Sind wir reif für die Demokratie?

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Zunächst möchte ich einige vielleicht interessante Gedanken voran stellen:

Auszug aus dem Fragment „Demetrius“ von Friedrich Schiller

Hier ist die Meinung von Fürst Sapieha, im poln. Reichstag:

Die Mehrheit?
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,
Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat? …
… Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;
Der Staat muss untergehn, früh oder spät,
Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.

Auszug aus dem Stück „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen

Stockmann (Badearzt):

Die Mehrheit hat nie das Recht auf ihrer Seite. Nie, sag‘ ich! Das ist auch so eine von den gesellschaftlichen Lügen, gegen die ein freier, denkender Mann sich empören muss. Woraus besteht denn die Mehrheit? Aus den klugen Leuten oder aus den dummen? Wir sind, denke ich, uns wohl darin einig, dass die Dummen in geradezu überwältigender Majorität rings auf der weiten Erde vorhanden sind. Aber zum Teufel noch mal, es kann doch nie und nimmer in Ordnung sein, dass die Dummen über die Klugen herrschen! …

… dass die Masse, dass die Unwissenden und Unfertigen innerhalb der Gesellschaft dasselbe Recht haben zu verdammen und anzuerkennen, zu regieren und zu beschließen, wie die kleine Zahl der geistig höherstehenden Persönlichkeiten.

So waren also Meinungen im Laufe der Geschichte. Sicher mögen manchem Menschen diese Forderungen heute noch einleuchten!

Aber es sind seither Jahrhunderte vergangen.

Und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO, 1948) zeigt uns heute eine großartige, ideale und anzustrebende Verhaltensweise aufgeklärter Menschen:

Artikel 1

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie

sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der

(Brüderlichkeit) Geschwisterlichkeit begegnen.

Artikel 21

  1. Jede Person hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.
  2. Jede Person hat das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande.
  3. Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch regelmäßige, nicht manipulierte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.

Diese Erklärung der Menschenrechte ist natürlich jedem wahren Demokraten aus dem Herzen gesprochen.

Soweit meine „Vorgedanken“.

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Ist unsere heutige Gesellschaft nun reif für die Demokratie? Dieser Frage möchte ich auf den Grund gehen.

Ich möchte auf Schiller zurückgreifen, diesen großen Europäer (Wie viele Kriege mussten geführt, wie viele Bündnisse geknüpft, zerrissen und aufs neue geknüpft werden, um endlich Europa zu dem Friedensgrundsatz zu bringen, welcher allein den Staaten wie den Bürgern vergönnt, ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten und ihre Kräfte zu einem verständigen Zwecke zu versammeln.Unser Schuldbuch sei vernichtet, ausgesöhnt die ganze Welt!  Schiller), Weltbürger und Zukunftsdenker. Ein Satz von Friedrich Schiller hilft vielleicht dabei. Dieser Satz hat Beständigkeit und ist für einen Demokraten Grundstein seiner Überzeugung, nämlich:

Der Staat kann nur so vollkommen sein

wie der Bürger, der ihn trägt.

Ist unser Staat vollkommen? Haben wir eine funktionierende Demokratie? Haben wir vollkommene Bürger? Und vor allem: Wer ist der vollkommene Bürger! Was macht ihn aus? Fragen auf die man, wie ich meine, Antworten finden soll. So alt ist die Demokratie ja noch nicht, wenn man die Geschichte der letzten 200 Jahre betrachtet, ist sie erst in einem Status Nascendi. Wir haben sicher noch viel daran zu arbeiten.

Dieses bei nüchterner Betrachtung beachtend, ist gegenwärtig immer noch ein bedeutender Mangel an lebendiger Demokratie festzustellen. Man muss sich provokant die Frage stellen: Herrscht nicht in gewisser Weise Diktatur, eine Diktatur der Manipulation?

Es agieren in der ganzen Welt an die Macht strebende, marktschreierische in Manipulation geschulte, lautstarke Werber für politische Ideen, Populisten. Das mag noch hingehen. Das wird es auch immer wieder geben. Es muss also eingewirkt werden auf die, die sich von dem Geschrei und den Floskeln der Populisten beeindrucken lassen. Und das sind immerhin eine ganze Menge – von Staat zu Staat verschieden.

Es kann sich auf diese Art und Weise kein Wohl für die Bevölkerung bilden.

