nach Zahlen-Spiel überhaupt nichts. Jetzt muss man mal inhaltlich einsteigen. […] Es ist eben nicht Rot-Grün. Es ist jetzt ein kompliziertes Bündnis und nicht ein Rot-Grün zu dem noch eine gelbe Spachtelmasse dazukommt, sondern es ist ein völlig anderes Bündnis.“
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Johannes Vogel sekundierte: „Woran dieser Wahlkampf gekränkt hat, das war doch, dass wir gar nicht mehr in Jahrzehnten gedacht haben. Das wir gar nicht mehr erklären konnten: was tun wir jetzt um die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft zu lösen? Dekarbonisierung, aber auch Demografie, wie soll das Rentensystem in Zukunft funktionieren? Dann Digitalisierung: Da müssen wir eine Modernisierungs-Koalition schmieden.“
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Das skizziert beides ganz gut die Chancen der zukünftigen Koalition. Und tatsächlich stört mich derzeit an der Berichterstattung vor allem der Öffentlich-Rechtlichen, dass sie in erster Linie von Themen und Sachfragen ablenkt, Probleme konstruiert, anstatt Chancen zu sehen, und über jene Lösungen zu berichten, die de facto schon längst auf dem Tisch liegen.
Ein paar Beispiele dafür bietet vor allem das ZDF. Schon am Wahlabend unterbricht Claus Kleber mehrfach Olaf Scholz mit der Behauptung, nur „Bruchteile eines Prozent“ liege er vorn; ein Mandat bekäme doch „am Ende“ der, der die Koalition für eine Kanzlermehrheit bildet, und vergleicht Scholz mit Gerhard Schröder am Ende seiner Kanzlerschaft.
„Berlin Direkt“ beim ZDF am gestrigen Sonntag, war sogar aktiv spalterisch und problematisierend unterwegs, und konstruierte lauter Hindernisse: Mit Thriller-Musik und Zitaten aus Wahlkampfreden unterlegt kommt man auf „innere Widersprüche“ und die Behauptung „kaum einer“ sei „mehr Antipode in der Finanzpolitik als FDP und Grüne“ und muss schon die Ex-Politiker Rainer Brüderle und Ludger Vollmer aus der Geisterbahn holen, um Unvereinbarkeiten zu konstruieren.
Auch da wieder trat dann Robert Habeck auf: „Erst einmal muss man sich klarmachen, dass es auch Projekte gibt, die nur in einer Koalition zwischen FDP und Grünen wahrscheinlich wirklich gedeihen können: Der gesamte Bereich von gesellschaftlicher Liberalität…“ Doch die ZDF-Moderatoren grätscht auch hier dazwischen: „nur mit der Finanzierung …“. Worauf Harbeck kontert: „Das kostet erstmal nicht sehr viel. Das sind vor allem Rechte, die Menschen verliehen werden, beziehungsweise Rechte-Verweigerungen, die zurückgenommen werden. Das ist relativ kostenfrei zu haben. Aber immer wenn es sich verhakt, lohnt ein Blick auf das, was verlorengeht, wenn es nicht gelingt.“ Spalten statt versöhnen im ZDF; Habek aber redet über Chancen und über Gemeinsamkeiten.
Dann beginnt auch der Deutschlandfunk die Diskussionssendung „Kontrovers“ an diesem Montagmorgen mit der Anmoderation „Die inhaltlichen Hürden sind groß.“ Es ist eigentlich nicht akzeptabel, wie unabhängige (nicht private) Medien hier immer wieder das Spektakel reproduzieren, die Narrative der Parteien übernehmen, anstatt etwas zu durchdringen und ein paar Dinge klar zu machen.
Das Neue, was die Ampelkoalition verwirklichen will, ist anders zu sein, partnerschaftlicher zu arbeiten, einen anderen Stil und anderen Ton zu praktizieren.
Viele Medien haben das noch nicht begriffen. Sie halten sich mit dummem Hickhack auf.
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Eine ziemlich gute kluge differenzierte Analyse der Wahlniederlage erlebte man bei „Markus Lanz“ durch CDU-Minister Peter Altmaier.
Während Lanz sich damit verausgabte, wie ein Detektiv des Politischen, der irgendwelche banalen Zeitschienen darüber aufzustellen, und zu rekonstruieren, ob jetzt zuerst Söder oder doch Altmaier irgendwas gegen Laschet getrittert hatte, resümierte Altmaier ernst: „Es gab zwei Lektionen. Die erste, dass wir Wähler verloren haben, die uns viele Jahre die Treue gehalten haben, an die SPD. Und viele junge und moderne Wähler an die Grünen verloren (1,3 Millionen) als auch an die FDP. Wir sind zurückgeworfen worden auf den harten Kern unserer Stammwähler, die Treuesten der Treuen. Wir fühlen uns diesen Wählern verpflichtet. Aber wir möchten wieder die große Volkspartei der Mitte werden, die wir 70 Jahre lang waren. Das Zweite war: Wir hatten mit unserem Kanzlerkandidaten ein personales Angebot gemacht, und am Ende hat dieses Angebot eben nicht dazu geführt, dass wir in die Offensive gekommen sind, dass wir neue Wählerinnen und Wähler gefunden haben.
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Er raucht. Er ist unrasiert. Er isst Schokolade. Er kann gut reden. Er hat Charisma: Kevin Kühnert. Es ist eine furiose sechsteilige Serie, die der NDR, ausgerechnet die wegen „Lovemobil“ vielgescholtene Redaktion um Timo Großpietsch, jetzt über Kevin Kühnert gedreht hat. Sie hat den SPD-Jungstar in einer Langzeitdoku seit 2018, der Hessen-Wahl, begleitet.
Wir erleben die Demütigung dieser großen Partei, viel praktische Politik, manche Momente, in denen man gern mehr sehen würde, weniges Verräterische: Der Moment an dem wir sehen, dass Kühnert nicht eingeweiht war, wie die von ihm protegierten Parteivorsitzenden mit Olaf Scholz dessen Kandidatur auskungeln.
Politik ist auch hier das langsame Bohren dicker Bretter. Sie ist Bahnhöfe, Züge, Sitzen, Reden, Telefone, Pressechecks auf dem Tablet, Klinkenputzen im Wahlkreis. Wir erleben wie das rechtsbürgerliche Lager Kühnert dämonisiert. Man ist nie privat bei ihm. Keine Eltern. Keine Freunde. Kein Freund. Wir sehen wie er NoWaBo und Esken coached: „Angstszenarien zurückweisen. Unsere SPD arbeitet nicht mit Angst. […] Ihr habt Lust. Lust, Lust, Lust – spielt den Vorteil bitte aus. Deshalb steht ihr hier!“
Und einmal erklärt Kühnert sein Verhältnis zur Doku: „Du setzt selber die Grenzen. Wenn ich sage: „Is nicht’, dann is nicht.“
Eine unbedingt auch über dreieinhalb Stunden lohnenswerte, unterhaltsame Doku-Serie in der ARD-Mediathek.