Die Konstitution von Gefühlsräumen – Untersuchungen zur Macht kollektiven Stimmungen

1. Einleitung

Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Analyse gesellschaftlicher Ordnung wie sie Ernst Bloch in seinem Schrift ‚Erbschaft dieser Zeit‘ von 1935 entwickeln hat und sucht diese für die Anwendung auf einen größeren Kontext zu verallgemeinern. Blochs Perspektive ist auf die Auseinandersetzung mit dem kulturgeschichtlichen Phänomen des Faschismus beschränkt. Es handelt sich hierbei um den Zeitzeugenbericht eines Intellektuellen, der seine Eindrücke der 20er und 30er Jahre in Form einer Kritik niederlegte. Die Idee einer Generalität der von ihm in diesem Zusammenhang gemachten Aussagen speist sich aus zwei Quellen, einerseits aus Hermann Schmitz Phänomenologie der Gefühlsräume (1969) und Gilles Deleuzes Ausführungen zu den Begriffen der Mikropolitik und Segmentarität (1980). Die folgende Diskussion wird zwar auf die Detailliertheit und ausführliche Metaphorik von Blochs Beschreibung verzichten, dafür aber eine höhere Abstraktionsebene zu erreichen anstreben.
Gesellschaftliche Ordnung soll auf die mit ihr korrespondierenden kollektiven Stimmungen befragt werden. Es geht also nicht um eine Abbildung auf ordnende Strukturen ausgehend von bestimmten Institutionalisierungen oder gesellschaftlichen Diskursen. Das Augenmerk gilt vielmehr Effekten im Selbstverhältnis von Individuen und in ihrem Verhältnis zueinander, den Zusammenhängen ihres Befindens und Begehrens. Die Beschreibungsebene verlagert sich dadurch nachdrücklich. Es wird sich zeigen, dass die vorgenommene Analyse einer nach unten weisenden Spirale folgt. Was bedeutet das? Es heißt, dass Ordnung nicht von der Seite ihrer Positivität und ihren Dispositiven her betrachtet wird, sondern in den Punkten ihrer Fluchtbewegungen, die als ebenso immanent angenommen werden. Hinter der Aufmerksamkeit für Prozesse der Auflösungsmomente einer Ordnung verbirgt sich aber keine Theorie einer negativen Utopie. Dieser für das sozialwissenschaftliche Verständnis vielleicht ungewöhnliche Ansatz ist durchaus historisch motiviert, denn geradeso wie Ordnungssysteme entstehen und sich entwickeln, verfallen sie auch oder überdauern sich, werden mitunter vergessen. Nicht nur die Identitätsquellen, die eine bestimmte Ordnung bereitstellt, bedingen gesellschaftliche Prozesse. Die ihr inneren affektiven Triebkräfte tun dies gleichermaßen, erfordern aber eine andere Weise der Betrachtung als sozialphilosophische Phänomene.
Ernst Bloch legte damit für die philosophische Diskussion einen Ansatz vor, der erst 40 Jahre später, d.h. in den Siebzigern von Llyod deMause unter dem Titel ‚Psychohistorie‘ gewissermaßen neuentdeckt wurde. Beiden liegt aber ein gemeinsames Verständnis zugrunde. Geschichtliche Prozesse werden als Ausführungen von Gruppenfantasien angesehen. Die Ebene ihrer adäquaten Beschreibung liegt dabei nicht in der Betrachtung wirtschaftlicher Klassen oder gesellschaftlicher Milieus, sondern fokussiert etwas, das man Psychoklassen nennen müsste. Als Psychoklassen bezeichnet man in erster Linie verschiedene Generationen, vor allem in Hinblick auf ihre wechselseitige Beziehung, das heißt in Hinsicht auf jene Eindrücke, Bedingungen und Zugriffe, die sie aufeinander ausüben sowie auf die Art ihrer Konflikte. Die psychogene Realität ist immer an konkrete kulturelle Gemeinschaften gebunden, in denen sich Wünsche, seien es auch welche der Abkehr, ausagieren.
Wofür ist eine Ordnung anfällig, wofür besonders empfänglich? Das fragt nach dem Maß an Verantwortung, die eine Gesellschaft für die Realität ihrer eigenen Antriebe aufbringen kann. Damit spannt sich ein weites Untersuchungsfeld auf, in dem die hier unternommene Diskussion nur einige Akzente setzen kann. Ich werde aber, um auch einen gewissen Überblick zu leisten, auf Autoren für eine daran anschließende Lektüre hinweisen.

