Zwei Jahre nach dem Ende der Napoleonischen Ära setzte eine studentische Versammlung – als Fest apostrophiert, in Wirklichkeit aber hochpolitisch – ein öffentliches Signal des politischen Aufbruchs in höchst unruhigen und aufgewühlten Zeiten, das große Resonanz hatte. Von einem Verbot der Burschenschaft war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede.
Das Titelbild zeigt bereits das symbolische Bild einer wahren Anabasis der Studenten hinauf zur geschichtsträchtigen Wartburg – ein gelungener Einstieg. Der Franz-Steiner-Verlag, der das Werk verlegte, schreibt in seinem Beiblatt: „Im Wartburgfest kamen somit all jene Problemkomplexe zusammen, die in den folgenden Jahrzehnten die Politik und Gesellschaft in Deutschland bis über die Reichsgründung hinaus prägen sollten.“ Dass hier eine wahre Fundgrube für die ideengeschichtliche Interpretation des 19. Jahrhunderts vorliegt, sei vorweg bemerkt. Der Band weist dabei eine inhaltliche Steigerung auf. Von eher allgemein gehaltenen Beiträgen geht es zu konkreten inhaltlichen und prosopographischen Studien, die vor allem die Korporierten in gebührender Weise – und keinesfalls unkritisch – würdigen. Den krönenden Abschluss, nicht nur in dieser Hinsicht, liefern dann Matthias Stickler und Harald Lönnecker.
Drei Aufsätze, die das Umfeld des Wartburgfestes beleuchten, bilden den Einstiegsteil des Buches. Solide referierten auf der Tagung, die diesem Band zugrunde liegt, Wolfram Siemann, Wolfgang Burgdorf und Hans-Werner Hahn über den preußischen, den österreichischen sowie den gesamtdeutsch-europäischen Hintergrund, vor dem das Fest stattfand. Interessant sind die Funde, die Markus Mößlang für England und Schottland präsentieren konnte: Das Wartburgfest hatte durchaus Widerhall bis auf die britischen Inseln. Dafür, dass dies eine Demonstration von nur rund 500 jungen Menschen – zumeist Männern – war, wie später vor allem Joachim Bauer vertiefend darstellen sollte, ist das bemerkenswert.
Marco Kreutzmann referierte auf der Tagung, die im Jahre 2017 auch tatsächlich auf der Wartburg stattfand, über die deutschen Mittelstaaten – aus dieser Warte ergibt sich ein klarer Hinweis darauf, daß die die Studenten sich durchaus mit konkreten politischen Absichten versammelten – die Nachricht vom Wartburgfest verstärkte demnach den Druck auf die Gesandten des Deutschen Bundes, konkrete Schritte in Richtung einer erhofften und ersehnten Reichsverfassung einzuleiten, ganz enorm. Eine bedenkenswerte Facette!
Ähnlich liegt der Fall bei Winfried Müller. Er referierte über das Königreich Sachsen, dessen König gegen Ende der napoleonischen Ära zwischen allen Stühlen saß und nicht nur große Gebietsverluste hinnehmen mußte, sondern auch fast alle Luther-Gedenkstätten an Preußen verloren hatte. Bei dieser Gelegenheit aber wird deutlich, welch eine dichte Folge von Erinnerungstagen dem Wartburgfest zugrundelag – angefangen vom fünf Jahre zurückliegenden Rußlandsfeldzug Napoleons bis zum 300. Jahrestag der Reformation Martin Luthers; konkret ging es hier um die Veröffentlichung der berühmten 95 Thesen in Wittenberg. Auch dies ist aber eine Grundlage für die im Verlauf der Konferenz und damit auch in der Reihung des Tagungsbandes folgenden, prosopographischen Studien. Gerhard Müller ergänzt dies aus dem Blickwinkel des Staates, in dem das Fest wohl aus doppeltem Grund stattfand – erstens besaß das Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach eine gerade frisch verabschiedete, liberale Verfassung, und zweitens war die Wartburg ein zentraler Schauplatz der Reformation, an die im Oktober 1817 wie gesagt nicht zuletzt erinnert werden sollte.
