Oper als Familiengeschichte, diese Idee hatte der freischaffende Regisseur Joachim Rathke, als es darum ging, zusammen mit David Timm und der Universitätsmusik Leipzig in freier Produktion die „Götterdämmerung“ als Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner zu inszenieren. Eingegliedert in die von der „Richard-Wagner-Gesellschaft 2013“ seit 2006 veranstalteten Festtage fand im Auditorium Maximum des neuen Augusteum am 22. Mai eine in jeder Beziehung einmalige Aufführung statt. In nur sieben Wochen Probenarbeit hat man Wagners letzten Teil des „Rings“ gestemmt und abseits der Opernbühne bühnenwirksam in Szene gesetzt.
Die Wagner-Kinder, -enkel und Urenkel, verkörpert von professionellen Sängerinnen und Sängern, sind Nornen, Rheintöchter und Protagonisten der ursprünglichen Handlung. Zum Vorspiel schläft der Meister, er ist gerade 60 geworden, beim Gesang der Nornen (Daniela. Blandine und Eva) auf seinem berühmten roten Sofa ein. Man schreibt das Jahr 1873, die Familie Wagner lebt seit einem Jahr im Haus Wahnfried in Bayreuth. Auf der Bühne (Ausstattung: Heike Mondschein) ist das Familienidyll lebensnah nachgestellt. Ein Fotograf, später ist er Gunther, noch später Fotograf einer Leipziger Zeitung- schießt das berühmteste Foto des Ehepaares Wagner- das Original als Projektion kommt ergänzend dazu. Überhaupt sind Projektionen neben Erklärungen im Programmheft für den Opernbesucher hilfreich, denn nicht jeder kennt sich in der Familiengeschichte der Wagners gleichermaßen gut aus. Im ersten Aufzug – man schreibt das Jahr 1913- ist Isolde Brünnhild, und während sich Siegfried als Siegfried verkleidet, läßt es David Timm im Orchester hinter der Bühne so richtig krachen. Wagner wäre 100 geworden, und in Bayreuth macht sich der Einfluss eines umstrittenen Mannes bemerkbar: Houston Stewart Chamberlain. In der Inszenierung ist er Hagen, der sich mit Intrige des Ringes bemächtigen will. Noch scheinen Rathkes Rollenzuweisungen stringent, aber im zweiten Aufzug mit Hakenkreuz-Symbolen, 1943 ist die für die Regie ideengebende Jahreszahl, wird Wolfgang Wagner dem Bösewicht zugeordnet, Wieland ist Siegfried, Friedelind Brünnhild. Und um auch Richard Wagners Rolle im Dritten Reich zu thematisieren, tritt er als dessen Geist in der Rolle des Alberich auf. Winifred ist Gutrune und lenkt zigarettenrauchend das Geschehen. Die verwandtschaftlichen Konstellationen der Familie Wagner geraten zwar durcheinander, aber das Spiel im Spiel geht weiter. Im dritten Aufzug treten die „Rheintöchter“ der Gegenwart Nike, Katharina und Evamit Schöngesang auf, die tragischen Rollen mutieren zu „Opernbesuchern“, und der Untergang Walhalls (bei Rathke brennt das Bayreuther Festspielhaus!) wird mit Partyattributen zelebriert- Geburtstag 2013 eben.
Fazit. Eine unpathetische und spielerische Interpretation von Wagners Bühnenwerk, die dem Anspruch der Wagner-Gesellschaft, Richard Wagnerkritisch, geistreich und unkonventionell zu begegnen mehr als gerecht wurde, Das nur für diese Produktion zusammengestellte Gesangsensemble, zum Teil mit Rollendebütanten, konnte stimmlich und schauspielerisch begeistern und das großartige Orchester unter der Leitung von Universitätsmusikdirektor David Timm gratulierte dem Jubilar mit einer kongenialen Leistung.
Endlich auf dem Sockel – nach 100 Jahren ist die Geschichte des Richard Wagner-Denkmals zu Ende geschrieben
Es regnete in Strömen, als am Morgen des 22. Mai die Figur des jungen Richard Wagner auf dem monumentalen Marmorsockel von Max Klinger enthüllt wurde. Zwar in Lebensgröße dargestellt, wirkt er auf dem Kubus und vor seiner 4,20 m hohen, dunkel patinierten Silhouette, die dem Klinger-Bozetto entlehnt ist, winzig klein, Ein Raunen ging durch die Menge, die sich zu diesem Festakt an Richard Wagners 200. Geburtstag versammelt hatte. Der frisch restaurierte Marmor mit pathetischen Darstellungen aus Wagners Musikdramen und der farbige Realismus des Bildhauers Stephan Balkenhol, wegen der Wetterbeständigkeit aus Bronze, wie geht das zusammen? Schon bevor sich eine hochkarätig besetzte Jury für den Karlsruher Professor entschieden hatte, stand fest, dass man keine Replik des Entwurfs von Max Klinger wollte sondern statt der Monumentalisierung eine zeitgemäße Umdeutung und Darstellung des Leipziger Musikgenies. „Ich zeige Richard Wagner noch unverklärt durch Ruhm und Anerkennung: unternehmungslustig, menschlich und nahbar“, sagt Balkenhol, der bereits 1987 beim Skulpturenprojekt in Münster mit seinem „Mann mit grüner Hose und weißem Hemd“ vor einer Abrisswand neben der Stadtbäckerei für Irritation gesorgt hatte. In Leipzig hat er jetzt in der Auseinandersetzung mit der heroisierenden Sprache der Denkmalsrhetorik und im Dialog mit Max Klinger in der monumentalen Silhouette erstmals auch den Geniegedanken thematisiert: Es ist die Gewalt seiner Musik, die der junge Wagner im Rücken hat, aber auch die bis heute nicht abgeschlossene seiner Wirkungsgeschichte.
„Ein Denkmal ist immer auch ein Denkmal“, sagte Nike Wagner am Schluss ihrer beeindruckenden Ansprache, und ihr Dank ging auch an den „Wagner Denkmal – Verein, ohne dessen Initiative dieses Denkmal nicht zustande gekommen wäre. Im Jahr 2005 gegründet setzte sich diese Gruppevormaliger Studenten und zahlreicher Idealisten gegen alle Widerstände für die Restaurierung des Klinger-Sockels und die Ausschreibung eines Wettbewerbes unter zeitgenössischen Künstlern für die Vollendung des Denkmals ein. Jetzt hat sich der Verein aufgelöst, das Ziel ist ohne städtische Zuschüsse ausschließlich mit Spenden erreicht worden. Wagner steht endlich auf dem Sockel und sorgt wie immer für reichlich Gesprächsstoff.
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