Der Heilige mit der roten Schnur. Flavius Ardelean. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Mit Illustrationen von Ecaterina Gabriela. Roman. Erlangen (Homunculus-Verlag) 2020, 215 S., 22.- €, ISBN 97-3-946120-90-2.
Der Autor als Herausgeber eines Fantasy-Romans, ein Prolegomena zum Traktat über den Widerstand der Materialien und dazu noch ein fester Umschlag mit der Abbildung von zwei klapperdürren bizarren Wesen – das sind so widersprüchliche und zugleich geheimnisvolle Botschaften, dass sie sofort die Neugier auf diesen „Heiligen mit der roten Schnur“ wecken. Noch dazu, wenn der Erzähler Skelett Bartholomäus Knochenfaust heißt, mit einem jämmerlichen Pferdewagen und einer spindeldürren Schindmähre nach Mandragora unterwegs ist und einem Mit-Reisenden der die schrecklich düstere und unglaublich-mysteriöse Geschichte von dem Heiligen Taush aus der Zitadelle von Gaisterștat erzählt. Und dass alles unter der Regie des Herausgebers Flavius Ardelean, einem in Rumänien lebenden, wohlbekannten Fantasy-Autor. Er ist mit einer Reihe von Literaturpreisen ausgezeichnet, drummer in einer Rockband, Übersetzer aus dem Deutschen und Englischen.
Der Einstieg in die Romanhandlung erweist sich zunächst als schwierig: So viele seltsame Figuren und geheimumwitterte Gestalten. Könnte das nicht selbst den erfahrenen Leser von fantasiegeladenen Handlungen überfordern? Doch die übersichtliche Gliederung des Romans in vier Teile und dreiundzwanzig Kapitel mit erzählenden Einführungen, die zahlreichen Illustrationen, auf denen mit hauchzarten Federstrichen (Ecaterina Gabriela) die Umrisse von konturierten Figuren, düsteren Räumen und zergliederten Landschaften zu erkennen sind, wischen solche Bedenken schnell beiseite. Abgesehen davon, dass Flavius Ardelean in einem Interview auch seine rätselhafte Rolle als Herausgeber erläutert. Er sei als Erfinder dieser phantastischen Welt nur eine vermittelnden Instanz seines Erzählers Bartholomäus Knochenfaust. Und der zieht seine Leser von Anfang an in den Bann, obwohl sein zahnfleischloses Gebiss ziemlich laut klappert. Doch ein geübter Fantasy-Leser „überhört“ so etwas.
Worum geht es nun in der Geschichte vom heiligen Taush, der in der Zitatelle von Gaisterștat geboren wurde, nach seinen Lehrjahren beim alten Tace die Gabe entwickelt, eine rote Schnur aus seinem Bauchnabel zu spinnen und von seinem Lehrmeister lernt, wie er seine Welt von der Un-Welt beschützen kann. Erwachsen geworden zieht Taush in die Welt hinaus, um das Böse zu bekämpfen. Mit Hilfe von Gesellen, die beim Lehrmeister Tace ausgebildet wurden, und Taush beim Kampf mit den düsteren Gestalten der Un-Welt beistehen. Wie zum Beispiel mit einem gewissen Unghe Ţzifăr, einer entsetzlich stinkenden Gestalt, die nie lächelt und eine Stimme hat, die sich nicht in der Kehle bildet, sondern außerhalb ihres Körpers. Unter dem ekelerregenden Eindruck seiner Erscheinung entsteht bei Taush der erste Ekel als Abwehr vor einer düsteren Un-Welt. Seltsamerweise sind aber Taush mit seinen Gesellen auf der Suche nach dem Jahrmarkt der üblen Gerüche. Die guten Sitten, die sie bei Meister Tace gelernt haben, geraten nun in Vergessenheit, die Lust überkommt sie. In der Herberge der Freuden wälzen sie sich zwischen lustvoll sich windenden Mädchen, während ein stechender Geruch die Luft schwängert. Kein Wunder, dass der am nächsten Tag aufwachende Taush vom zweiten Ekel spricht, das ihn im Kampf gegen den Gestank der Un-Welt in Versuchung gebracht hat. Taush muss nun auf dem Weg, den er mit dem Erzähler Bartholomäus Knochenfaust und seinen Gesellen teilt, viele schwere Schicksalsschläge ertragen. Seine geliebte Katherina stirbt, im Kampf mit Rattenmonstern verliert er die Mehrzahl seiner Begleiter, er zweifelt immer mehr, dass ob er heilig ist, seine Mutter stirbt, Mandragora, die Heimstätte von Taush wird von Monstern aus der Un-Welt angegriffen und beinahe zerstört, Taush bleicht dahin und erwacht wieder zum Leben. Eine Fülle von sich überstürzenden Ereignissen und plötzlich auf- und abtauchenden Gestalten treiben die Handlung einem Ende entgegen, an dem der Erzähler Bartholomäus Knochenfaust seinem Reisebegleiter, dem Leser dieses phantastischen Romans, etwas mitteilt. „Wo das Ende der Welt ist, ist auch das Ende des Menschen, dort wo die Un-Welt beginnt und die Un-Menschen hausen.“ Und schon fallen uns die Namen der irren Heuchler, perversen Lügner und Un-Menschen unserer Gegenwart ein.
Ein mit viel Phantasie und überbordender Erzähllust gestalteter Roman, ein „Herausgeber“, der seinen Erzähler und seine Figuren in immer neue Abenteuer stürzen lässt, der seine Leser/innen in die grausigen Tiefen einer UN-Welt schickt, aus der er mit Schaudern aufwacht. Mehr kann man von einem Epos des Schreckens nicht erwarten. Ein Lesevergnügen allerdings für Erwachsene, denn einige Schreckensbilder vor allem aus den anatomischen Grenzbereichen zwischen Leben, Un-Leben und Tod übertreffen jegliche Imaginationen!