Max-Brod-Ausgabe in zehn Bänden Prager Romane von 1911 bis 1957

Max Brod (1884-1968) war neben Franz Kafka (1883-1924) und Franz Werfel (1890-1945) der bekannteste Autor aus dem „Prager Kreis“. Das war eine deutschjüdische Gruppe von Schriftstellern zwischen 1910 und 1938, zu denen auch der Literaturkritiker Willy Haas (1891-1973) , der schreibende Arzt Ernst Weiß (1882-1940) und Johannes Urzidil (1896-1970), der das hochgerühmte Buch „Goethe in Böhmen“ (1932) geschrieben hat, gehörten. Mit der Okkupation der Tschechoslowakei durch deutsche Truppen 1939 wurde der „Prager Kreis“ zerstört, seine Mitglieder gingen ins Exil, die Geschichte dieser literarischen Vereinigung hat Max Brod in seinem Buch „Der Prager Kreis“ (1966) aufgezeichnet.
Max Brod und der Philosoph Felix Weltsch (1884-1964) emigrierten nach Jerusalem, wo beide Autoren starben. Franz Werfel (1890-1945) verstarb in Kalifornien, Ludwig Winder (1889-1946) in London. Paul Kornfeld (1889-1942), dessen vorzüglicher Roman „Blanche oder Das Atelier im Garten“ (1957) erst zwölf Jahre nach Kriegsende erschien, wurde im Oktober 1942 in Prag verhaftet und in Polen umgebracht. Der in Brünn geborene Arzt Ernst Weiß ging 1921 nach Berlin und kehrte 1933 nach Prag zurück, um seine sterbende Mutter zu pflegen, 1934 emigrierte er nach Paris, wo er beim Einmarsch der deutschen Truppen 1940 Gift einnahm und sich die Pulsadern aufschnitt. Anna Seghers, die selbst 1933/40 als Emigrantin in Paris lebte, hat sein Schicksal in ihrem Roman „Transit“ (1944) verarbeitet.
Max Brod, als Sohn eines Bankbeamten am 27. Mai 1884 in Prag geboren, nahm, nach dem Abitur am Stefansgymnasium, an der Karls-Universität ein Studium der Rechtswissenschaft auf, das er 1907 mit der Promotion beendete. Mit Franz Kafka, den er seit 1902 kannte, verband ihn, bis zu dessen frühem Tod 1924, eine enge Freundschaft. Er war nicht nur der Entdecker und Förderer Franz Werfels, sondern schrieb auch fünf Libretti in deutscher Sprache für den mährischen Komponisten Leos Janácek (1854-1928), den er dadurch in Deutschland bekannt machte.
Nach dem Ersten Weltkrieg verbrachte Max Brod noch zwei Jahrzehnte in Prag, das inzwischen Hauptstadt des 1918 gegründeten Staates Tschechoslowakei geworden war, und arbeitete als Redakteur beim „Prager Tagblatt“, dem er 1957 den „Roman einer Redaktion“ widmete. In dieser Zeit zwischen den Kriegen erschien auch seine Biografie „Franz Kafka“ (1937), die 1974 in einer völlig überarbeiteten Ausgabe veröffentlicht wurde.
Als Jude, der inzwischen auch Zionist geworden war, floh Max Brod nach dem Einmarsch der „Wehrmacht“ 1939 und der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ nach Palästina, wo er am 20. Dezember 1968 starb.
Sein episches und essayistisches Werk, das heute fast vergessen ist, besteht aus Novellen, Romanen, Biografien (Leos Janácek, Heinrich Heine, Franz Kafka) autobiografischen Schriften, Libretti und im „Prager Tagblatt“ veröffentlichten Musikkritiken.
Zwei renommierte Literaturwissenschaftler haben es nun unternommen, den Autor, dessen 130. Geburtstags am 27. Mai 2014 zu gedenken ist, mit einer zehnbändigen Werkausgabe, die in den Jahren 2013/15 im Göttinger Wallstein-Verlag erscheint, noch einmal der Öffentlichkeit vorzustellen. Hans Dieter Zimmermann (1940) hatte bis 2008, als Nachfolger Walter Höllerers, eine Professur am „Institut für Literaturwissenschaft“ der Technischen Universität in Berlin inne und ist Herausgeber einer „Tschechischen Bibliothek“ (33 Bände) im Suhrkamp-Verlag. Hans-Gerd Koch (1954) ist Leiter der Kafka-Forschungsstelle an der Bergischen Universität in Wuppertal, die 1974 von Jürgen Born, der aus den Vereinigten Staaten gekommen war, begründet wurde. Er war Mitarbeiter an Jürgen Borns Kritischer Franz-Kafka-Ausgabe, die beim S. Fischer-Verlag in Frankfurt/Main erschien, und an der Edition des Briefwechsels.
Von der Werkausgabe sind bereits zwei Bände erschienen:„Jüdinnen“ und „Arnold Beer. Das Schicksal eines Juden“, die beide vor den Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurden. Der bekannteste Roman Max Brods „Tycho Brahes Weg zu Gott“ (1915) erscheint, mit einem Vorwort Stefan Zweigs (1881-1942), des Verfassers der „Sternstunden der Menschheit“ (1927), versehen, im Herbst 2013. Weitere Vorwortverfasser sind Friedrich Torberg (1908-1979) ,Primo Levi (1919-1987) und die 1954 in Stuttgart geborene deutsch-bulgarische Schriftstellerin Sibylle Lewiratschoff .
Wenn diese zehn Bände, unter denen einer auch ausgewählte Essays anbietet, vorliegen, hat der Leser ein Bild des alten, im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Prag vor sich, wie es vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit bis 1939 bestand.

Über Jörg Bernhard Bilke 261 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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