Es folgt ein Abschnitt über die religiösen Aspekte des Festes. Christoph Spehr, Jena, einer der Herausgeber des Bandes, schreibt über die evangelischen Inhalte des Wartburgfestes, die nicht zu unterschätzen sind. Er erkennt einen „über das rein konfessionell Kirchliche hinausgehenden ideengeschichtlichen Horizont vom ‚Protestantismus’ als Religion der Freiheit, des Fortschritts und des besseren Zusammenlebens“, in den das Wartburgfest einzuordnen sei. Dennoch sei das Fest in konfessioneller Hinsicht „friedlich“ gewesen, was er auf eine übergeordnete, „patriotische“ Frömmigkeit zurückführt. Wichtig ist sein Hinweis darauf, daß am 18. Oktober 1817 in Eisenach die Teilnehmer des Festes um 6 Uhr morgens mit Glockengeläut versammelt wurden, um dann um 8.30 Uhr mit erneutem Geläut zur Wartburg aufzubrechen. Um 10 Uhr begann dort die eigentliche Versammlung mit einem Gottesdienst im Rittersaal. In Eisenach fand dann am selben Nachmittag ein Festgottesdienst zum Gedenken an die Völkerschlacht statt; Spehr nennt die Prediger und hat die erhaltenen Quellen auf Informationen zu den Liedern, die gesungen wurden, ausgewertet. Bei den Reden legt er einen Schwerpunkt auf die Worte, die der Philosophieprofessor Jakob Friedrich Fries in seiner „Rede an die deutschen Burschen“ fand. Sehr hilfreich ist schließlich der Befund Spehrs, daß sich erst die Bezugnahme auf das Wartburgfest wie auch auf die Reformation ganz allgemein, die durch Radikale wie den Burschenschafter Carl Ludwig Sand im Nachhinein erfolgte, fatal auf die Rezeption dieses letztlich studentischen, frommen und eher als Mahnung gedachten Ereignisses ausgewirkten.
Stefan Gerber, der in Jena lehrt und ebenfalls zu den Herausgebern des Bandes gehört, steuert dem insgesamt sehr lohnenden Werk einen Beitrag zur Wirkung des Wartburgfestes auf das katholische Deutschland bei. Er öffnet damit zugleich den Wirkungshorizont des Wartburgfestes bis hinein in den Kulturkampf im späten 19. Jahrhundert. Auch er arbeitet jedoch den studentischen Charakter des Festes heraus: „Entscheidend für die Einladung war nicht ein konfessionelles, sondern ein studentisch-burschenschaftliches Bezugssystem.“ In einer sehr sorgfältigen und kenntnisreichen Studie legt Gerber dar, daß zum Zeitpunkt des Wartburgfestes und bei dessen Rezeption durch die Zeitgenossen insgesamt noch nicht jener unversöhnliche Ton angeschlagen wurde, der später im Deutschen Reich, im Kulturkampf, den protestantisch-katholischen Diskurs prägen sollte. Als Autor leistet er mit dieser darstellenden Einordnung einen wichtigen Beitrag zum Gesamtverständnis des Wartburgfestes durch die Zeitzeugen.
Überaus hilfreich zum Verständnis des studentischen Treffens auf der Wartburg ist weiter oben bereits erwähnte die statistische Arbeit des in Jena lehrenden Joachim Bauer; er ist der Dritte – und auch der Erstgenannte – im Bunde der Herausgeber. Sorgfältig und sinnvoll schlüsselt er auf, wer auf der Wartburg zugegen war. Die Statistiken zum Alter der Anwesenden, zur regionalen Herkunft, zur konfessionellen Herkunft und nicht zuletzt zur Verortung in den unterschiedlichen Studentenverbindungen helfen dem Autor enorm, ein transparentes Bild vom Charakter der Versammlung zu entwickeln. Bauer fällt es leicht, diese Unterscheidungen korrekt zu treffen, denn er bedient sich der studentischen Überlieferungen der Korporierten – eine prosopographische Komponente, die einen Vorteil in der Quellenkunde ermöglicht, der andernorts, also in sehr vielen Fakultäten, allzu oft unterschätzt wird.
