Etwa 160 km nördlich von Brisbane liegt im australischen Bundesstaat Queensland eine Kleinstadt namens Gympie. Einst war sie Zentrum des australischen Goldrauschs, als 1867 hier eine ergiebige Goldmine entdeckt wurde. Glaubt man den Einheimischen, so hat dieser Fund damals den Bankrott von Queensland verhindert. Die Goldgräberzeit ist längst Geschichte. Heute leben die Einwohner vor allem von der Landwirtschaft und dem Handel mit Agrarprodukten.
Das beschauliche Städtchen birgt jedoch ein uraltes Geheimnis. Unweit von Gympie erhebt sich ein terrassierter Hügel, bekannt als die „Pyramide von Gympie“. Diese Bezeichnung des lediglich etwa 30 Meter hohen pyramidenförmigen Bauwerks mag im Vergleich mit den ägyptischen oder mesoamerikanischen Pyramidenbauten übertrieben wirken. Ohne Zweifel aber wurden die Terrassen auf dem Hügel von Menschenhand geschaffen. Nach Aussage der lokalen Behörden stammen sie von einem italienischen Winzer, der sich hier um 1950 mit experimentellem Weinanbau versucht haben soll.
Dies kann so allerdings nicht ganz stimmen, denn bereits 1850 beschrieb der Archäologe Henning Hassland ein pyramidenförmiges Bauwerk an dieser Stelle. Nach Hassland soll es mit Steinplatten verkleidet gewesen sein, und sogar einen vergoldeten Schlußstein besessen haben. Der Archäologe war sich sicher, daß diese Pyramide weder von Aborigines noch von den ersten weißen Siedlern errichtet worden war. Er schätzte das Alter des Bauwerkes auf wenigstens 6.000 Jahre. Aborigines erzählten ihm, daß vor vielen Generationen geheimnisvolle Fremde auf Schiffen, gebaut wie Vögel, an der Küste gelandet seien, und hier ein Heiligtum für ihre Götter errichteten. Außerdem sollen sie Gold und Antimonium gefördert haben. Archäologische Funde belegen inzwischen die Existenz eines mindestens 1.000 Jahre alten Hafens in der Nähe von Gympie. Ebenso gibt es Hinweise auf den Betrieb von Bergwerken bei Gympie, lange vor dem sensationellen Goldfund von 1867. Hassland glaubte jedenfalls, daß die seltsamen Fremden, von denen die Aborigines berichteten möglicherweise Phönizier waren, denn der Bug phönizischer Triremen endete in einem Vogelkopf. Hatte der Archäologe womöglich sogar das sagenhafte Goldland Ophir der Bibel gefunden?
Sicher ist, daß einige phönizische Seefahrer bereits im 12. Jh. v. Chr. die Straße von Gibraltar passierten und in Gades (Cadiz) eine eigene Handelsniederlassung errichteten. Um 800 v. Chr. dann erreichten phönizische Segler Madeira und die Kanarischen Inseln. Die Phönizier kontrollierten so den gesamten Überseehandel der Antike. Sie hatten auf jeden Fall Verbindungen zu allen drei Erdteilen, die in der Alten Welt bekannt waren und besaßen geographische Kenntnisse, die erst 2.300 später, im Zeitalter der großen Entdeckungen, wieder erreicht wurden. Für diesen Umstand gab es jedoch besondere Gründe. Die Berichte der phönizischen Kapitäne über neu entdeckte Küsten, ihre Bewohner und die Handelsmöglichkeiten dort wurden in den geheimen Archiven der Handelsherren von Sidon und Tyros aufbewahrt und gingen so der Nachwelt verloren. Die Phönizier betrachteten den Seehandel als ihr alleiniges Monopol. Daher wurden ihre Kenntnisse buchstäblich mit Gold aufgewogen. Manchmal jedoch schlossen sich die Phönizier bei ihren Unternehmungen mit anderen Völkern zusammen. Dann konnte es vorkommen, daß in den Schleier ihrer Geheimhaltung Löcher gerissen wurden, die uns heute gestatten, ein wenig mehr von den damaligen Geschehnissen zu erfahren.
Denn mit Sicherheit hat der phönizische König Hiram nicht gedacht, daß die per Staatsvertrag mit seinem Nachbarn, dem König von Judäa, getroffene Vereinbarung für eine geheime Fahrt der Nachwelt ganz offen überliefert würde. In der Bibel steht unter 1. Könige 9:
„Und Salomo machte auch Schiffe zu Ezeon Geber, das bei Eloth liegt am Ufer des Schilfmeeres im Lande der Edomiter. Und Hiram sandte seine Knechte im Schiff, die gute Schiffsleute und auf dem Meer erfahren waren, mit den Knechten Salomos. Und sie kamen gen Ophir und holten daselbst 420 Kikkar (Zentner) Gold und brachten es dem König Salomo … dazu die Schiffe Hirams, die Gold aus Ophir führten, brachten sehr viel Ebenholz und Edelgestein … denn das Meerschiff des Königs, das auf dem Meer mit dem Schiff Hirams fuhr, kam in drei Jahren einmal und brachte Gold, Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen.“
So kam der König der Juden in den Besitz von 420 Zentnern Gold. Die Phönizier werden keinen geringeren Anteil erhalten haben, sofern diese Zahlenangaben wahrheitsgetreu sind. Hiram muß ein kluger Herrscher gewesen sein. Offenbar ahnte oder wußte er sogar, daß der Vorschlag König Salomos ein gutes Geschäft versprach. Daher setzte er sich über alle Sitten seines Volkes hinweg und schickte Salomo seine erfahrenen Seeleute. Erreichten diese womöglich sogar Australien?
