Bilder des Todes. Wie Corona-Tote unser Leben verändern

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Mittlerweile sind in den vergangenen zwei Jahren fast fünf Millionen Menschen an oder mit einer Corona- oder Covid-19-Infektion gestorben. In Deutschland werden es bald 100 000 Corona-Tote sein. Das sind in groben Zügen so viele wie die gesamten Einwohner der Stadt Würzburg, in der ich lebe. Obwohl ich selbst Arzt bin, war ich noch nie beim Sterben eines Corona-Patienten dabei. Dies liegt auch daran, dass ich nicht auf einer Intensivstation oder einer speziellen Corona-Station arbeite. Die Familienangehörigen, deren Vater, Mutter, Bruder oder Schwester im Krankenhaus an Corona gestorben sind, waren meist beim Sterben nicht dabei. Die jeweils gültigen Hygienevorschriften oder Infektionsschutz-Gründe erschwerten dies. Der Tod von Corona-Patienten ist also oft ein anonymer und einsamer Tod. Die Chiffre von der „Einsamkeit der Sterbenden“ des berühmten Soziologen Norbert Elias ist also gerade bei den Corona-Toten eine schreckliche Wirklichkeit geworden.

Bilder des Corona-Todes – eine Ikonographie des Schreckens

Da die lebendige Nähe als Teilnahme bei Sterben und Abschiednehmen oft nicht möglich oder deutlich erschwert war, besetzten Bilder die zurückbleibende Leere des Erlebens. Fernsehzuschauer oder Zeitungsleser werden mit einer Flut von Bildern konfrontiert, die das Massensterben verdeutlichen. Das erlebnismäßige Vakuum, das dadurch entsteht, dass sehr viele Angehörige eben nicht beim Sterben dabei sein können, wird durch Gefühle gefüllt, die durch die Bilder geweckt werden.

Die Macht der Todesbilder in den bisherigen vier Corona-Wellen

Die Corona-Pandemie begann im Ursprungsland China im Dezember 2019 – deshalb auch die Kurzbezeichnung „Covid-19“, die für Corona-Virus 2019 steht. Die bisherigen Corona-Wellen haben jeweils typische Bilder, die in der jeweiligen Zeit weltweit zu sehen waren. Aus China, dem Land, in dem die Corona-Pandemie begonnen hat, stammen keine Bilder von Leichenbergen oder gestapelten Särgen mit Corona-Toten. Paradigmatisch für die erste Corona-Welle war das Massensterben im norditalienischen Bergamo. In allen Medien waren die Bilder der berüchtigten langen Militärkonvois zu sehen, die mit Särgen von Corona-Toten beladen waren und zum nächsten Krematorium oder Friedhof fuhren. In der zweiten und dritten Welle vom Sommer 2020 an standen Massengräber auf Manhattan oder in Brasilien im Vordergrund. Der Armenfriedhof in New York vor der vorgelagerten Insel „Hard Island“ wurde zum Standort für Massengräber für arme Corona-Tote, denen keine bessere Beerdigung vergönnt war. Breite Kühlwagen fuhren über eine schmale Brücke zur Insel Hard Island, um den armen Corona-Toten eine letzte Ruhestätte zuzuweisen. Zahlreiche Zeitungsartikel mit der Überschrift „Die Toteninsel“ gingen mit entsprechenden Bildern durch die Medien. Durch die vollkommen verfehlte Corona-Politik des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro war die Todesrate in Brasilien sehr hoch. Lange Reihen von ausgehobenen Massengräbern waren hier die entsprechenden Todesbilder.

Nun hätten die westlichen und zivilisierten Länder nach fast zwei Jahren Kampf mit der Corona-Pandemie deutlich besser vorsorgen können, damit die vierte Welle nicht wieder eine Flut von Corona-Toten mit sich spült. Durch den außergewöhnlich großen medizinischen Fortschritt und nennenswerte Meisterleistungen von Virologen ist es gelungen, frühzeitig effektive Impfstoffe gegen die Corona-Infektion zu entwickeln. Ein unglaublicher und einmaliger Segen der Medizin! Und was haben die Menschen in reichen oder zivilisierten Ländern und ihre verantwortlichen Politiker mit diesem Segen der Medizin getan? Unzumutbare Verzögerungen bei der Impfstoffbeschaffung und bei der Durchführung der Impfaktion sowie eine große Zahl von Impfgegnern führten dazu, dass nach der dritten Corona-Welle viel zu wenige Menschen geimpft waren, gerade auch in den Staaten, in denen jeder Bürger ein Impfangebot bekam. In diesen Ländern hatten die Menschen immerhin eine Wahlmöglichkeit. Menschen aus diesen Ländern gingen als Impfgegner auf die Straße und versammelten sich zu Protestdemonstrationen. Viele von ihnen bezahlen für ihren Irrtum und ihre Verblendung in der vierten Welle mit ihrem Leben durch einen Corona-Tod. Die vierte Welle der Corona-Pandemie ist durch die Delta-Variante des Virus weit ansteckender als die vorherigen Varianten. Geimpfte und Genesene können zwar durchaus angesteckt werden oder die Infektion weiter übertragen, sie sind jedoch zu einem sehr hohen Prozentsatz vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt. Diese große Chance nicht wahrzunehmen ist ein großer Fehler. Manche Menschen lernen aus Fehlern, viele jedoch leider nicht.

