Die Furcht vor der Freiheit und das Autoritäre. Zur Aktualität von Erich Fromm

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Vor 80 Jahren erschien das Buch „Die Furcht vor der Freiheit“ (englisch „Escape from Freedom“) von Erich Fromm (1900-1980). Der Inhalt dieses Werkes befasst sich mit zahlreichen Herausforderungen der Gegenwart und unterstreicht damit eindrucksvoll die Aktualität des Oeuvres von Erich Fromm. In einem der größten Kapitel geht es um die „Flucht ins Autoritäre“, um den autoritären Charakter, um autoritäre Führer und autoritäre Bürokratien oder Institutionen. Die darin entwickelten Erkenntnisse sind von höchster Bedeutung für das Verstehen zeitgenössischer Phänomene wie des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus. Weiterhin geht es in dem Buch – das ja schon im Titel der Freiheit gewidmet ist – um das Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit. Diese Wechselwirkung hat in den heutigen Zeiten der Corona-Pandemie letztlich für jeden reflektierenden Menschen große Relevanz.

Erich Fromm zählt zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Psychoanalytikern der Nachkriegszeit. Seine vier Hauptwerke wurden zu Weltbestsellern und haben ungewöhnlich hohe Verkaufszahlen – vor allem „Die Kunst des Liebens“. Dieses Buch wurde in mehr als fünfzig Sprachen übersetzt und hat eine Auflage von mehr als 25 Millionen. Erfolgreich wurden auch die drei anderen Hauptwerke: „Haben oder Sein“ (1976), die „Furcht vor der Freiheit“ (1941) und „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1974). Mit Karen Horney und Harry Stuck Sullivan zählt er zu den drei wichtigsten Vertretern der Neopsychoanalyse, die nach dem Tod Sigmund Freuds wesentliche Elemente seiner Theorie modifiziert haben. Im Jahr 2000 erschien eine Gesamtausgabe in zwölf Bänden in der Deutschen Verlagsanstalt. Ergänzend erschien eine gleichlautende Taschenbuchausgabe im dtv-Verlag (1999). Unter den deutschsprachigen Psychoanalytikern der Nachkriegszeit ist es nur einem weiteren Psychoanalytiker gelungen, dass eine Gesamtausgabe seines Werkes veröffentlicht wurde. Dies ist Alexander Mitscherlich (1908 – 1982), dessen Gesamtausgabe im Suhrkamp-Verlag erschien.

Kurzes biographisches Portrait

Erich Fromm wurde am 20. März 1900 in Frankfurt am Main als Sohn eines jüdischen Weinhändlers geboren. Er war ein Einzelkind und wuchs in Frankfurt auf. Dort begann er nach dem Abitur zunächst ein Jurastudium und wechselte dann zum Studium der Soziologie nach Heidelberg. Dort waren Karl Jaspers, Alfred Weber und Max Weber seine Lehrer. Im Jahr 1922 promovierte er schließlich bei Alfred Weber über „Das jüdische Gesetz“. Es folgten Aufenthalte in München und Berlin. In Heidelberg machte er eine Lehranalyse bei der Psychoanalytikerin Frieda Reichmann. Im Laufe dieser Lehranalyse verliebte er sich in seine Analytikerin und heiratete sie schließlich im Jahr 1926. Bereits 1931 hat sich das Paar wieder getrennt. Die offizielle Scheidung erfolgte erst im Jahr 1942. Wegen seiner jüdischen Herkunft emigrierte er im Jahr 1934 in die USA. Dort war Theodor Reik sein analytischer Lehrer. Mit ins Exil reiste die ihm schon in Deutschland seit längerem bekannte Psychoanalytikerin Karen Horney – eine weitere Hauptvertreterin der Neupsychoanalyse. Mit ihr hatte er eine langjährige Liebesbeziehung und Freundschaft. Im Jahr 1944 heiratete er die deutsch-jüdische Emigrantin Henny Gurland, die sich im Jahr 1952 suizidierte. Von 1950 an lebte er 25 Jahre in Mexiko. Er war lange Zeit Professor für Psychoanalyse an der Universität von Mexico-Stadt. Im Jahr 1953 ging er seine dritte Ehe mit der Amerikanerin Annis Freemann ein. Seine letzten sechs Lebensjahre verbrachte er in Muralto im Tessin (Schweiz). Kurz vor seinem 80. Geburtstag ist er am 18. März 1980 gestorben.

