……setzt Ende des Jahres das große Rennen um Weihnachtsgeschenke ein. Und Lebkuchen und Stollen liegen bereits seit September in den Regalen der Supermärkte. Heimelige Vorweihnachtsfreude will dabei so gar nicht mehr aufkommen. Nur Kinder spüren noch die unvergleichliche Atmosphäre dieser Zeit der Heimlichkeiten. Einen besonderen Beitrag leisten dabei Adventskalender in unterschiedlichster Art und Aufmachung. Der erste seiner Art wurde übrigens 1904 von dem Münchner Verleger Gerhard Lang auf den Markt gebracht. Er bestand aus einem Bogen mit Bildern zum Ausschneiden und einem mit 24 Feldern zum Aufkleben. Jeden Tag durften die Kinder ein Bild ausschneiden und in ein Feld kleben. Nach 1920 verbreiteten sich Kalender, deren Fensterchen man öffnen konnte. Dahinter war auf einer zweiten, angeklebten Papier- oder Pappschicht ein Bild zu sehen. Unzählige kreative Varianten fanden seitdem ihren Einzug in die Kinderzimmer und mitunter auch in die Weltliteratur:
„Unter solchen Umständen kam diesmal das Weihnachtsfest heran und der kleine Johann verfolgte mit Hülfe des Abreißkalenders, den Ida ihm angefertigt, und auf dessen letztem Blatte ein Tannenbaum gezeichnet war, pochenden Herzens das Nahen der unvergleichlichen Zeit.“ Mit „Weihnachten bei den Buddenbrooks“, einem Auszug aus Thomas Manns frühestem unter seinen großen Werken, startet eine besonders originelle Variante eines besonderen „Adventskalenders“ für Erwachsene. Allerdings hat dieser deutlich mehr „Türchen zum Öffnen“ als die Vorweihnachtszeit aufweist, handelt es sich doch hierbei um ein Buch. Gerade deswegen wäre es wohl jammerschade, diesem Tag für Tag seine Seiten, auszureißen. Verbergen sie doch 24 wunderbare Texte. Geschichten, Märchen oder Romanauszüge von namhaften Autoren wie eben jenem Thomas Mann, Theodor Storm, Charles Dickens, Agatha Christie, William M. Thackeray, Adalbert Stifter, dem Heidedichter Hermann Löns, der Schöpferin der Heidi, Johanna Spyri oder Rainer Maria Rilke sind darin enthalten. Aber auch unbekanntere Schriftsteller wie Auguste Branchart, Georg Ebers oder die zu ihrer Zeit überaus populäre Kinderbuchautorin Sophie Reinheimer verzaubern mit einfühlsamen und weihnachtlichen Erzählungen.
Fernab jeglicher Hektik, gemütlich bei einem Glas (Glüh-)Wein und vielleicht umweht vom Duft einer Räucherkerze, sitzt man mit Theodor Storm „Unter dem Tannenbaum“, knackt Nüsse mit E.T.A. Hoffmann („Nussknacker und Mausekönig“), sucht mit Gerda den von Hans Christian Andersens „Schneekönigin“ entführten Kay, erlebt „Schneewittchens Weihnachten im Wald“ (Adolf Gelber) oder wartet mit Selma Lagerlöf auf „Die Heilige Nacht“. So holt man sich vielleicht doch noch ein klein wenig Muse und Besinnung und zwar durch den Genuss liebevoll ausgewählter Literatur. Um dann am 24. Dezember das letzte Türchen… nein… die letzte Geschichte aufzuschlagen und im Kreise seiner Lieben „Die Weihnachtsgeschichte“ von Lukas aus dem Neuen Testament, die gerade an diesem Tag in unzähligen Krippenspielen nachgespielt wird, zu intonieren.
Fazit: 24 literarische „Kästchen“ in einem ganz besonderen „Adventskalender“ können gerade die in der Weihnachtszeit vielfach so vermisste Besinnlichkeit verschaffen. Ein Buch mit bekannten, aber auch weniger populären oder in Vergessenheit geratenen Klassikern. Zum Verschenken genauso schön wie einfach nur zum selbst darin „Versinken“ – in Besinnlichkeit und mit Muse. Dann ignoriert man bestimmt all das schrille „Früher war mehr Lametta!“-Gezeter, um einmal Opa Hoppenstedt aus Loriots Weihnachtsklassiker zu zitieren und nimmt diese besinnliche Zeit auch wieder als solche wahr. Manchmal genügt eben nur ein kleines „Türchen“, um andere… innere Welten zu öffnen.
Juliane Beckmann (Hrsg.)
Der klassische Adventskalender
24 Geschichten bis zum Fest
Fischer (Tb.) Verlag (September 2013)
400 Seiten, Broschur
ISBN-10: 3596905575
ISBN-13: 978-3596905577
Preis: 10,00 EUR
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