Das heißt: Wenn ein vollkommener oder annähernd vollkommener Staat entstehen soll, also eine intakte Demokratie und das ist ja das Bestreben, so ist dieser Zustand, gemäß der Vorstellung Schillers, nur zu erreichen, wenn die „unvollkommenen“, „unmündigen“ Menschen dieses nach Vollkommenheit strebenden Staates vervollkommnet werden!

Hier ist von Vollkommenheit die Rede. Dieses Vollkommensein muss natürlich etwas relativiert werden. Es geht ja immer um das Anstreben des Vollkommenen, das Anstreben des vollkommenen Staates, das Anstreben des vollkommenen Menschen, aber das ist ja immerhin schon etwas!

Es ist solange nicht von einer lebendigen Demokratie zu reden, als unsere Gesellschaft auf der einen Seite viele ungebildete und somit unmündige, unfreie Bürger und Bürgerinnen hat und auf der anderen Seite eine manipulative, verführerische Macht besteht, die eine politische Mehrheit im Staat anstrebt.

Bevor der Mensch zum Staatsbürger wird, soll er vollkommen sein. Wie aber soll denn nun der Mensch aussehen, der dann den Staat trägt, der die Demokratie lebendig hält und sie so absichert? Er soll vollkommen sein! Aber wie kann sich der Mensch vervollkommnen?

Wir benötigen einen ganzheitlich gebildeten Menschen!

Der Mensch ist nur als gebildeter Mensch für die Gemeinschaft, für den Staat ein vollkommener Bürger. Und ein gebildeter Mensch kann ja nur derjenige sein, der frei von äußeren und inneren Zwängen ist, der in sich ein selbständiges Urteil fällen kann und somit immun für jedwede Manipulation ist. Seine Stimme soll er als innerlich freier, dem eigenen Urteil gehorchender Mensch erheben bzw. bei Wahlen abgeben können.

Nun muss man sich fragen: Ist es in unserer Gesellschaft jedem Menschen ermöglicht worden diese Eigenschaften wie innere Freiheit, eigenes Urteilsvermögen zu erlangen?

„Leitfaden für Kulturelle Bildung“ der UNESCO ( Lissabon 2006): Erhaltung des Menschenrechtes auf Bildung… Kunst und Kultur sind unerlässliche Bestandteile einer umfassenden Bildung, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sich voll zu entfalten… Kunst sollte den Lernenden nach und nach durch künstlerische Praxis und Erfahrungen näher gebracht werden. Dabei sollte nicht Wert des Ergebnisses, sondern auch jener des Prozesses selbst berücksichtigt werden.

Artikel 26: Jeder Mensch hat Recht auf Bildung. … Die Bildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben.

Da sind die Forderungen der UNESCO und der UNO. Werden diese Forderungen in der Erziehung unserer Jugend, die noch ohne Vorurteil ist und so zur Bildung der eigenen Individualität, der eigenen Fähigkeiten, ja zu seiner persönlichen Freiheit gelenkt werden könnte, umgesetzt?

Um diesen Forderungen genüge zu tun sind manche Überlegungen und Prüfungen des Status quo anzustellen.

Wir sehen ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten. Ewig nur an ein Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet der Mensch selbst nur als Bruchstück sich aus.

                                                                                                  Friedrich Schiller 1759 – 1805

Also, meine Freunde, verwechselt mir diese Bildung, diese zartfüßige, verwöhnte ätherische Göttin nicht mit jener nutzbaren Magd, die sich mitunter auch die „Bildung“ nennt, aber nur die intellektuelle Dienerin und Beraterin der Lebensnot, des Erwerbs, der Bedürftigkeit ist.

                                                                                                           Friedrich Nietzsche 1872

Bleibt nun allerdings die Erziehung des Menschen bei der Erziehung zum Berufe stehen, so entstehen freilich keine Menschen, sondern einseitige Banausen.

                                                           Georg Kerschensteiner, Münchner Stadtschulrat 1901

Man muss nicht das Kind einfach hinführen zu dem, was die vorgerückte Kultur in dieser Beziehung ausgebildet hat, man muss das Kind hinführen zu dem, was es selber aus seiner Wesenheit heraus will. (Etwa 1918)

                                  Rudolf Steiner, u.a. Begründer der Waldorf-Pädagogik, die einzige mir      

                                  bekannte Pädagogik, die sich mit der Schillerschen Ästhetik deckt.

