Auf den Spuren der Bonner Jahre von Ludwig van Beethoven

Foto: Constantin Graf von Hoensbroech

Welchen der heute noch bestehenden mittelalterlichen Bitt- und Wallfahrtswege auf den über 330 Meter hohen Petersberg mag Ludwig van Beethoven genommen haben? Wie hat er die grandiose Aussicht auf die Rheinebene und seine Geburtsstadt Bonn empfunden? Hat er die Wallfahrtskapelle St. Peter, hinter der sich nun das „Grandhotel Petersberg“ und Gästehaus des Bundes erhebt, besucht, dort vielleicht gebetet?

Eine Stele unweit des Hotels erinnert daran, dass der Petersberg, der benachbarte Drachenfels sowie die einstige Zisterzienserabtei Heisterbach im Siebengebirge regelmäßige Ausflugsziele der Familie Beethoven gewesen sind. Jahrhunderte lang wurden der Petersberg sowie das Heisterbacher Tal durch die Zisterzienser geprägt. Der als junger Organist früh mit dem religiösen Leben vertraute Beethoven hatte nachweislich Verbindungen zu der Ordensgemeinschaft, die damals in und um Bonn eine einflussreiche Rolle spielte.

Den weitläufigen Blick vom Plateau des Drachenfels hat der Komponist sein Leben lang sehnsüchtig in Erinnerung behalten, wie die dortige Stele informiert. Die Liebe zur und Inspiration durch die Natur wurden bei ihm möglicherweise bei seinen Ausflügen in den heutigen „Naturpark Siebengebirge“ vor den Stadttoren südlich von Bonn grundgelegt. Ob er in Wien in den Jahren 1807/08 während der Komposition der als „Pastorale“ bekannten sechsten Symphonie – etwa im ersten Satz „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“ oder der berühmten Gewitter- und Sturmszene im vierten Satz – Erinnerungen an Wanderungen in der Heimat vor Augen hatte?

„Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige Dein Gemüth“, lautet eines der Beethoven-Zitate, welches in der neu konzipierten Dauerausstellung in großen Lettern an einer der Wände des Geburtshauses zu lesen ist. Vor dem Haus in der Bonngasse 20 steht die erste Stele, die anlässlich des Jubiläumsjahres an 22 Stationen in und um Bonn als Wegmarken des Beethoven-Wanderwegs aufgestellt wurden. Sie laden zu einem Rundgang an Orte ein, die zum Lebensumfeld des vor 250 Jahren geborenen Ludwig van Beethoven während seiner Bonner Jahre bis zum Wechsel nach Wien gehörten.

Vermutlich am 16. Dezember 1770 erblickte das musikalische Genie in der damaligen Residenzstadt des Kurfürsten von Köln das Licht der Welt. Warum und wie der Kurfürst für den Werdegang des heute meistgespielten Komponisten der Welt eine entscheidende Rolle spielte, wird beim Rundgang durch das verwinkelte Bürgerhaus aus dem 18. Jahrhundert anschaulich erklärt. Die Bratsche, die Beethoven als Heranwachsender in der Hofkapelle gespielt hat, liegt neben dem Orgelspieltisch von 1775 aus der St. Remigius-Kirche. Bereits mit 13 Jahren avancierte Beethoven zum zweiten Hoforganisten. Später beeinflusste Kurfürst Maximilian Franz von Österreich (1784 bis 1801) mit seiner Aufgeschlossenheit und seinem progressiven Geist gegenüber Absolutismus und Reformbestrebungen auch das Denken des jungen Musikers. 1789 schrieb sich Beethoven für das Fach Philosophie an der drei Jahre zuvor gegründeten Bonner Universität ein. Mit finanzieller Unterstützung des Kurfürsten wechselte er 1792 in die Metropole des Habsburgerreichs.

Beim Rundgang durch das seit einigen Wochen wieder eröffnete Haus treffen die Besucher auf weitere Personen, die für Beethoven zu wichtigen Wegbegleitern und -bereitern wurden – etwa die musikbegeisterte Bonner Familie von Breuning. Ein wunderbarer Scherenschnitt nimmt die Betrachter mitten hinein in die Familie. Die Ehefrau Helene, eine Hofrätin, war als mütterliche Vertraute wichtig für die Persönlichkeitsbildung Beethovens, und deren Kinder blieben ihm stets freundschaftlich verbunden.

Das wird auch anhand eines außergewöhnlichen Objekts im ersten Raum deutlich: eine Elfenbeinminiatur aus dem Jahre 1802. Mit feinstem Pinselstrich hat der dänische Maler Christian Hornemann (1765 bis 1844) die Aquarellfarbe auf das Elfenbeinblatt aufgetragen. Es zeigt den 32 Jahre alten Beethoven: selbstbewusst, elegant, mit kurzem Haarschnitt. Beethoven hat dieses wertvolle Exponat seinerzeit seinem Jugendfreund Stephan von Breuning nach einem heftigen Streit als Zeichen der Versöhnung geschenkt.

Das Bild entstand zu einer Zeit, als Beethoven in Wien erstmals zu weitreichender Anerkennung gelangt war. Damals ging er in zahlreichen Adelshäusern ein und aus, erteilte dort Klavierunterricht und führte seine Werke auf. In einem großen Glasschrank hängen zwei Geigen, eine Bratsche und ein Violoncello. Diese vier Instrumente für das Streichquartett hatte Beethoven von Fürst Karl Lichnowsky bekommen. Ihm widmete Beethoven ebenso Werke wie auch anderen Adeligen, die dem Komponisten als Mäzene dessen Existenz als freischaffender Künstler sicherten.