2. Begriffe

Bei allen drei Autoren begegnet man zunächst einer klaren dualen Unterscheidung zwischen den Überzeugungen und Vorstellungen, die in einer Gesellschaft kursieren und dem Begehren, also etwas, von dem Individuum in ihrer Leiblichkeit erfasst sind. Es wird angenommen, dass das System der kultureller Kodierungen, das Subjekten Orientierungen, Identitäten und Handlungsoptionen stiftet, den Agens des leiblichen Begehrens nur bedingt umschließen und an semiotische Strukturen binden können. Eine Funktion kultureller Ordnung liegt in der Formgebung von affektiven Regungen. Sie müssen dem Subjekt zunächst als dieses oder jenes Gefühl erkenntlich gemacht werden. Die Wahrnehmungsgehalte auf der einen Seite müssen in einem zweiten Schritt mit bestimmten Urteilen verknüpft werden. Das ist die Aufgabe gesellschaftlicher Diskurse, insofern sie Gemeinsinn herstellen. Befindlichkeiten müssen dem Ausdruck zugänglich gemacht werden und das nicht nur bezogen auf die einzelne Person, sondern auch im Sinne eines sozialen Austauschs. Es sind die inneren Regungen, die gewissen gesellschaftlichen Mustern Geltung in der Wirklichkeit verleihen. Man könnte sich hierfür ebenfalls eines etymologischen Zugangs bedienen. Erinnert sei an eine Herleitungsform des Begriffes Bewusstseins: ‚conscientia‘ könnte man nämlich übersetzen als das Mitwissen von sich, als das Spüren des eigenen Betroffenseins im Bewusstsein von etwas. Das Bewusstsein wäre demnach eine Konstellation, die nur dann auftritt, wenn sich Wissensformen und affektive Regungen miteinander verschränken.

Deleuze versucht diese beiden Bereiche in einer gemeinsamen Denkfigur zu verbinden, indem er von Segmentarität spricht, darin harte von weichen Segmenten unterscheidend. Urteile wären in dieser Terminologie harte Segmente, also Organisationsprinzipien, die den Raum einkerben und für uns durch eine Vergegenständlichung verfügbar machen. Aber auch Gefühle, Affekte und Stimmungen stellen für ihn Segmente dar, deren Geschmeidigkeit gerade darin besteht, dass sie nicht nur Trennungen vornehmen, sondern auch Verbindungen herstellen. Sie bestimmen demnach über das Maß der Kommunikationsfähigkeit zwischen heterogenen Elementen und respondieren die Kerbung des Raums durch Glättungen. Ihre gleichzeitige Betrachtung bedeutet daher, dass Gefühle dem Gegenständlichen einhaften und es gewissermaßen umschweben. Sie kommunizieren innerhalb desselben Raumes, wenn auch unter anderen Bedingungen. Daraus folgt, dass Individuen das Gegenständliche immer nur unter Voraussetzung eines Angemutetseins durch es erleben. Damit gliedert Deleuze die umfassende semiotische und emotive Interaktion einer Gesellschaft, die er nach drei Dimensionen aufgefaltet sieht. Erstens: Segmente können binär zueinander stehen, in einem Verhältnis des gegenseitigen Ausschlusses. Das wäre der Fall in der Zuweisung von Attributen. Es gibt zweitens ebenso zirkuläre Beziehungen, d.h. eine hierarchische Anordnung von Signifikationen sowie drittens die Möglichkeit einer linearen Strukturierung untereinander, wenn gewissen Prozessen ein Verlauf zukommt, der auf vorgängigen Mustern aufbaut und weitere evoziert. Der semiotische Raum zeichnet sich durch gewisse Dichten, Weiten oder Engen und auch durch das Gewicht oder die Häufigkeit gewisser Signifikationen aus. Damit verknüpfen sich gesellschaftliche Massenbildungsprozesse, die sich aber nicht zwingend mit dem decken, was man als Milieus oder soziale Schichten bezeichnet. Das Feld der Stimmungen, die einem semiotischen Raum einwohnen und damit die Art ihrer Verteilung innerhalb des gesellschaftlichen Raumes gilt es näher zu untersuchen. Welche Tätigkeiten sind es eigentlich, aufgrund denen Individuen zu Massen konsolidieren?
Vor allem aber interessiert hier der spezifische Eingriff, den eine Kultur in solche Verteilungsmuster unternimmt, beabsichtigt oder nicht. Das bedeutet, Ordnungen können auch unzeitgemäß werden, wenn Segmente sich in einem verstärkten Maße durch Prozesse der Homogenisierung und Reproduktion aufeinander einebnen. Umso mehr sie das Vermögen zur Variation, zur Umstrukturierung ihres semiotischen Raumes einbüßen und damit ihrer Vermittlungsleistung zu ermangeln beginnen, desto stärker stellen sich Ordnungsmuster dadurch in Kontrast zu gewissen affektiven Ansprüchen, denen die verfügbaren Sinnbilder zunehmend weniger genügen. Und genau an diesem Punkt setzt Blochs Analyse an, die sich ebenfalls und auch verwandt zu dem eben genannten Aufbau kultureller Segmentarität in drei Stufen gliedert.