Eine gesunde körperliche, seelische und geistige Entwicklung kann nur gelingen, wenn man die Bedingungen kennt, die dies ermöglichen. Wichtigste Bedingung aber ist, die Eigenaktivität der Kinder und Jugendlichen zu unterstützen – in Form von körperlicher Tätigkeit, künstlerischen Aktivitäten und sozialer Interaktion in Familie, Schule und Freundeskreis. Genau diese drei wesentlichen Tätigkeitsfelder aber werden durch die digitalen Endgeräte unterbunden. Das Interesse wird durch die Vorgaben der Software gelenkt, der Köper ist in Ruhe, oft in einer Fehlhaltung. Zudem finden keine realen sozialen Auseinandersetzungen und Lernprozesse statt. So bleibt eine Gehirnreifung aus, die zu einem gesunden Selbst- und Umweltbewusstsein führt. Bereits nach 20 Jahren sehen wir, wie der mentale Gesundheitszustand der 10 bis 14 jährigen sich um 170 % verschlechtert hat: Depression, Essstörungen und Suizide nehmen dramatisch zu.

                    Dr. Michaela Glöckler, Kinderärztin mit intern. Ruf, 2019, Allianz ELIANT, Brüssel

Goethe hat diese Pädagogik der Moderne auf die Formel gebracht:

Der Verstandesunterricht führt zur Anarchie.

                   Manfred Osten, „Alles veloziferisch oder Goethes Entdeckung der Langsamkeit“

Diese Liste von Zitaten könnte man weiter und weiter führen. Moderne, heutige Erziehungswissenschaftler (s. das Buch: „Bildung und Integration“ von Hilmar Grundmann, UNI Hamburg) haben längst wieder Forderung nach Bildung, ganzheitlicher Bildung in der Erziehung in den Vordergrund gerückt!

Noch nie war Bildung von so überragender Bedeutung wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt, und zwar nicht nur weil sie „wesentlicher Moment in der Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Produktion“ bzw. weil „Bildung der Schlüssel zum wirtschaftlichen Wachstum“ ist, d. h. um auf den internationalen Märkten auch weiterhin die erste Geige spielen zu können, sondern vor allem um des gesellschaftlichen Zusammenhalts wegen und nicht zuletzt um dem Einzelnen ein Leben entsprechend seinem Selbstverständnis im wahrsten Sinne des Wortes zu ermöglichen: nämlich ein Leben gemäß seinem Verständnis von seinem Selbst.

Es gibt also viele Gründe, wieder über Bildung nachzudenken.

Hilmar Grundmann „Bildung und Integration“ 2010.

Prof. Dr. Hilmar Grundmann,  Universität Hamburg, Studium der Erziehungswissenschaften, der deutschen Sprache und Literatur sowie ihrer Didaktik, der Philosophie und der Wirtschaftswissenschaft; erste und zweite Lehrerprüfung für das höhere Lehramt.

Angetrieben vom Phantasma größtmöglicher Effizienz, haben Bildungspolitiker aller Parteien versucht das Bildungssystem im Dienste ökonomischer Anforderungsprofile so umzubauen, dass das gebrauchte „Humankapital“ schneller und passender als bisher in den Verwertungskreislauf eingeführt werden kann.

Konrad Schily, anerkannter Bildungsreformer und Gründer der privaten Universität Witten-Herdecke. (aus dem Buch „Bildung und Integration“ von Hilmar Grundmann 2010)

Eine Schule, die keine Minute des Tages ein anderes Interesse zu wecken sucht als das Erwerbsinteresse, als den Drang, einst als ein tüchtiger Arbeiter einen möglichst großen Vorsprung vor anderen im wirtschaftlichen Kampfe zu erringen, ist kaum eine Erziehungsstätte für staatsbürgerliche Tugenden.

Georg Kerschensteiner, aus dem Buch „Bildung und Integration“ von Hilmar Grundmann 2010

Niemand kann heute sagen, davon nichts gewusst zu haben. Es gibt Literatur von der Gralsgeschichte (erst nachdem Parzival mit dem Herzen gedacht hat, gelang ihm der Weg zum Gral) über Lessing zu Goethe und Schiller bis in unsere Zeit zu Beuys und vielen, vielen anderen, s.o.

Der junge Mensch muss Zugang zu seinen Emotionen, seinem Gemüt, zu seiner Seele und auch zu seinem geistigen Urgrund haben. Sein Leben lang soll er im Körperlichen genauso wie im Geistigen und Seelischen sich selbst fühlen, empfinden und erkennen lernen. 

Was ist zu tun?

All diese erdrückenden Zustände sind zum Großteil das Ergebnis einer mangelnden oder auch falsch verstandenen Kunstarbeit und der unzulänglichen Pädagogik. Die Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen führt zu einseitigen, unvollkommenen Wesen.