Um diese These weiter zu erhärten, kehrte Hassland einige Zeit später an den Ort seiner Entdeckung zurück, um die Fundstätte genauer zu untersuchen. Zu seinem Entsetzen mußte er feststellen, daß die inzwischen hier ansässigen Kolonisten dabei waren, die steinerne Verkleidung der Pyramide zu entfernen. Sie verwendeten die Platten als billiges Baumaterial für ihre Häuser. Hasslands Intervention fruchtete nichts. Die Zerstörung des Bauwerkes endete erst, als auch die letzten Steinplatten abgerissen waren. Wind und Wetter setzen dem Hügel zu, tropischer Regenwald überwucherte ihn und zog die Terrassen arg in Mitleidenschaft. Doch immer wieder wurden auf dem Hügel und in seiner Umgebung merkwürdige Funde gemacht.
So entdeckten bereits die ersten Siedler um 1850 antike Keramiken, Felsinschriften in unbekannter Sprache sowie Gegenstände aus Metall. So wurde um 1858 auf einem Feld in der Nähe des Mothar Mountain östlich von Gympie ein sehr alter, handgeschmiedeter Bronzelöffel gefunden. Die Legierung, aus der er einst hergestellt wurde, fand in der Antike im Nahen Osten Verwendung.
Ebenfalls östlich von Gympie fand in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der lokale Förster einen sehr alten, 37cm hohen Silberkelch mit beweglichem Deckel. Eine im Jahr 1998 im Auftrag des derzeitigen Eigentümers durchgeführte Untersuchung des Artefakts bestätigte dessen hohes Alter. Es könnte nach Meinung der konsultierten Experten ägyptischen oder griechischen Ursprungs sein. Wie aber gelangte der Kelch in die Wildnis Australiens?
Am bereits erwähnten Mothar Mountain entdeckten Einheimische im Jahr 1959 einen goldenen Scarabäus von der Größe einer Streichholzschachtel. Nahebei fanden sich auf einem großen Felsblock Inschriften in einer unbekannten Sprache.
Ein Ankh (das ägyptische Kreuz des Lebens) aus Jade wurde 1964 bei Murgon westlich von Gypie gefunden.
Im Jahr 1966 entdeckte ein Farmer beim Pflügen unterhalb der Pyramide von Gympie eine aus Stein gefertigte Statue in der Form eines Affen. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Darstellung des ägyptischen Gottes Thot. Das Alter der fast einen Meter hohen Statue wird auf 3.000 Jahre geschätzt. Derzeit ist sie im historischen Museum von Gympie zu besichtigen.
Ein Jahr später fand ein Schuljunge beim Spielen am Fuß der Pyramide von Gympie eine 10 cm große Skulptur aus Stein, die ein elefantenköpfiges Wesen darstellt. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um eine Darstellung des Hindugottes Genesha, der noch heute in Indien und auf Bali verehrt wird. Ganesha ist der erstgeborene Sohn der Gottheiten Shiva (Zerstörer und Schöpfer in einem) und Parvathi (Göttin der Familie und der Gesundheit). Dieser in Indien äußerst populäre Gott wird von den Hindus als Herr der Weisheit und Überwinder von Hindernissen im Leben verehrt.
In den frühen 1990ern entdeckten zwei Männer, John Mansell und Ken McKinnon eine rund 20 cm große Statue in Tamaree, nordöstlich der Pyramide von Gympie. Sie erinnert in ihrer Form an die Moais – die geheimnisvollen Köpfe der Osterinsel. Die Statue ist aus einer Sandstein- / Granitmischung gefertigt. Sie konnte bislang keiner bekannten Kultur zugeordnet werden.
Bei meinem Aufenthalt in Gympie im Dezember 2011 durfte ich diese mysteriöse Statue nebst einigen weiteren Artefakten selbst in Augenschein nehmen. Bemerkenswert ist, daß manche bei der Pyramide von Gympie gefundenen Steine offensichtlich magnetisch sind, also einen hohen Anteil magnetischen Materials enthalten müssen.