„Die Furcht vor der Freiheit“ – 80 Jahre später

Erich Fromm hat sein Werk „Die Furcht vor der Freiheit“ im Jahr 1941 unter dem englischen Titel „Escape from Freedom“ veröffentlicht. Vier Jahre später erschien eine deutsche Übersetzung in der Schweiz, die jedoch keine große Verbreitung fand. Genau 25 Jahre nach der englischsprachigen Erstpublikation erschien die erste deutsche Ausgabe in der Europäischen Verlagsanstalt Frankfurt. Dass es solange dauerte, bis dieses bedeutsame Werk in Deutschland erschien, hat aufschlussreiche Gründe. Erich Fromm war jüdischer Psychoanalytiker und war im amerikanischen Exil. Diese Autoren waren in der deutschen Nachkriegszeit nicht gerade beliebt. Weiterhin befindet sich in dem Buch eine Kritik an Martin Luther und Adolf Hitler. Das Nachkriegsdeutschland hatte bezüglich Nazi-Vergangenheit eine längere Zeit der Verdrängung. Die Auschwitzprozesse begannen auch erst 1963 – also 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung von Auschwitz.

„Flucht ins Autoritäre“

Erich Fromm beschrieb in seinem Werk „Die Furcht vor der Freiheit“ verschiedene Fluchtmechanismen, derer sich der moderne Mensch bedient, um den Herausforderungen der Freiheit auszuweichen. Die bedeutsamste davon ist die Flucht ins Autoritäre. Unter der Überschrift „Flucht ins Autoritäre“ findet sich in dem Buch ein ausführliches Kapitel von 30 Seiten (S. 116-145 in der deutschsprachigen Originalausgabe). Nach Erich Fromm sind es besonders Menschen, die unter Gefühl von Minderwertigkeit, Ohnmacht und individueller Bedeutungslosigkeit leiden, die sich in Abhängigkeit von anderen Personen und oder Institutionen begeben. Der psychodynamische Vorgang ist das Verlangen nach Unterwerfung und Beherrschung. In der Psychoanalyse wird diese Tendenz oft als masochistische Bestrebung bezeichnet. Menschen, die zu sadomasochistischen Strebungen neigen, haben nach Erich Fromm einen „autoritären Charakter“. Erich Fromm hat diesen Begriff bereits im Jahr 1936 und damit 15 Jahre vor Theodor W. Adorno formuliert und differenziert ausgearbeitet. Adorno und amerikanische Kollegen haben 1950 eine englischsprachige Version zur autoritären Persönlichkeit publiziert. Seine „Studie zum autoritären Charakter“ erschien erst posthum. Diktatoren des 20. Jahrhunderts wie Adolf Hitler und Josef Stalin sind Extremformen des „autoritären Charakters“. Die kollektiven Mechanismen dieser destruktiven Formen des Herrschens und Beherrscht-Werdens beschrieb Erich Fromm in dem Kapitel „Die Psychologie des Nazismus“.

Autoritärer Charakter, Adolf Hitler und der Sadismus des Nazi-Regimes

Erich Fromm hat mit luzider Weitsicht den autoritären Charakter bereits 1936 beschrieben. Er war zu dieser Zeit gerade zwei Jahre in seinem Exil in den USA, in das er vor Adolf Hitler und dem Nazi-Regime geflohen war. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in seinem Werk „Die Furcht vor der Freiheit“, das im Jahr 1941 englischsprachig erschien, Adolf Hitler als der Prototyp des extremen autoritären Charakters dargestellt wird. In dem Kapitel „Die Psychologie des Narzissmus“, das in der deutschsprachigen Originalausgabe 35 Seiten umfasst, wird nicht nur ein Psychogramm von Adolf Hitler entworfen, es finden sich auch zahlreiche aufschlussreiche Zitate aus Hitlers Autobiographie „Mein Kampf“. Erich Fromm zeigt darin sehr überzeugend, wie sich Adolf Hitler als ein autoritärer und charismatischer Führer inszenierte. Geschickt setzte er eine Propagandamaschine und seine Kenntnisse der Massenpsychologie ein, um die Massen und das Volk für sich zu gewinnen. Es war eine enorme Fähigkeit des Diktators, das Volk und die Massen hinter sich zu scharen und auch die Großindustrie und das Militär für sich zu gewinnen. Adolf Hitler stilisierte sich zu dem genialen Herrscher, der das Volk und die Massen für sich gewann. In mächtigen Großveranstaltungen und durch geschickte Propaganda gewann Hitler die Massen und kam in eine Machtposition, in der er schließlich durch freie Wahlen vom deutschen Volk legitimiert wurde. Der Machttrieb und die Machtgier von Adolf Hitler stiegen durch seine Erfolge von Jahr zu Jahr. Bereits in seinem Buch „Mein Kampf“ beschrieb er ausführlich seinen abgründigen Hass auf die Machtlosen und Ohnmächtigen, seine antisemitischen Tendenzen und die ungebremste Bereitschaft, die Juden auszurotten. Mit der Reichtskristallnacht und den Pogromen gegen Juden, Kommunisten und andere deklarierte Volksfeinde kristallisierte sich immer mehr der destruktive Sadismus von Adolf Hitler und seines Naziregimes heraus. Der Holocaust und die Vernichtungslager wie Auschwitz waren die logische Konsequenz dieses destruktiven Zerstörungswillens.

