O du beschaulich-schönes Biedermeier! So ruft man aus, wenn man Gemälde von Waldmüller oder Eybl sieht. Mindestens seit der ersten umfassendsten Retrospektive auf sein umfangreiches, noch immer nicht vollständig entdecktes, sehr intimes Oeuvre, 2013 ausgerichtet von den beiden genannten Ausstellungs-Häusern in Linz, wird man den dritten im (oberösterreichischen) Bunde dazu nennen: Johann Baptist Reiter (1813 – 1890). Nie gehört? Doch bestimmt einiges von diesem Maler schon gesehen, ohne es zu wissen.
Für einen „Künstler von ausgesprochenem Talente“ hielt ein Kritiker vor 140 Jahren den vor 200 Jahren in Urfahr/Linz geborenen Sohn eines Tischlers. Besonders in seinen frühen Lebensjahren habe er „zu den besten Hoffnungen“ berechtigt. Bestätigt wurden ihm neben einer unzweifelhaften technischen Sorgfalt „frisches Colorit“ und Treffsicherheit im Porträtieren. Der mehrfach Gelobte musste sich allerdings „Vielmalerei“ vorwerfen lassen.
Seltsam, dass das Werk eines der einnehmendsten oberösterreichischen Biedermeier-Maler in Vergessenheit geriet. Wer beklagt, dass „viele seiner Hauptwerke bis heute verschollen sind“, ist ein Kenner des wahrnehmbaren Opus von J. B. Reiter, der Linzer Museumsmann Lothar Schultes. Ihm, der schon 1990 zu Reiters 100. Todesjahr publizierte, war die sinnigerweise auf zwei Häuser verteilte immense Werk-Schau hauptsächlich zu danken, von der gottlob noch das gewichtige Begleitbuch kündet, das detaillierte Auskünfte über Reiters Bedeutung als Maler leider wenig Konsistentes über sein Leben, gibt. „Die meisten erreichbaren Werke des Künstlers konnten gezeigt“ und vieles einbezogen werden, was „bisher eher ausgeklammert wurde“, sagt Schultes.
Hierzu zählt nicht zuletzt „die religiöse Thematik“. Schon vor dem Besuch der Wiener Akademie erwies Reiter sich als Kreuzwegbilder-Maler. Frühe Lehrmeister regten ihn zu Arbeiten für St. Marienkirchen an der Polsenz und die Wallfahrtskirche von Maria Scharten an. Ein schönes Selbst-Bildnis Reiters wird mit dem Entwurf einer „Anbetung der Hirten“ auf der Malerstaffelei kombiniert (1834/35). „Porträte (sic!), Genre, Kreuzwegbilder und Altarblätter“ – nach Selbstauskunft waren dies die Metiers, die der die Wiener Akademie Verlassende vorzüglich bediente. Ein Bild der drei Jünglinge im Feuerofen, 1841, misslang zwar, doch kam der Porträtist und Genremaler J. B. Reiter dennoch immer wieder auf Religiöses, auf eine heilige Familie etwa oder die Büßerin Maria Magdalena, auch wenn diese und ähnliche Sujets wenig eindrücklich waren.
Ganz strikt und allmählich eroberte Johann Baptist Reiter sich einen festen Platz als Porträtist. Besonders gelobt wird sein wachsendes Einfühlungsvermögen in die weibliche Psyche. Zarte Züge und fraulichen Adel verlieh er seinen fast durchwegs Schönen, etwa seiner eigenen noch jungen Mutter auf dem wohl 1837 entstandenen narrativ bestimmten Gemälde „Die fleißige Tischlerfamilie“ – hier hat man die Chance, des kleinen Hansl Reiters kindliche Umgebung kennen zu lernen; ging er doch bei seinem Herrn Papa in die Lehre – aber auch einer knienden Stifterin auf dem Votivbild für die Wallfahrtskirche Pöstlingberg (1840).
Zunehmend saß dem Verheirateten seine junge Frau Maria Anna Modell. Bedeutend werden neben den zahlreichen „Frauenbildern“ Reiters keineswegs nur heiter-verspielte, auch sozialkritisch gesehene Kinderbildnisse und Kinderszenen. Den Höhepunkt seines malerischen Könnens sieht Lothar Schultes um das Jahr 1847 – Reiter ist 34 Jahre alt – als dieser, „zusammen mit Waldmüller und Eybl“, den „künstlerischen `Reiz` des Elends“ entdeckte. Über Erotisches gelangte Reiter zu den ihn im Spätwerk noch immer als großen Meister auszeichnenden Charakterbildnissen. Reiter schilderte mit dem vortrefflich geführten Pinsel die selbstzufriedene Gelassenheit eines Adeligen nicht weniger überzeugend als er einem Schusterbuben die Verschlagenheit und Pfiffigkeit ins Gesicht zu malen verstand.
In den überlieferten Familien-Szenen wird Reiter leicht gefällig. Er wiederholt sich. Er findet nichts Neues, er scheint Aufträge geflissentlich zu erfüllen, wobei ihn sein überdurchschnittliches Talent nie im Stich lässt und er auf alle ihm abgeforderte Genauigkeit achtet, die auch Stimmungen und Haltungen der Porträtierten wiedergeben.
Stets von neuem allerdings faszinierte Reiter – und fasziniert er den heutigen Betrachter noch mit – Schönheit, Ebenmaß und Klarheit der menschlichen Figur. Da gelingt ihm ein „sinnender Knabe“ ebenso trefflich wie die aus Privatbesitz entliehenen Porträts der Tochter Lexi, die er, mit Weinlaub im Haar, als lebenslustiges Geschöpf vorstellt. Dieser Ästhetizismus fiel bereits bei einem der beeindruckendsten – nicht umsonst zum Plakat- und Buchcover-Motiv gewählten – Selbstporträts (dem „mit rotem Schal“, 1842), ins Auge. Auf dieser Linie blieb Reiter bis zu den letzten Selbstbildnissen, die ihn als 66-Jährigen zeigen: ein feinfühlender, beinahe asketischer, besonnener und liebenswürdiger Mann, dem man uneingeschränktes Vertrauen schenkt.
Johann Baptist Reiter, der endlich Wieder- oder gar Neu-Entdeckte aus „Malösterreich“ starb, keineswegs (wie aus Nachrufen zu entnehmen ist) verarmt, in seinem Haus in Wien, wo er viele Jahre hindurch lebte und arbeitete, am 10. Januar 1899, 77 Jahre alt. Sein Herz wollte nicht mehr weiterschlagen. Ist es Fügung oder Zufall, dass in derselben Straße, in der Reiter lebte, sein Pendant Ferdinand Georg Waldmüller zu Hause war?
DAS BUCH
Lothar Schultes: „Johann Baptist Reiter“, hrsg. vom OÖ. Landesmuseum und dem NORDICO Stadtmuseum Linz, 288 Seiten, durchgehend farbig bebildert, 34 Euro. Salzburg: Verlag Anton Pustet 2013
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