Nur bedingt erschließt sich die These von Klaus Ries, der gleichfalls in Jena lehrt, das Wartburgfest sei der „Beginn eines politischen Professorentums“ gewesen – dazu genügt schon ein Blick auf Johann Gottlieb Fichte. Unklar bleibt auch, inwiefern Märtyrertum und Terrorismus heutiger Tage auf das Wartburgfest zurückzuführen sein sollen.
Der wissenschaftlich in Würzburg beheimatete Matthias Stickler öffnet der Leserschaft einen weiten Horizont. Vom Wartburgfest ausgehend beleuchtet er die Bildungslandschaft in der weite Teile des östlichen Mitteleuropas umfassenden Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, federleicht erzählend und zugleich faktenstark. Das weitgehende Fernbleiben österreichischer Teilnehmer vom Wartburgfest erklärt er – sie wurden zumeist schlichtweg nicht eingeladen. Wichtig ist hier die Begründung: Dies lag an einem von Wien ausgehenden Bildungsklima, das Reformen nicht zuließ und damit für eine Isolation des Doppelreiches insgesamt sorgte; Stickler attestiert, daß die österreichischen Studenten vom mit dem Namen Humboldt verbundenen Reformgeist in Mitteleuropa „faktisch ausgeschlossen“ gewesen seien. Daraus erklärt er auch die Tatsache, daß die Österreicher als Teilnehmer des studentisch und akademisch ausgerichteten Wartburgfestes nicht infragekamen, weil eben ihre Universitäten akademisch nicht – beziehungsweise nicht voll – anerkannt waren. In einigen deutschen Staaten herrschte dagegen offenbar ein Klima, in den auch der geistige Aufbruch der Studenten auf der Wartburg stattfinden konnte. Die Studenten trafen sich wohl auch nicht zufällig auf dem Boden des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, wo 1816, im Jahr vor dem Wartburgfest also, eine ausgesprochen liberale landständische Verfassung erlassen worden war – wie weiter oben bereits erwähnt. Höchst aufschlußreich sind auch Sticklers Bemerkungen zur Sonderrolle der Prager Studenten in Österreich-Ungarn, die sich auch auf das Wartburgfest auswirkte. Kurzum – dieser Beitrag ist höchst lesenswert, vor allem unter dem andernorts vielfach unterschätzten Aspekt der Studentengeschichte.
Harald Lönnecker hat, was burschenschaftliche Geschichtsschreibung betrifft, seit Jahren schon das letzte Wort – zurecht. So auch in diesem Band, der indes weit über das spezifische studentenhistorische Feld hinausgeht und eine veritable, jedem Anspruch mehr als genügende Historikerkonferenz abbildet. Die Diskussion um die Ereignisse des Wartburgfestes, die sich zwischen mehreren Teilnehmern entsponnen hat, ist für Lönnecker die Folie, auf der er sehr genau und schlüssig darstellt, dass es schon unter den Zeitgenossen durchaus Diskussionen um den Verlauf des Festes gab. Lönnecker nutzt die Berichte der Burschenschafter Hans Ferdinand Maßmann und Friedrich Johann Frommann sowie des Professors Dietrich Georg Kieser, um dem Charakter der hochpolitischen Versammlung an symbolischem Ort nachzuspüren. Dies ist sehr ertragreich, und es gelingt dem Autor durch sauberes Quellenstudium, Rödigers umstrittene Feuerrede ebenso wie die symbolische Bücherverbrennung in den gebührenden Rahmen zu setzen. Letztere war demnach eine Einzelaktion „eines gewissen Maßmann, eines beschränkten Kopfes, der einen Luther en miniature zu spielen begehrte“, so hat es Lönnecker in den „Fragmenten“, einer Art Tagebuch eines Johannes Wit gen. v. Dörring, gefunden. Auch mit 200 Jahren Abstand sind damit Personen, Hintergründe und das politische Umfeld genau analysierbar. Wie viele seiner Zeitgenossen