Nicht nur der Körper kann vergewaltigt werden, auch die Seele!

In der Pädagogik, in der Erziehung wird von der falschen Voraussetzung ausgegangen. Nicht das Wissen allein ist Macht…

Die Verbesserung unserer Gesellschaft in Hinsicht auf ein soziales Miteinander ist alleine mit kognitiven Bildungsversuchen, mit dem Verstand nicht zu erreichen.

Was heute anzustreben ist, ist ein Bildungsprozess der ganzen menschlich individuellen Fähigkeiten. Gemeint ist damit, dass neben den kognitiven, intellektuellen Fähigkeiten, der Wissensvermehrung auch und zum gleichen Anteil die seelischen – geistigen, individuellen Fähigkeiten geübt und ausgebildet werden sollen. Urteilskraft aus eigener Freiheit, Eigenständigkeit im Denken, Unabhängigkeit von manipulativen Kräften erreicht der Mensch nur über eine ganzheitliche Bildung. Nur dann erst kann ein derart gebildeter Mensch zum „vollkommenen“ Staatsbürger werden und der Allgemeinheit nützen.

Durch die „Ästhetische Bildung“, wie sie vor etwa 235 Jahren schon Schiller entwickelt hat, schule ich meine Seele, meine Empfindungen, mein Gemüt und komme so zu einer verstärkten Empathie Fähigkeit und zu einer sozialen Verantwortung. Ich komme durch diese Art Erziehung zur Selbsterkenntnis und eigener verstärkter Urteilskraft.

Die Seele mit all ihren Eigenschaften hat in der Schule genauso wichtig genommen zu werden wie der Verstand!

Bildung bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“. Das heißt ihn moralisch zu machen. Moral aber kann man nicht durch Worte lehren und lernen. Wenn ich jahrelang einem Kind einpräge: „Du musst gut sein! Du darfst dies und jenes nicht tun!“ bringt das gar nichts. Es bringt nicht das Geringste. Die Seele muss erst geschult werden, um Moral und Unmoral empfinden und unterscheiden zu können.

Mit Schillers „Ästhetischer Erziehung“ haben wir ein Werkzeug in der Hand, uns zu veredeln!

Es geht in dieser „Ästhetischen Erziehung“ um Bildung und nicht um Ausbildung. Erst für den ästhetisch gebildeten Menschen kann Ausbildung beginnen!

Als ich die „Internationalen Schiller Gespräche“ (1996-2010) gründete, tat ich dies nicht, um dem Dichter und Dramatiker Friedrich Schiller ein weiteres Denkmal zu setzen, das hatte er nicht nötig, aber ich wollte den Philosophen Friedrich Schiller hervorheben. Ich wollte seine philosophischen Ideen an den heutigen Menschen bringen und da ganz besonders an den jungen Menschen. Sein wohl wichtigstes Werk, wie Schiller selber meinte, mit dem Titel: „Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen“ (eine Pflichtlektüre für Schülerinnen und StudentInnen) wollte ich jungen Menschen bekannt machen. Es wurden Schülerinnen und Schüler aus ganz Europa, Russland, Schweiz und natürlich Österreich eingeladen, um ein Thema aus der Schillerschen Philosophie künstlerisch aufzuarbeiten. Die Bildungsidee, die hier von Schiller entwickelt wird, ist trotz der 235 Jahre, die sie zeitmäßig von uns trennt, hochaktuell.

Schiller liegt nicht hinter uns, Schiller liegt vor uns!

                                          Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hilmar Grundmann, Uni Hamburg

Hier nur ein kurzer Ausschnitt „Über die ästhetische Erziehung“

Im 11. Brief bis 13. Brief zeigt Schiller den Menschen in der Polarität von Formtrieb und Stofftrieb. Weil der Stofftrieb vom Formtrieb getrennt ist,

so ist die Natur (Stofftrieb) im Menschen von der Moral (Formtrieb) getrennt.

Erst durch den Spieltrieb werden sie in Verbindung gebracht.

Diese beiden, für Schiller fundamentalen Begriffe sind heute nicht so leicht zu verstehen, denn der Mensch ist eine Zwienatur, in ihm ist Himmel und Erde, Geistiges und Materielles.