2.1. Die individuelle Ebene – das Unzeitgemäße und die Leiblichkeit

Seine Betrachtung beginnt zunächst auf einer individuellen Ebene, auf der das Verhältnis des Einzelnen zu seinem Körper in dessen Fraglichkeit in eine direkte Beziehung mit der Ordnung stiftenden Funktion kultureller Kodierungen gebracht wird.

Wenn sich das Individuum in seiner Angst davor begegnet, das Haben der Geltungen und Sinnzusammenhänge einer bestehenden Ordnung zu verlieren, werden nach Bloch die Ansprüche nach Sachlichkeit und Materialisierung gesellschaftlicher Lebenszusammenhänge laut, verstanden als Weise des Individuums, sich über seine Unruhe zu ermächtigen. Wenn die Unterkunft der subjektiven Innenwelt bedroht ist, d.h. wenn das Ansprechen des Individuums als sich selbst erschüttert ist, reagiert es zumeist mit einer Abschottung seiner Person gegen den unsicher gewordenen Bezirk der Dinge. Geht die Sorge um sich aber in eine zwanghafte Selbstbetrachtung über, kommt es zu Dissoziationen, zu Unstimmigkeiten zwischen den Vorstellungen, die man sich von der Welt macht und den tatsächlich in ihr niedergelegten Verhältnissen. Dieser Abstand des Einzelnen zu seiner Eingebundenheit in all jenes, das ihn umgibt, kann sich umso leichter in Form einer Sachlichkeit kleiden, als diese verspricht, allein von dem Wesen der Dinge zu handeln. Die Klarheit der Sachlichkeit schottet die intellektuelle Vergegenwärtigung gegen leibliche Bedürfnisse ab, also gegen den Druck, den diese dahingehend ausüben, die Angst doch in Form einer zeitgemäßeren Ordnung aufzuheben. Die Sachlichkeit erscheint dabei wie eine Ummantelung einer eigentlichen Trauer, von etwas, das auf dem Gemüt lastet, die Gedanken leer kreisen lässt und den Leib beschwert, als würde sich die Welt in ihrer Sphäre gegen das Subjekt abschließen und die Stränge emotionaler Bindungen für sich behalten.
Was aber bedeutet zeitgemäß? Der Ausdruck „seine eigene Zeit haben“ heißt für Bloch, mit den Zügen seiner Leiblichkeit vertraut zu sein, diese Kräfte zu bewohnen und verhaltensklug mit diesen als auch ihnen gegenüber agieren zu können. Im Gegensatz zu einer persönlichen Haltung, die sich in die Erschütterung, die sie empfindet, gehen lässt, beschreibt er damit eine psychomentale Verfassung, die man vermittels der phänomenologischen Klassifikation der Gefühle bei Schmitz ‚Ernst‘ nennen könnte, im Sinne der Stärke beständiger Selbstregulierung, die das Maß des entsprechenden Abstands der Innerwelt zu den Dingen immer wieder auszutangieren sucht. Die damit einhergehende Zufriedenheit ist dadurch gewissermaßen geschlossen, eine Erfülltheit ohne das zwingende Angewiesensein auf den Einfluss ausgewählter Objekte, die diese stiften würden und ohne die Zuwendung zu bevorzugten Objekten, die das Subjekt der Last der Gegenwart, die sich zu leben auffordert, entheben würden. Wir kommen auf eine solche Abhängigkeit des Subjekts von dem Halt, den die Dinge in ihrem Zusammenhalt für es bereitstellen, später noch ausführlicher zu sprechen. Seine Zeit hat jemand, wo er leiblich steht. Das Befinden ist also nicht einfach eine Gegebenheit, sondern wird prozessual gedacht, Widersprüche (marxistische Terminus) oder Komplexe (tiefenpsychologische Pendant) beinhaltend, die produktive Momente einer Weiterentwicklung darstellen. Das Individuum hängt dabei natürlich von der gesellschaftlichen Position seiner individuellen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten ab. Man hat also seine Zeit, im Sinne einer Erkenntnis über die eigene Gegenwart und zwar in Hinsicht auf drei Dimensionen: erstens als Zeit – das Individuum als Teil einer kulturellen Semiotik, die auch die Möglichkeit seiner Selbstausdeutung prägt; zweitens als Raum – da jeder sich innerhalb verschiedener institutioneller Rahmen aufhält, sodass diese Anordnung von bestimmten Orten sich in