lehnt Wit alle Verschwörungstheorien rund um die Burschenschaft ab und erklärt – hierin ganz Zeitzeuge –, das Fest habe seine revolutionäre Wirkung erst durch die Zeitumstände, in die es fiel, entwickeln können. Doch dies ist nur der Anfang einer durchgängig perfekt belegten, sehr genauen Analyse zur geistesgeschichtlichen Bedeutung des Wartburgfestes, die anderswo so kaum zu erhalten ist. An diesem Beispiel zeigt sich die Stärke der Studentengeschichte, die, wenn sie denn quellenmäßig mit Sorgfalt und ideengeschichtlich mit Objektivität betrieben wird, auch für die allgemeine Geschichtsschreibung sehr fruchtbringend sein kann. Insgesamt ordnet Lönnecker das Wartburgfest als Meilenstein in einen Diskurs ein, der über das lange 19. Jahrhundert hinweg anhielt, der sich in dessen Verlauf deutlich steigern sollte und in dem Namen wie Ludwig Bechstein und Heinrich v. Treitschke nicht fehlen dürfen. Damit gerät dieser Aufsatz, der den Band über das Wartburgfest insgesamt abschließt, zugleich zum gültigen Resümee für die gesamte Tagung. Chapeau!
Harald Lönnecker selbst resümiert: „Die Burschenschaft des Jahres 1817 wollte weit mehr sein als eine Studentenverbindung, das war das Neue.“ Die postulierte Vorwegnahme eines künftigen, geeinten deutschen Staates sei es, die sie für die allgemeine Geschichte bedeutsam mache. Die Studenten auf der Wartburg praktizierten demnach die „Lösung vom Korporativen und Übergreifen in Sphären, in die sich Studenten bisher nicht vorgewagt hatten, wozu sie sich aber auf Grund der Ereignisse ab dem Jahre für 1813 befähigt und berechtigt hielten“. Als künftige Akademiker waren, so Lönnecker, „die Burschenschafter Multiplikatoren in der sich entwickelnden und vielfach von ihnen geschaffenen Nationalbewegung“. Die Zeit der Verbote sollte für sie erst mit den Karlsbader Beschlüssen ab 1819 beginnen.
Der Verlag hat einen soliden Band produziert, der allerdings vorwiegend für Bibliotheken gedacht sein dürfte, das zeigt der vergleichsweise üppige Ladenpreis von 59 Euro. An Details ist zudem erkennbar, daß wahrscheinlich keine studentenhistorisch geschulten Spezialisten mit der Gestaltung befaßt waren. Die Legenden für die Abbildungen 1 und 2 im Beitrag von Joachim Bauer sind vertauscht – in einem Fall geht es um Burschenschafter aus dem ganzen Deutschen Reich, im anderen speziell um Göttinger Verbindungen, darunter auch Landsmannschaften, damals wurden sie schon „Corps“ genannt. Insidern wäre das aufgefallen, denn ihnen fällt der Unterschied zwischen einer Burschenschaft und einer Landsmannschaft oder einem Corps sofort und unmittelbar ins Auge. Das sind aber nur Feinheiten, die den Gesamteindruck nicht schmälern können.
Es ist den Herausgebern insgesamt gelungen, ein Bild vom Wartburgfest zu entwickeln, in dem die Vielschichtigkeit dieses Ereignisses historisch weit besser zu erfassen ist, als das vielfach bisher der Fall war; der Verlag selbst spricht sehr passend von der „Perspektive einer europäischen Verflechtungsgeschichte“, doch es kommt etwas hinzu. Die angemessene und differenzierte Darstellung der Rolle der korporierten Studenten, die sich am stärksten bei Bauer, Gerber und Lönnecker wiederfindet, ist es wohl letztlich, die diesen Band qualitativ hervorhebt.
Bauer, Joachim / Gerber, Stefan / Spehr, Christoph (Hrsg.), Das Wartburgfest von 1817 als europäisches Ereignis, erschienen in der Reihe Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena, Bd. 15, Stuttgart 2020, 340 Seiten, broschiert, ISBN 978-3-515-12578-9, 59 Euro.