Todo cambia: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie

Letzte Worte zur Sommerpause:

Sommer. Bild von Free-Photos auf Pixabay.

„Heute ist nicht alle Tage. Ich komm’ wieder, keine Frage.“
Paulchen Panther

„Hot summer streets/ And the pavements are burning/ I sit around/ Trying to smile but/
The air is so heavy and dry/
Strange voices are saying/ (What did they say?)/ Things I can’t understand/ It’s too close for comfort

This heat has got/ Right out of hand/
It’s a cruel, (cruel), cruel summer/ (Leaving me) leaving me here on my own

It’s a cruel, (it’s a cruel), cruel summer/ Now you’re gone“
Bananarama „Cruel Summer“

Wir erleben ein brutalen Sommer. Jetzt macht auch noch dieser Blog Sommerpause. Ob es wirklich gut ist, eine Sommerpause zu machen, wo doch das Virus alles andere als eine Pause macht, das weiß ich nicht. Aber allemal ist es klug, Kraft zu tanken für den Winter, der nicht nur kalt wird, sondern hart, für die zweite Welle, die auf die eine oder andere Weise kommen wird, und mancherorts schon da ist. Mit der Kraft meine ich (das weiß wohl jeder, der das hier in den letzten Monaten gelesen hat) nicht alleine körperliche Kraft, sondern vor allem geistige, ein geistiges Widerstands-Potenzial. Es mag einfacher sein, mit dem Strom zu schwimmen, aber es macht einen auf die Dauer stärker, wenn man versucht, resistent zu sein. 

Was auch wichtig ist, um diese nächsten Wochen zu überstehen, bis wir uns wieder hören und lesen, dazu habe ich hier noch ein paar Tipps: Geht ins Kino! Geht überhaupt raus! Bleibt nicht zuhause hocken, schmort nicht im eigenen Saft, streamt nicht soviel, verliert euch nicht in virtuellen Welten. Im Kino werdet ihr auf fremde Menschen stoßen und das macht Spaß. Man kann da auch alte Filme wiedersehen. Einen von denen, den ihr in jedem Fall wieder sehen solltet und das könnt ihr schon nächste Woche, ist „Inception“ von Christopher Nolan. 

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Des Weiteren, fast noch wichtiger als Kino: Lest! Lest alles, was Euch in die Finger kommt!! Für diejenigen, die gerne Sachbücher lesen, würde ich sagen: lest mal ruhig in den nächsten vier Wochen eine Biografie zu Hegel. Oder sogar einen Text von Hegel selber. Dann Ende des Monats feiern wir ja dann alle zusammen den 250. Geburtstag dieses allerwichtigsten unter den vielen deutschen Philosophen. Meine ich ganz im Ernst: Hegel ist wichtiger als Kant und Marx und sowieso als Heidegger und am Ende des Tages wohl auch wichtiger als Adorno. 

Und wem das nicht genügt, dann macht es, glaube ich, Spaß, sich einmal mit Bruno Latour die Zeit zu vertreiben. Dessen Hauptwerk „Existenzweisen“ hat eine ganz einmalige Publikationsgeschichte: Ihr könnt es nämlich zwar auf deutsch neues Buch kaufen, im französischen Original und der englischen Übersetzung aber könnt ihr es außer als Buch auch vollständig im Netz lesen und zwar auf dieser Website wo das Buch gewissermassen fortwährend von allen Lesern und Beiträgen kommentiert und fortgesetzt wird, als ein endloses unendliches und unabgeschlossenes Projekt – wie das Leben selbst, wie ein System und Rhizom das sich immer neu umbaut. Alleine dies finde ich an dem Ganzen schon faszinierend. Ich kann nicht behaupten, das Buch von vorn bis hinten gelesen zu haben, aber vielleicht muss man das auch gar nicht, vielleicht funktioniert das Ganze selbst eher wie ein Netz und so wie ich persönlich auch Luhmann oder eben Hegel lese: Man steigt irgendwo ein, muss sein bisschen in den Ton reinkommen und in die Stimmung, so wie man erstmal bei einem Musikstück den Rhythmus erhaschen muss. Aber wenn man es dann hat, wenn man dann drin ist, dann läuft fast alles fast von selbst. 