die Gestalt des Aufenthalts des Individuums einschreibt; und drittens als Leib – seinerseits als Raum darin waltender Wünsche und emotionaler Reaktionen. Alle drei Bestimmungen umgreifen das Subjekt und verleihen ihm ein spezifisches Gestimmtsein, um mit Martin Heidegger zu sprechen. Das Dasein, das alltäglich und augenblickliche Sein wird anerkannt als derjenige Moment, in dem es dem individuellen Bewusstsein überhaupt möglich ist, charakteristische Züge, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart reichen und die auf eine bestimmte Zukunft hinweisen, nicht nur zu erkennen, sondern auch handelnd aufzugreifen. Nur von hier aus ist es dem Einzelnen möglich, auf sich zu beharren. Die Leiblichkeit befürwortet sich als Realität der maßgeblichen Kontaktfläche zwischen den individuellen körperlichen Kräften, den Interaktionen des Individuums mit einer Umwelt, und dem Wechselspiel der Wirkungen seiner Eindrücke sowie seines Ausdrucks, über die das Individuum in Austausch oder in Beziehung zu gewissen Dingen tritt.
Vieles liegt darin unerledigt, ungleichzeitig ist der Ausdruck Blochs und knüpft damit eng an Sigmund Freuds Bemühung der Erschütterung der Selbstsicherheit des Bewusstseins gegenüber sich selbst an. Er verweist damit auf die oftmalige Unbestimmtheit desjenigen Bewusstseins, das Individuen von sich selber haben und die, so können wir fortführend schließen, im Wesentlichen den Umfang der Sphäre der individuellen Selbstbezeichnung betrifft, anstatt sich allein auf die Ebene des Wissens zu beziehen. Das eine Ordnung aber zum Selbstzweck wird, bedeutet, dass sie ihrer Aufgabe, Begehren und Bewusstsein bindend einander zu vermitteln, d.h. Subjektivierungsformen herzustellen, nicht mehr nachkommt, wodurch der affektive Raum gewissermaßen unbeachtet freischwebt und das Subjekt in eine Anfälligkeit setzt. Die ungebundenen Mikrogestalten der Affekte und Emotionen wuchern in einem Raum, auf den man sich nicht besinnt. Wie kann man das fassen, unsere innere Bereitschaft zur Ungeduld, die diversen Momente des Unbehagens oder beispielsweise die Augenblicke fehlender Durchlässigkeit? Reformulieren wir hierfür das Konzept der Ungleichzeitigkeit in der Ausdrucksweise von deMause. Kollektiv geteilte Phantasmen resultieren für ihn aus der Interaktion unterschiedlichen Psychoklassen, eben bestimmt nach einem ihnen angehörenden zeitlichen, räumlichen und leiblichen Zustandesein in Bezug aufeinander, sowie in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit was die Prozesse der Psychogenese anbelangt. Eine Psychoklasse, die nur noch erschwerten Zugang zu anderen Psychoklassen findet, ist ungleichzeitig und wenn die von ihr forcierten Verhaltensmodelle ihre Funktion nicht mehr erfüllen, unzeitgemäß zu nennen. Die Präsenz als Teil einer Gruppe stellt offenbar andere Anforderungen an das Individuum als zwischenmenschliche Beziehungen. Ihre Dynamiken unterscheiden sich voneinander, weil Konflikte im Paar und in der Gruppe anders abgespaltet werden. Innerpsychische Abwehrmechanismen sind innerhalb von Gruppen weniger wirksam, sodass die Akte der Projektion, Introjektion und Übertragung verstärkt zutage treten. Die dadurch freigesetzten phantasmatischen Gehalte gehen die Gruppe wie einen äußeren Druck an, dem diese ein Objekt zuweisen muss, um ihn auszuagieren. Dafür sind mehrere Möglichkeiten denkbar. Der Druck einer kollektiven Stimmung kann bewusst durchlebt und über die Vermittlung von Objekten umgearbeitet werden. Vielleicht bemüht man sich ihn zu substituieren und zu verlagern, um sein Andrängen hinauszuzögern. Ihm kann aber auch in Form einer nach außen gerichteten Destruktion bei einer gleichzeitigen nach innen greifenden Erschöpfung begegnet werden. Diese letzte, in ihrer Fatalität unabweisbaren Situation, wird Bloch in seiner Untersuchung weiter nachgehen.