Mittlerweile tauchen neue Bilder aus der vierten Corona-Welle auf. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass diese Bilder aus einem Land kommen, in dem seit Monaten jeder Bürger eine Impfung erhalten kann, der sie annehmen will. Es wurden sogar verschiedenste Belohnungsprogramme für die noch nicht Geimpften aufgelegt. Nun kommen Bilder aus dem US-Staat Florida, die Särge mit Corona-Toten vor überfüllten Krematorien zeigen. Die Überlastung von Intensivstationen wird in den prekären Regionen oder Ländern dadurch deutlich, dass nicht alle Corona-Patienten, die einen Beatmungsplatz auf der Intensivstation benötigen, diesen auch bekommen können. In der Medizin sprechen die Experten von „Triage“. Die Ärzte müssen entscheiden, wer einen freiwerdenden Beatmungsplatz bekommt und wer nicht. Ein Beatmungsplatz wird oft dadurch frei, dass ein anderer Corona-Patient stirbt.

Die langen Kolonnen von Militärlastern vor norditalienischen Friedhöfen und Krematorien haben im März 2020 das Massensterben bildhaft symbolisiert. Eineinhalb Jahre später tauchen jetzt ähnliche Bilder aus dem amerikanischen Bundesstaat Florida auf: überfüllte Krematorien und gestapelte Särge. Jene Menschen, die eine angebotene Corona-Impfung abgelehnt haben und nun daran gestorben sind, haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt und mussten für ihren gravierenden Fehler sterben. Die vierte Welle wurde zur „Pandemie der Ungeimpften.“

Angst und Schrecken   

Liest man die großen Romane über Pandemien in früheren Jahrhunderten, so waren schon immer Angst und Schrecken die ständigen Begleiter einer Pandemie. Dies ist auch heute im 21.Jahrhundert so. Angst und Schrecken können dazu führen, Hilfsangebote zu suchen und anzunehmen. Dies wäre im Jahr 2021 die Impfung. Virulente Angst kann jedoch nach psychologischen Erkenntnissen fatale Gegenreaktionen hervorrufen – die Verdrängung und Verleugnung. Manche Menschen wollen die Realität nicht wahrhaben und flüchten sich in irreale Phantasiekonstruktionen. Dies wären zum Beispiel die vielgestaltigen Verschwörungstheorien von Impfgegnern. Für aufgeklärte Menschen im 21. Jahrhundert ist es wichtig, mit Mut und Engagement für die rationalen Erkenntnisse der Wissenschaft einzutreten. Dies kann bedeuten, mit Nichtgeimpften oder Impfgegnern einen konstruktiven Diskurs oder Dialog zu führen, der vielleicht eine positive Umstimmung ermöglicht. Alle nichtgeimpften Menschen, die schließlich im Jahr 2021 an einer Corona-Infektion sterben, sind ein bitteres Lehrstück. Sie hätten nämlich gerettet werden können. Und wie gesagt, mittlerweile sind weltweit fast fünf Millionen Menschen an oder mit einer Corona-Infektion gestorben. Seit fast einem Jahr gibt es mehrere wirkungsvolle Impfstoffe gegen eine Corona-Infektion. Sehr viele Corona-Tote der letzten Monate wären also vermeidbar – durch eine Impfung. Fünf Millionen Corona-Tote sind die offiziellen Zahlen. Die wirklichen Zahlen dürften wesentlich höher liegen, da die Zahlen aus nicht demokratischen Staaten vermutlich „geschönt“ sind und nicht die reale Situation widerspiegeln. Autoritäre Systeme und Diktatoren haben die Tendenz, zu niedrige Zahlen von Corona-Toten ihres Landes anzugeben, um besser dazustehen.

Die Unvernunft zu vieler Menschen lässt befürchten, dass die Bilder des Todes noch eine Zeitlang um die Welt gehen. Die Macht dieser Bilder ist enorm. Sie soll es auch sein, denn es geht schlicht um Leben und Tod.

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.