Schiller weist darauf hin, dass im Ausgleich dieser beiden Kräfte das Ziel der Menschenbildung liegt. Es ist wichtig aufzuzeigen, dass Schiller die Kunst als einzige Möglichkeit sieht, die beiden Triebe zueinander zu führen und zwar in einer Weise, in der beide harmonisch einander ergänzen und gemeinsam wirken (Spieltrieb).

Allein auf diese Weise kann der Mensch zur Freiheit finden!

Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Dieser Satz, der in diesem Augenblicke vielleicht paradox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung erhalten… er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigeren Lebenskunst tragen.

                                                                      Sagt Schiller im 15. Brief seiner „Ästhetischen Briefe“

Es ist die Kunst, die künstlerische Tätigkeit, die den Menschen zur Freiheit führt. Und das ist nun ganz besonders wichtig im Hinblick auf die Pädagogik, die ja, wie oben erwähnt, die Seelenarbeit, die künstlerische Arbeit, das Spielen, wie Schiller es nennt, ausführen muss, um den Menschen zu dem werden zu lassen, der er ist.  

So muss eine weiter blickende Pädagogik durch künstlerische Tätigkeit für Jugendliche gefordert werden!

Auch was die Kunst als wichtigstes Medium der ästhetischen Erziehung bzw. der Selbstverwirklichung angeht, sind wir heute keinen Schritt über Schiller hinaus. Kunsterfahrung, so heißt es bei Wolfgang Welsch, „kann geradezu als Exerzitium unserer heutigen Lage und ihrer Verbindlichkeiten betrachtet werden.“ Dies deswegen, weil „sie für ein ästhetisches Denken, das sich als Denken der Gegenwart in besonderer Weise auf diese Pluralität einlassen muss, vorbildlich und inspirierend sein kann“ bzw. weil die Kunst „uns unsere Grundverfassung – eben die Pluralität – so nachdrücklich zur Erfahrung bringt, wie sonst kein Medium das vermag.“

                                      aus dem Buch „Bildung und Integration“ von Hilmar Grundmann 2010

Die Forderung ist also: Jugend an die Kunst. Im künstlerischen Tun kann sich der junge Mensch entwickeln, um dann gegenüber den Fordernissen unserer Zeit bestehen zu können und zu eigener Urteilskraft, zu innerer Freiheit und zu Selbsterkenntnis kommen! Und aller Manipulation trotzen!

Nur so ist eine lebendige Demokratie zu erreichen!

Einen Ausschnitt der Schrift „Versuch über Schiller“ von Thomas Mann möchte ich an das Ende meiner Überlegungen stellen.

Zwei Weltkriege haben Rohheit und Raffgier züchtend, das intellektuelle und moralische Niveau tief gesenkt und eine Zerrüttung gefördert, die schlechte Gewähr bietet gegen den Sturz in einen dritten, der alles beenden würde. Wut und Angst, abergläubischer Hass, panischer Schrecken und wilde Verfolgungssucht beherrschen eine Menschheit, welcher der kosmische Raum gerade recht ist, strategische Basen darin anzulegen, und die die Sonnenkraft äfft, um Vernichtungswaffen frevlerisch daraus herzustellen.

                 Find ich so den Menschen wieder,

                dem wir unser Bild geliehn …

Das ist die Klage der Ceres im „Eleusischen Fest“, es ist Schillers Stimme. Ohne Gehör für seinen Aufruf zum stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze, edlerer Sitten, „von dem zuletzt alle Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt“, taumelt eine von Verdummung trunkene, verwahrloste Menschheit unterm Ausschreien technischer und sportlicher Sensationsrekorde ihrem schon gar nicht mehr ungewollten Untergange entgegen.

November 2020

Peter Wolsdorff

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Peter Wolsdorff
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Peter Wolsdorff wurde in Pommern, Deutschland 1938 geboren. 1963: kam er nach Österreich an das Stadttheater St. Pölten. Engagements in Graz, in Österreich und Deutschland. 1974–1991: Schauspieler und Regisseur am Volkstheater Wien. 1978–1985: Intendanz Sommerspiele Carnuntum. 1991–2002: Intendant des Theater St. Pölten. 1996: Gründung „Internationale Schillergespräche“.2001: Gründung des „Institut neue Impulse durch Kunst und Pädagogik“ (bis 2013). Seit 2008 Mitarbeit am european grouptheater (Inszenierungen und Schauspielschule). Ehrungen und Preise: 1984: Karl Skraup -Preis für beste Regie der Saison am Volkstheater Wien, 1995: Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich, 2001: Würdigungspreis des Landes Niederösterreich 2001: Raimund Ring der Österr. Raimundgesellschaft.