Mit dem „Prinzip Hoffnung“ durch Richard Wagners „Ring“ – Hansgünther Heymes neuer „Ring des Nibelungen“ als Zyklus in Halle/Saale

Noch ehe aus dem Orchestergraben das berühmte Kontrabass-Brummen aus den Urtiefen des Rheins erklang, erregte in Halle ein besonderer Theatervorhang die Aufmerksamkeit des Opernbesuchers. Anlässlich seiner „Ring“-Inszenierung für Halle und Ludwigshafen ließ Hansgünther Heyme, seit 2004 Intendant am Theater im Pfalzbau/Ludwigshafen, aus jugendlichen Wünschen und Träumen einen „Vorhang der Hoffnung“ gestalten, den er mit einem verkürzten Zitat des in der Industriestadt am Rhein geborenen Philosophen Ernst Bloch versah: Eine bunte Bild- Textcollage, die das gesamte Mammutwerk von Richard Wagner als Gegengewicht zu dessen destruktiven Tendenzen begleitet. Das „Rheingold“ – nicht nur als „Vorabend“ des Nibelungen-Zyklus sondern auch als „Vor-Schein auf der fernsichtigen Höhe der Zeit“ im Blochschen Sinne.
„Der Vorhang geht auf… Vom gehabten Leben verschwindet die Enge, in die es so oft geraten ist; … kräftige Geschicke ziehen nun auf“ – schrieb Ernst Bloch in seinem Bestseller „Das Prinzip Hoffnung“ (1954-1959 in der DDR erschienen), unter anderem mit der Erkenntnis, dass durch große Kunst wahres und besseres Leben möglich wird.
Das ist auch der Grundgedanke, der sich durch die gesamte Neuinszenierung des Rings, einer Ko-Produktionfür Halle und Ludwigshafen, und bereits ihre Vorbereitung außerhalb des Theaters in die Gesellschaft hineinzieht. 1978 hatte Hansgünther Heyme, ehemals Schüler und Assistent des großen Erwin Piscator, schon einmal ein Ring-Projekt in Nürnberg begonnen. Warum nach seinem umstrittenen kapitalismuskritischen „Rheingold“ Schluss war, ist nicht genau nachzuvollziehen, aber fest stand, dass es damals kein Prinzip Hoffnung geben sollte. Als Karl-Heinz Steffens, Generalmusikdirektor in Halle und seit 2009 auch Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie in Rheinland Pfalz, Hansgünther Heyme2010 als Regisseur für einen neuen Ring gewann, schien dieser dagegen im Alter von 75 Jahren„auf der fernsichtigen Höhe der Zeit“ angekommen zu sein.
Auch wenn im „Rheingold“ Götter, Riesen und Zwerge auf der Bühne agieren, macht Heymein der selbst entworfenen Bühnesamt ebensolchen Kostümen deutlich, dass Mythos und Märchender Stoff der Gegenwart sind. Er folgt damit auch dem Wagnerschen Diktum vom „Unvergleichlichen des Mythos“, der „für alle Zeiten unerschöpflich ist“. „Anhand von scheinbar vergangenen Mythen wird banales abgehandelt, all das, was uns täglich angeht und ausmacht“, sagt Heymemit einem kritischen Blick auf die Oberschicht und deren Begehrlichkeiten. Machtstreben, die Gier nach Geld, Intrigen und Verbrechen sind von heute.
Es ist der Personenregie des erfahrenen Theatermannes Heyme zuzuschreiben, dass die Faszination dieses Rings nicht nur aus dem Orchestergraben kommt sondern auf das Bühnengeschehen übertragen ist. Hier agieren im Gegensatz zu Achim Freyers Inszenierung in Mannheim Menschen statt Puppen, allen voran Alberich nicht als Zwerg sondern als groß gewachsener, nach Liebe schmachtender Mann, der mit Pornos auf Zurückweisung und mangelnde Liebe reagiert. Gerd Vogel singt und spielt ihn als Gegenpart zum stimmschönen, aber etwas schwächeren Wotan (Gérard Kim) überzeugend und großartig. Lebenswelt statt Zauberwelt auch in den Kostümen, die zwischen Alltags- und Bühnentauglichkeit changieren.