2.2.Die kollektive Ebene – gesellschaftliche Aneignung und wirtschaftliche Organisation

Die Betrachtung wechselt damit auf eine andere Ebene, auf die des Kollektivs. Ihr Augenmerk gilt ab sofort der Massenbildung im Rahmen gesellschaftlicher Aneignungsprozeduren sowie ihre Eingliederung in Strukturen wirtschaftlicher Organisation.

Wenn die Unruhe, die das Individuum umfängt, sich nicht löst, muss es sich in anderen Ausdrucksformen kompensieren. Die Veräußerungsformen des inneren Unbehagens nehmen nach Bloch Anteil an jeder Form der Kolportage, sei es in der Rede oder auch schon nur im Phantasma, also immer dann wenn ein Inhalt aus seinem ursprünglichen Sinnzusammenhang herausgelöst wird, um eine andersartige Situation zu inszenieren. Die Zerstreuung stellt nicht nur eine Abwendung des alltäglichen oder momentanen auf-sich-selbst-gestoßen-Seins dar, sondern nimmt ihren Übergang auf eine gesellschaftliche Ebene, insofern die Zerstreuung im Akt der Konsumtion reproduziert und organisiert wird. Individuen bilden als Konsumenten ein erstes kollektives Milieu aus, das die Haltlosigkeit als Unfähigkeit des Individuums, seine eigene Leiblichkeit zu umfassen, voraussetzt. Man kann die Reihe der Konsumenten dann als Masse denken, wenn man unterstellt, dass sie durch einen ihnen gemeinsamen Umgang mit den Dingen sowie mit sich selbst charakterisiert werden. Mit den Phänomenen der Bildung von Massen verschiedener Typen und den Bedingungen ihrer Zusammensetzung sowie Ausrichtung untereinander hat sich, darauf möchte ich hier gern noch hinweisen, Elias Canetti in seinem wissenschaftlichen Werk auseinandergesetzt. Nach ihm vermag allein die Masse für den Einzelnen eine Situation herzustellen, wo dieser seiner Angst davor, berührt zu werden, und d.h. strikt als er selbst bedeutet zu werden, entkommt. Solcher Furcht erlaubt die Masse, sich umzukehren. Mit Canettis Worten gesprochen: „Es ist die dichte Masse, die man dazu braucht, in der Körper an Körper drängt, dicht auch in ihrer seelischen Verfassung, nämlich so, dass man nicht darauf achtet, wer es ist, der einen bedrängt. Sobald man sich der Masse einmal überlassen hat, fürchtet man ihre Berührung nicht.“ Und diese Masse kann durchaus auch von abstrakterem Wesen sein, in ihrer Ansammlung nicht eindeutig lokalisierbar. Das Individuum, das in einer Masse aufgeht, nimmt über die Gleichstimmung der Leiber die Anregungen der anderen sofort auf. Aufgrund dieser Verdichtung empfindet man sich im Kollektiv über die individuellen Unterschiede hinweg als eins und ist in besonderer Weise, gewissermaßen hintergründig empathisch füreinander. Diese Weise der Abwendung von dem Gewahrsein für das eigene Eigenleben, bildet aber nicht nur ein Vakuum, das gesellschaftlich besetzt und ausgerichtet werden kann, sondern führt nach Bloch zu einer Abstumpfung der Sinne überhaupt für die Wahrnehmung der Gestalt des eigenen Daseins. Die Reduktion des individuellen Selbstverhältnisses auf seine mit anderen solidarisierte Beziehung zu äußerlichen Gegebenheiten leitet eine Homogenisierung ein, insofern eine kollektive Ausrichtung des Begehrens in Gestalt einer organsierten Konsumtion erst dadurch möglich wird. Ich möchte an dieser Stelle zusätzlich auf die Untersuchungen von Herbert Marcuse zur gesellschaftlichen Regulierung von Bedürfnissen verweisen, denn er gibt zu beachten, dass natürlich erst im technokratischen Zeitalter der Gesellschaft die entsprechenden Mittel zu Verfügung stehen, um Stimmungen direkt und massenhaft in einer materiellen Produktion umzusetzen, sodass die soziale Durchschlagkraft solcher Tendenzen sich seitdem exponentiell und nur geringfügig einschätzbar entfaltet.
