Kaum mehren sich die Zeichen, dass der Höhepunkt der Coronapandemie für dieses Mal überschritten sein könnte und schon heißt es, eine neue noch größere Bedrohung zöge herauf: eine wirtschaftliche Rezession, die schlimmer sein werde als alles, was die heute Lebenden bislang erfahren haben. Der Wirtschaftseinbruch habe dramatische Ausmaße erreicht. Selbst wenn jetzt alles richtig gemacht, sprich die Digitalisierung an allen Fronten zügig vorangetrieben werde, sei eine Rückkehr auf den bisherigen Wachstumspfad erst gegen Ende dieses Jahrzehnts zu erwarten. Zunächst werde die Wirtschaft aufgrund von Corona um 5 bis 10 Prozent einbrechen und die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen lassen. Nur gigantische Finanzströme sollen da noch helfen. Allein Deutschland will 1,5 Billionen Euro mobilisieren, eine Summe, die – wenn überhaupt – nur in Jahrzehnten getilgt werden kann. In der EU ist gar die Rede von einer „ewigen Anleihe“, die nie zurückzuzahlen wäre. Das kann, so das Argument, keine Volkswirtschaft stemmen. Die Last wäre zu groß.
Diese Epidemie hat schon einiges offenbart: ein bemerkenswertes Maß an Einsatzbereitschaft und Selbstlosigkeit, an „Opferwillen und Solidarität“. Aber sie offenbart auch – je länger, je mehr – ein erschreckendes Maß an gesellschaftlicher Zerbrechlichkeit, Zukunftsblindheit und fehlendem Gestaltungswillen. Vielen fällt nichts Besseres ein, als da weiterzumachen, wo vor wenigen Monaten der bisherige Lauf der Dinge ins Stocken geriet und die Wirtschaft, so als sei nichts gewesen, wieder „hochzufahren“. Dass Deutschland in diesem Jahr – trotz Krise – schon am 3. Mai seinen Erdüberlastungstag erreicht hatte und seitdem unsere natürlichen Lebensgrundlagen durch seinen exzessiven Ressourcenverbrauch , seinen Müll und seinen Schadstoffausstoß massiv beschädigt, interessiert offenbar nur eine Minderheit. Die Mehrheit möchte die Produktion wieder möglichst schnell auf den alten Wachstumspfad zwingen, die Mobilität weiter erhöhen, die Einkommen in gewohntem Umfang steigern…
Irgendwie scheinen große Teile der Gesellschaft ganz buchstäblich von Sinnen zu sein. Anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen und zu prüfen, ob es nicht in Anbetracht der Lage auch mit etwas weniger weitergehen könne, schrillen allenthalben Alarmsirenen. Auf die materiellen Lebensbedingungen von 2015 oder gar 2010 zurückgeworfen zu werden, erscheint vielen unerträglich und deshalb unzumutbar. Scharfmacher wittern ihre Chancen. Was taugt eine gesellschaftliche Ordnung, in der es nicht materiell ständig aufwärts geht?
Das ist wohl das Beunruhigendste dieser Krise. Was Optimisten erhofft und Pessimisten befürchtet haben, wird nicht eintreten. Die Welt wird nach dieser Heimsuchung keine andere sein. Noch ehe die derzeitige Coronawelle nachhaltig abgeebbt sein wird, werden sich alle, die dies können, wieder im Kaufrausch befinden, wird jedes attraktive Fleckchen von Urlaubern überflutet sein, werden endlose Autoschlangen den Verkehr lahmlegen. Millionen und Abermillionen werden wie bisher sinnentleerten Tätigkeiten nachgehen und Dinge produzieren, die nur mit einem aberwitzigen Werbeaufwand vermarktet werden können. Aufkeimende Solidarität wird bis zum nächsten Mal hintangestellt werden. Milliarden wird es weltweit am Nötigsten mangeln und Überreiche werden nicht wissen, wohin mit ihrem Reichtum. Statt in sauberes Wasser und saubere Luft wird weiter in Panzer und Kanonen investiert werden. Und Ströme von Brot-, Heimat- und Rechtlosen werden weiter anschwellen.
Das wird sich fortsetzen bis zum nächsten Einschlag, der nach allem, was jetzt schon für die Zukunft programmiert ist, noch verheerender sein wird als dieser, zumal das Pulver gewaltiger Finanztransaktionen dann verschossen sein wird.