Das stark verwitterte Fragment eines hölzernen, geschnitzten Artefaktes wurde 1997 durch den Einsturz einer Steinmauer der Gympie Pyramide freigegeben. Die Schnitzerei könnte eine sitzende Gottheit darstellen. Zwar sind Inschriften auf der Statue erkennbar, die jedoch bislang nicht entziffert werden konnten. Möglicherweise stammt das Artefakt ursprünglich aus Tamil Nadu in Südindien oder ist dem polynesischen Kulturkreis zuzuordnen. Es soll mehrere hundert Jahre alt und aus der Zeit vor der Besiedlung Australiens durch Europäer sein.
Ein bislang ebenfalls unidentifiziertes, handgefertigtes Jademesser wurde 1998 in einem Bett aus Quarzsand östlich der Pyramide von Gympie von Forschern bei Ausgrabungen entdeckt. Den Griff des Messers bildet eine affenähnliche Figur. Auch dieses Fundstück stammt ursprünglich wahrscheinlich aus Südindien oder Polynesien.
Die Artefakte zeigen, daß lange vor Kapitän Cook andere Seefahrer den Fuß an Australiens Küsten setzten. Doch es gibt neben den archäologischen Befunden noch weitere Hinweise.
So zeigen frühe Seekarten des arabischen Geographen Muhammad ibn Musa al-Khwarizmi aus Baghdad bereits die Regionen von Java bis Australien. Die Karten wurden zwischen 817 – 826 als Bestandteil eines Buches gezeichnet. Die einzige noch vorhandene Ausgabe dieses Buches liegt in der Bibliothek der Universität von Strasbourg. Musa al-Khwarizmi soll sich bei seinem Werk auf Notizen Sindbads gestützt haben. Er erhielt sie von dem Seefahrer zehn Jahre nach dessen letzter Reise.
Offensichtlich war Australien bereits um 1320 auch in China bekannt, denn dort wurde es auf der sogenannten Chu Ssu Pen Karte dargestellt. Zweifellos verfügten die chinesischen Kapitäne zu jener Zeit bereits über die Möglichkeiten, regelmäßig nach Australien zu segeln, um das Land zu erkunden und die Küsten zu kartieren.
Eine Karte aus Porzellan zeigt dann auch die korrekte Gestalt des Kontinents. Diese Karte von 1477 war ein Geschenk an den chinesischen Kaiser Ying Tsung. Sie beweist, daß chinesische Seefahrer zu jener Zeit bereits Australien vollständig umsegelt hatten.
Es zeigt sich, daß Australien offenbar lange vor seiner (Wieder-)Entdeckung durch europäische Forscher bei anderen Kulturen bekannt war. Phönizische, chinesische, arabische und indische Seefahrer besuchten den Kontinent Jahrhunderte vor James Cook. Möglicherweise waren es Chinesen, welche die längsten Beziehungen zu Australien pflegten. Antike chinesische Schriften beispielsweise berichten über die Beobachtung von Sonnenfinsternissen in Australien in den Jahren 592 und 533 v. Chr.
Ägyptische Inschriften hingegen berichten über eine Sonnenfinsternis in Australien im Jahr 232 v. Chr. Diese Inschriften wurden in Irian Jaya, im Nordwesten Neu Guineas entdeckt. Alte ägyptische Legenden behaupten sogar, daß die Kunst des Pyramidenbaues von Lehrmeistern nach Ägypten gebracht wurde, die von einem großen Kontinent im Südosten kamen. Meinten sie damit Australien oder sogar den legendären Inselkontinent Mu, der einst im Pazifik existiert haben soll? Zeichnungen der Aborigines, welche in der Herberton Aboriginal Gallery in North Queensland ausgestellt sind, zeigen möglicherweise eine Darstellung der Nilquellen.
Solche magnetischen Steine, wie sie mir in Gympie von meinem einheimischen Führer Mick Dale präsentiert wurden, fand man auch in der Großen Pyramide von Gizeh.
Mick ist Mitglied der Dhamurian Gesellschaft, welche sich um eine umfassende Untersuchung der Pyramide von Gympie bemüht. Daher wurde das Grundstück, auf dem sich das Bauwerk befindet, bereits im Jahr 2005 von Mitgliedern der Gesellschaft gekauft. Das Areal ist also Privatgelände und damit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Interessierte Forscher und Besucher sind der Dhamurian Gesellschaft aber stets willkommen. Sie erhalten auf Wunsch auch eine Führung durch das Areal.
Ungemach droht dieser einzigartigen archäologischen Fundstätte aber durch den Beschluß des australischen Verkehrsministeriums, ausgerechnet hier entlang eine neue Autobahn zu bauen. Die Arbeiten dazu sollen bereits 2015 beginnen. Doch möglicherweise werden die Bauarbeiten auch weitere geheimnisvolle Artefakte ans Licht bringen.
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Verwendete Literatur
Gilroy, Rex, Giants from the Dreamtime, Sydney, 2011
Green, Brett, The Gympie Pyramid Story, Brisbane, 1999
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