Die masochistische Unterwerfung der Autoritätsgläubigen

Der Weg zur absoluten Machtfülle von Adolf Hitler wäre nicht möglich gewesen ohne die korrespondierende masochistische Unterwerfung des Volkes. Im deutschen Volk gab es viele Autoritätsgläubige, die eine Sehnsucht oder Faszination für einen starken Führer hatten. Dies waren deutsche Bürger, die sich bedroht und vernachlässigt fühlten, Menschen, die sich durch den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg als benachteiligt oder geschädigt erlebten oder die durch Geschäfte mit reichen Juden Nachteile hatten. Adolf Hitler verstand es ganz geschickt, die höchst affektiven Ressentiments wachzurufen, die im deutschen Volk insbesondere gegen Juden, Kommunisten und Franzosen schlummerten. Erich Fromm ist es gelungen, die sadomasochistische Kollusion zwischen dem sadistischen Führer Adolf Hitler und der masochistischen Unterwerfung des deutschen Volkes zu analysieren. Es ist zu vermuten, dass heute – neunzig Jahre später – ähnliche kollektive Prozesse ablaufen: rechtsradikale und rechtspopulistische Führer verstehen es, durch Propaganda und massenpsychologische Inszenierungen, Ressentiments und destruktive Gewalt zu befeuern.

Aktueller Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus als „Flucht ins Autoritäre“

Es ist höchst bemerkenswert, dass die Initiatoren der Leipziger Autoritarismus-Studie aus dem Jahr 2018 für ihre Publikation genau jene Worte wählten, die Erich Fromm fast achtzig Jahre zuvor formulierte: „Flucht ins Autoritäre“. Die Herausgeber Oliver Decker und Elmar Brähler sehen Gemeinsamkeiten, wie kollektive Mechanismen und massenpsychologische Bewegungen, die sowohl im Jahr 1941 als auch im Jahr 2018 wahrzunehmen sind. Die Rechtsextremen und Rechtspopulisten der Gegenwart verwenden ja durchaus gerne Nazisymbole. Sie identifizieren sich mit deren Gedanken und Bestrebungen. Der ehemalige Mitarbeiter und Nachlassverwalter von Erich Fromm, Rainer Funk, hat im Jahr 2020 im Fromm-Forum eine hervorragende Analyse der gegenwärtigen politischen Entwicklungen zum Autoritarismus vorgelegt. Funk warnt vor den Gefahren, die in den modernen Bewegungen des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus liegen. Diese bedrohen die Demokratie, die Freiheit und humanistische Werte, für die sich Erich Fromm in besonderer Weise immer eingesetzt hat.

Literatur:

Adorno, Theodor W. (1973) Studie zum autoritären Charakter. Frankfurt, Suhrkamp

Decker Oliver, Brähler Elmar (Hrsg.): (2018) Flucht ins Autoritäre. Rechtsextreme Dynamiken in der Mitte der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismusstudie 2018, Gießen, Psychosozial-Verlag

Fromm, Erich (1941)  Die Furcht vor der Freiheit  (engl. Original: Escape from Freedom). Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1966

Fromm, Erich (1956) Die Kunst des Liebens. Deutsche Verlags-Anstalt Frankfurt am Main

Fromm, Erich (1974) Anatomie der menschlichen Destruktivität. Deutsche Verlags-Anstalt Frankfurt am Main

Fromm, Erich (1976) Haben oder Sein. Deutsche Verlags-Anstalt Frankfurt am Main

Fromm, Erich (1999) Gesamtausgabe in 12 Bänden. DVA 2000, Dtv-Verlag 1999, Taschenbuchausgabe

Funk, Rainer (2020) Flucht ins Autoritäre? Sozial-psychoanalytische Erklärungen gegenwärtiger politischer Entwicklungen nach Erich Fromm. Fromm-Forum 24, 2020 (S. 99-123)

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef, Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik und Poliklinik II, Oberdürrbacherstr. 6, 97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

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Über Herbert Csef 153 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.