Auch in Heymes Bildfindungen und Szenerien herrscht nicht immer Eindeutigkeit. Die Engel des Todes, die nach Fasolts Tod vom Bühnenhimmel herabschweben, sind sie nicht auch schon Vorbotender Walküren? Und die riesige schwarze Schachtelwand mit Buchstaben und Zahlen, die den gesamten Ring begleitet, ist sie nur eine Art Asservatenkammer für tote Heldenoder nicht doch auch Symbol einer von Zahlen, sprich Banken und Geld dominierten Gegenwart?
In die lautmalerischen Klänge des Walkürenvorspiels, das nichts Gutes verheißt, mischen sich Motorradgeräusche als störendes Element. Als sichtbares Zeichen zweier sich feindlich gegenüberstehender Gangs fahren zwei große Maschinen auf die Bühne. Wälsungen contra Hundings Mannen! Den Entwurf für die „Wand der Verzweiflung“ in Hundings Hütte hat im Rahmen eines Wettbewerbs der Künstler und Sprayer Philipp Himmel gemacht,
Sieglinde funzelt mit einem alten DDR – Fernseher auf der Bühne herum. Die Zwangsverheiratete und vor der Begegnung mit Siegmundfrustrierte Vielguckerin will ihren Bruder zu dem Schwert führen, das in einem Telegrafenmast steckt. Abgesehen von einzelnen, leicht angestaubten Ideen der Regie ist der berühmte erste Akt der „Walküre“nicht nur überzeugend und anrührend inszeniert, sondern auch gut gesungen (Carola Höhn und Thomas Mohr). Im zweiten Akt führen Wotan und Fricka ihr verbales Eheduell in einer Cocktailbar mit Spielautomaten aus, aufreizend gekleidete Barmädchen inklusive. In dieser Szene, Dreh- und Wendepunkt des Rings, wird Wotan in die tiefste Krise seines Lebens gestürzt: Siegmund oder Walhall? Freiheit, Natur und Liebe oder Gesetz, Konvention und Besitz?„Eine ganz und gar heutige Figur“ sieht Hansgünther Heyme in Wotan, der in Halle durch seine Darstellung und den eher lyrisch gefärbten Gesang folgerichtig die tragische Größe einbüßt. Der Walkürenritt, ein Catwalk, beidem die Wotanstöchter die Überrestetoter Helden in schwarzen Schachteln schwenken.
Als Wotan sich von seiner Lieblingstochter Brünnhilde verabschieden muss, bricht der Tsunami der Gefühle wie in den meisten Inszenierungen vor allem im Orchestergraben aus.
Auf zwei Ebenen sitzen die Musiker dort, die Harfen spielen vom seitlichen ersten Rang. Weniger Instrumente als im großen Wagnerorchester,aber die reichen Farben, die die Musiker unter Karl-Heinz Steffens hervorzaubern, machen nicht nur „Wotans Abschied“ zu einem der Höhepunkte im Ring. Der Dirigent, 1961 in Trier geboren, ursprünglich Soloklarinettist, unter anderem bei den Berliner Philharmonikern, gilt als großes Talent, und hier in Halle zeigte er eine hervorragende Leistung.