Anhand des angenommenen Bruchs zwischen der körperlichen Realität des Handelns in der Zerstreuung und dem innerem Drängen des Individuums wird deutlich, dass Bloch ebenso wie Marcuse das Sehnen immer als auf den eigentlichen Zustand seiner Erfüllung hin gerichtet sieht, die und das ist zu betonen, nur in einer gesellschaftlichen Wiederspiegelung dauerhaft gegeben sein kann. Die Sachlichkeit der wissenschaftlichen Perspektive ebenso wie die Inszenierungen der Kulturindustrie bergen hingegen die Gefahr, dass der Einzeln nun sucht, in der Begeisterung an ihren Vor- und Darstellungen den Blick von sich selbst zu nehmen. Dadurch stellt sich die Frage nach der Akzeptabilität und Kompatibilität von Vorstellungen und Urteilskategorien in Bezug auf die Konkretion der Erlebnisse für die Erfahrung. Das Phantasma beruht demzufolge selber auf einem Bruch zwischen Innen und Außen, der in Form einer gesellschaftlich organisierten Imagologie nutzbar gemacht wird. Eine solche Kultur dekoriert zwar die Alltäglichkeit, versteht sich aber umso weniger auf die Fähigkeiten im Umgang mit den Momenten ihres alltäglichen Daseins.
Das Beispiel Blochs: Eine ärgerliche, weil für den Einzelnen unlösbare Sorge verbindet verschiedene Individuen in einer gemeinsamen kollektiven Stimmung, ohne dass sie davon Kenntnis nehmen müssten. Dass die Sorge sie aber zusammen zu einer Masse verdichtet, wird ab da gesellschaftlich produktiv, wenn für diese Masse Verankerungspunkte bereitgestellt werden, an denen man sich aber nicht wirklich entladen können darf, soll diese Produktion auch weiterhin der Ausschöpfung zugänglich sein. Die Verankerungspunkte müssen demnach ständig verschoben werden und lassen die Sorge nach innen dadurch aber gerade in einen Ärger nach außen übergehen, dem es eben nicht gelingt, seine Quelle in seiner fixen Auseinandersetzung mit Äußerlichem wirklich aufzuheben.
Mediale Eindrücke deuten Inbegriffe des Seinwollens aus. Wenn diese Bilder einer Ferne aber nicht an den leiblichen Ort ihrer Verwirklichung rückangebunden werden – was eine nicht zu unterschätzende Funktion kultureller Ordnung ist – führt dies gerade zu einem Vergessen derartiger Aktionsräume und bewirkt damit eine Reduktion der Fähigkeit des Individuums gegenüber sich selbst. Für Bloch kommt der kulturellen Ordnung die wichtige Funktion zu, Hoffnungsbilder für gesellschaftliche Interventionen tragfähig zu machen. Die Zerstreuung hingegen ist eine Form der Aneignung von Bildern zum Sinne ihres Verbrauchs und der Entleerung ihres eigentlichen Potenzials, an Fragwürdiges im derzeitigen Leben zu gemahnen. Ohne Hoffnungsbilder, die auf etwas anderes hindeuten als das Bestehende, kommt eine wegdrängende Bewegung nicht umhin, sich schließlich gegen sich selbst richten. Man könnte hierfür an den psychischen Mechanismus der Verneinung, wie Freud ihn beschreibt, anschließen. Das Phänomen der Verneinung liegt für ihn auf halbem Wege zwischen der Verdrängung eines Inhalts und seiner Bewusstmachung. Vermittels der Verneinung wird ein für die Psyche brisanter Inhalt zwar angesprochen, aber gleichsam in einer Abwendung von ihm auf Distanz gehalten. Gewissermaßen geschieht genau das mit den Hoffnungsbildern. Sie kursieren zwar in einer Überfülle durch den sozialen Raum, gelangen aber nur selten in die Position einer ernsthaften Bejahung. Der Widerspruch zwischen der Unruhe und der Müdigkeit an einer fehlenden kulturellen Sättigung aber bleibt.