Daneben haben wir dann natürlich leichtere Kost. Nur ein Tip dazu: Außer Joseph Conrad und Rudyard Kipling zwei weitere absolut großartige britische Autoren: 

Ein Gegengift gegen alle Post-Kolonialismus-Debatten ist „Die Belagerung von Krishnapur“ von James Gordon Farrell, ein Roman über den Aufstand indischer Soldaten gegen ihre britischen Besatzer im Jahr 1857. Kein besinnlicher Kolonialroman, sondern Tarantino als Wälzer von einem hochinteressanten Autor. 

Dann alles von Patrick Leigh Fermor (1919-1911), der nur über Sachen schrieb, die er selbst erlebte: Etwa die Entführung des Nazi-Generals auf Kreta, die mit Dirk Bogarde verfilmt wurde. Super. Oder die Wanderung von Holland nach Konstantinopel in den 30er Jahren, die so lang war, dass er dafür drei Bücher brauchte. 

Und zum Ausgleich vielleicht noch ein Buch von Platonow – dem besten Russe seit Dostojewski. 

Ich selbst lese jetzt ein Buch, dessen Titel mir einfach gefällt: „Der letzte Sommer und der Sommer davor“ von Peter Kurzek. Wer sein Buch so nennt, kann nicht ganz falsch liegen.

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Corona ist der größte Einschnitt in die Geschichte der Menschheit seit dem Sommer 1945, der Entdeckung der Lager und Hiroshima. Zugleich ist dies alles vollkommen unvergleichbar und in mancher Hinsicht liegt dieser Einschnitt schwerer, denn er währt länger. 

Ihr alle wart und seid Zeugen. Versucht deswegen, aufmerksam zu sein und zu bleiben. Versucht, diesen Moment, und wenn auch nur auf eine perverse Weise, zu genießen, zu schätzen, auszunutzen. Verbringt ihm nicht oberflächlich, lasst diese Zeit nicht so dahinplätschern und nicht aufsaugen von irgendwelchen allzu privatistischen, allzu persönlichen Kabalen und Befindlichkeiten, versucht Zeitgenossen zu sein, also Genossen der Zeit und der Epoche. Versucht Bürger der Menschheit zu sein, Weltbürger und Brüder und Schwestern der ganzen Menschheit. 

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Ich bin euch vieles schuldig geblieben: Die Erklärung des Untertitels „Apokalyptiker und Integrierte“, weil ich den selbsterklärend finde. Alle möglichen Antworten auf alle möglichen offenen Fragen und Themen. Sehr oft habe ich geschrieben: „darauf kommen wir noch mal zurück“. Sehr oft hat das auch tatsächlich geklappt, aber leider leider keineswegs immer. Manche Themen, das habe ich aus den Reaktionen von euch gemerkt, haben auch größere Diskussion provoziert und mehr Antworten, aber auch von meiner Seite mehr Fragen und mehr Nachdenken erfordert. So zum Beispiel das Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“, zu dem mir besonders viele von euch geschrieben haben.

Dass das nicht alles immer bürokratisch korrekt und vollständig abgearbeitet werden konnte, und bestimmt nie mit „deutscher Gründlichkeit“, tut mir einerseits leid, andererseits tut es mir gar nicht leid – denn es liegt in der Natur dieses Blogs, das man bei aller Länge dann keine Grundsatz-Papiere verfassen kann, sondern Anregungen zum Selberdenken.

Zum Rest gibt es bestimmt im Herbst die Gelegenheit. Wer Lust hat, kann natürlich trotzdem weiter meine Texte lesen. Sowieso bei artechock.de, dem Online-Magazin für Film, wo auch viele andere tolle Autoren schreiben, und deren Rubrik „Cinema Moralia“ auch immer von auf Out-takes übernommen wird.

Immer wieder gibt es auch etwas auf „Telepolis“. Und da ich in den nächsten vier Wochen auch wieder etwas mehr Zeit habe, im Zweifelsfall etwas öfter. Und schließlich natürlich wie immer im Radio den deutschlandfunk oder dem SWR.

Danke fürs Lesen, Mitdenken, für Sympathie und Kritik der letzten Monate. Auch an die, die wirklich ehrlich glauben, dass ich einfach aus Prinzip das Gegenteil von allen anderen schreibe. 

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Todo cambia. Merci!

Erschienen auf out-takes

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