Die wurde in den Medien mehrfach auch dem Siegfried-Sänger Andreas Schager bestätigt (die ersten Einzelaufführungen des Heyme- Rings fanden ja schon seit 2010 mit dem „Rheingold“ statt). Jetzt in Halle wurde Schagersgesangliche Leistung im dritten und vierten Teil des Wagnerschen Opus mit Beifallsstürmen bedacht. Unangestrengt, höhensicher und von strahlender Kraft ist die Stimme des jungen Österreichers, der unter Heymes Regie auch sein schauspielerisches Talent entfalten kann. Mit Ziehvater Mime (auch überzeugend: Ralph Ertel) liefert er sich im „Siegfried“ herrliche Wortgefechte, später mit Wotan als Wanderer, der bar jeder Göttlichkeit auf der Bühne als Beobachter noch länger präsent bleibt als sonst. Siegfried, der das Fürchten nicht kennt, singt auch so- ein Heldentenor der Extraklasse! Sein Kostüm entstammt einem Wettbewerb, der im Vorfeld der Produktion unter jungen Menschen ausgeschrieben wurde. Mit dem Hintergedanken eins „Rings für alle“ brachte „Create Siegfried“ erfrischende neue Einsichten in das historisch „verminte“ Gelände des Heldentums. Für Heyme ist Siegfried ein „reiner Tor“, zwar mutig, aber „ohne Wirklichkeitssinn, ohne Abwehrkräfte gegenüber einer verkommenen, ewig nur gestrigen Welt“. Auch Mime sitzt- in dieser Inszenierung buchstäblich- hoch über der Realität im gläsernen Wolkenkuckucksheim, unter ihm die Pipelines der kapitalistischen Welt. Der „Siegfried“, während dessen Entstehung Wagner in eine lange Sinnkrise geriet, gelingt Heyme trotz aller Schwierigkeiten mit den märchenhaften Vorgängen im 2. Akt am besten. Es sind neben der Personenführung die starken Bilder und die starken Gesangsleistungen, die überzeugen, die „Lichtzeichen, die selbst die Erstarrung überdauern“ (wieder ein Zitat von Ernst Bloch als Collage auf dem Vorhang der Hoffnung, dieses Malaus der Tübinger Einleitung in die Philosophie).
Doch taugt die Philosophie der Hoffnung auch für Wagners finale Vision der „Götterdämmerung“?
In Heymes Vision dreht sich die Bühne um 180 Grad, und die nackte Rückwand der Kulisse wird sichtbar. Mit fragendem Blick geht der Chor nach dem apokalyptischen Geschehen auf das Publikum zu, ein Regieeinfall, den man schon von Patrice Chéreaus Bayreuther „Jahrhundertring“ aus dem Jahr 1976 kennt. Gibt es ein Danach? Oder ist dies das Ende der Zivilisation? „Zu End` Ewiges Wissen/Der Welt melden Weise nichts mehr“ sangen am Anfang die Nornen weissagend vor dem Vorhang in Endzeitstimmung, und auch Brünnhildes Schlussgesang (stark: Lisa Livingston), von Wagner im Libretto mehrfach verändert, endet im Tod. Allein Wagners Wiederaufnahme eines Motivs aus dem 3. Akt der „Walküre“, mit dem Sieglinde bejubelt, dass sie Siegfried gebären wird, kann als „Erlösungsmotiv“ gedeutet werden. Wagners Untergangsmusik ist von erhabener Schönheit, vielleicht das„Fenster“ zu der „immerhin gestaltbaren Möglichkeit“, von der Bloch sprach, denn die Sozialutopien des „marxistischen Romantikers“ Bloch und die des revolutionären Wagner – beide auch aus politischen Gründen im Exil – enthalten die Gewißheit, dass in der Kunst das Potential zur Weltverbesserung liegt. Hansgünther Heyme hat diese Hoffnung nicht ganz aufgegeben und einen Ring inszeniert, dem er viele junge Besucher wünscht.

Als Zyklus wird „Der Ring des Nibelungen“ in Halle erst wieder 2014 zu erleben sein, in Ludwigshafen wird er vom 21. bis27. April in gleicher Rollenbesetzung mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wiederholt.

Über Sylvia Hüggelmeier 34 Artikel
Sylvia Hüggelmeier studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Publizistik und Pädagogik an den Universitäten Münster/Westfalen und München. Seit 1988 schreibt sie als Freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.

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