Auch die Widmung seiner ersten Kompositionen hatte einen hochadeligen Adressaten wie das Beethoven-Haus erinnert. 1783 übergab er als „reines Opfer kindlicher Ehrfurcht“ seine ersten drei Klaviersonaten dem Kurfürsten Maximilian Friedrich Reichsgraf von Königsegg-Rothenfels (1761 bis 1784). „Und darf ichs nun Erlauchtester! wohl wagen die Erstlinge meiner Werke zu Deines Thrones Stufe zu legen?“, fragte Beethoven rhetorisch in der wohl mit Hilfe seines Lehrers Christian Gottlob Neefe verfassten Widmungsadresse.

Erzählt wird auch von Beethovens inniger Liebe, mit der er vergeblich die Witwe Gräfin Josephine Deym umwarb. „Tausend Stimmen flüstern mir immer zu das sie meine einzige Freundin, meine einzige Geliebte sind.“ Es sind zärtliche, ja poetische Worte aus der Feder eines Mannes, der einmal bekannte, dass „ich nicht so zu schreiben imstande bin wie ich fühle und lieber 10000 Noten (schreibe) als einen einzigen Buchstaben“. War Gräfin Deym jene „unsterbliche Geliebte“, an die Beethoven den unvollständig datierten Brief, vermutlich aus dem Jahr 1812, richtete, der nach seinem Tod 1827 in seiner Wiener Wohnung gefunden wurde?

Solche Episoden und noch vieles mehr lassen sich beim Besuch von einem der meist besuchten Komponistenhäuser der Welt entdecken. Rund 100.000 Besucher kommen jährlich in das Gebäude in der Bonner Innenstadt. Im Laufe dieses Jubiläumsjahres werden es vermutlich weit mehr und es lohnt sich. Dabei ist das Haus selbst, das etwa 200 Ausstellungsstücke aus der weltweit umfangreichsten Sammlung zu Beethoven zeigt, bereits das herausragende Exponat an sich. 1889 wurde der Verein Beethoven-Haus Bonn gegründet, der das vom Verfall bedrohte Bürgerhaus erwarb, restaurierte, als Museum eröffnete und schließlich zum führenden Beethoven-Zentrum ausbaute. Zur Sammlung gehören Handschriften, Bilder, Musikinstrumente, Erinnerungsstücke sowie Primär- und Sekundärliteratur.

Zur räumlich erweiterten Schau zählen nun auch ein Musikzimmer sowie eine „Schatzkammer“ im historischen Kellergewölbe des Nachbarhauses, in der in regelmäßigem Wechsel Originalmanuskripte gezeigt werden. Dies war vorher aus konservatorischen Gründen nicht möglich. Natürlich spielt das für 3,7 Millionen Euro überarbeitete und erweiterte Beethoven-Haus im Jubiläumsjahr eine exponierte Rolle.

Die Authentizität des Gebäudes mit den wie Kabinette gestalteten Zimmern, durch die sich die Besucher auf knarzenden Holzdielen bewegen, trägt dazu bei, dass „wirklich jeder etwas finden sollte, was ihm eine Tür, einen Zugang zu Beethoven eröffnet“, so Direktor Malte Boecker. Dabei sind die neun Räume thematisch gestaltet und erzählen Geschichte und Geschichten von und zu Beethoven – etwa den Blick der Zeitgenossen, über Bonn oder über Arbeit und Alltägliches. Der damalige Alltag und Stationen aus Beethovens Leben werden in diesen spezifischen Themenräumen aufgegriffen, Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie Vitrinen und Möbelstücke fangen die Wohnhausatmosphäre ein. Der ehemalige, aus dem Jahr 1996 stammende Rundgang durch die Gedenkstätte ist nicht mehr chronologisch angelegt und ermöglicht es den Besuchern nun, sich sehr individuell und emotional erlebbar in einzelne Lebensabschnitte dieses zeitlos aktuellen Titanen der klassischen Musik zu vertiefen.

Dessen streng disziplinierter Tagesablauf begann meist um sechs Uhr morgens,  umfasste neben Spaziergängen sehr genau festgelegte Zeiten für das Komponieren und endete mitunter bei einem abendlichen Besuch im Gasthaus. Exponate wie die Lebend- und die Totenmaske berühren ebenso unmittelbar wie etwa auch das (vermeintliche) Geburtszimmer oder der Raum „Schicksalsschläge“. Beschreibungen von Therapien oder einige Hörrohre verdeutlichen die seit etwa 1801 einsetzende Schwerhörigkeit und schließlich Ertaubung des Komponisten, der ab 1818 nur noch mit Hilfe von Konversationsheften zu kommunizieren vermochte. Beethoven, der zeitlebens unter zahlreichen Leiden und Krisen gelitten hat und daher aus dem Leben gehen wollte, fand dennoch zurück in sein Leben: „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht.“

Alles kulminiert in dem berühmten Gemälde von Joseph Stieler (1781 bis 1858). Dieses hängt zentral im neu eingerichteten Bereich für Wechselausstellungen. Das ikonenhafte Beethoven-Porträt aus dem Jahr 1820 gehört zum Bestand des Beethoven-Hauses und vereinigt wohl auf grandiose Weise das, was den „Welt.Bürger.Musik“ ausmacht. Das an die Bundeskunsthalle ausgeliehene Gemälde setzt einen idealisierten, visionären und heroisierten Beethoven ins Bild. In Händen hält er die Partitur seiner „Missa Solemnis“. Diese Vertonung des katholischen Messordinariums, mit der er nicht nur – wie so oft in seinem außergewöhnlichen Werk von rund 400 Kompositionen – die Grenzen der Musik, sondern auch noch mal eben die der Liturgie erweiterte, ja sprengte, hielt der Meister selbst für sein bestes Werk.

Beethoven-Haus, täglich von 10 bis 18 Uhr, Bonngasse 20, Bonn,

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