2.3. Ungleichzeitigkeit – Berauschung und Betäubung

Auf einer dritten Ebene beschreibt Bloch die anschließende Überschreitung eines Kulminationspunkts der bisher betrachteten Bewegung, dem nachfolgend Kollektiv und Individuum sich aneinander zu verzehren beginnen, d.h. wenn das Individuelle an der Präsenz des Kollektiven seine Berauschung anfacht und das Kollektive seinerseits das Individuelle zu betäuben anfängt.

Die Ungleichzeitigkeit zwischen Entwurf und Praxis führt nach Bloch zu einer durchdringenden körperlichen wie geistigen Entkräftung, einerseits in Form einer Verklärung des Woher und Wohin der eigenen Orientierungen, als auch in Gestalt einer Entleerung der innerlichen Belebung. Gedanklichen Gebäuden ist eine eigene Form von Sinnlichkeit zu eigen, die den Schein oder die Erwartung einer in die Realität umsetzbaren Kraft trägt. Kommt es zu Kompensationen einer sich selbst zweckdienlichen Ordnung kann diese an der bloßen Begeisterung ihre Lust und ihren Sinn finden, und betäubt damit die Sinne für das eigene Befinden. Vielleicht muss man an dieser Stelle betonen, dass obwohl die Lust eine Regung ist, sie sich sehr wohl auch auf die Ruhigstellung beziehen kann, wenn es sich folglich um eine katastematische Lust handelt, um das bald unwissentliche Erleiden eines bestimmten Pathos. Damit geht eine spezifische psychomentale Form einher: nämlich die Notwendigkeit der Weise, sich von etwas abstoßen zu müssen, um zu behaupten, wer man sei. Um die eigene Identität zu sichern, ordnet man sich leichter dem unter, das nicht jenes zu sein verspricht, von dem man sich abstoßen will. Die Abstoßung aber ist ein Mittel zur Verhärtung von Ordnungen, um ihren Bestand zu wahren. Damit verschärft sie jedoch ihr Ungenügen und muss sich schließlich gegen dasjenige ausagieren, was sie andrängt, folglich das Befinden, das nur in seiner Abstumpfung ihr als taugliches erscheint. Das Gewaltvolle dieser Umdeutung aber ist eine rege Aktivität, die eine eigentlich nötige Umarbeitung zu ersetzen, vorgeben kann. Es ist nicht schwer, das eigene Gehetztsein als selbstbestimmte Aktivität umzudeuten. Diesem Phänomen, dass Gewaltformen sich oft unter dem Zeichen der Verwirklichung positiver Werte legitimieren, hat übrigens Gil Bailie eine ausführliche Studie gewidmet und für unsere Kultur als kennzeichnendes Paradox ausgewiesen.
Warum aber tritt die Verschleierung dem Bewusstsein nicht als solche nahe? Weil die Abtrennung inneren Bedingungen zu äußeren Ursachen auf ihrer Kehrseite Solidarität unter denjenigen stiftet, die auf diese Weise versuchen, den Blick von sich selber zu nehmen. Dieser letztere Anreiz scheint offenbar von größerem Umfang. Wir müssen uns hierfür nur nach den Inhalten unserer Gespräche befragen, nämlich inwieweit diese von unseren Wunschphantasien oder von den Geschichten anderer handeln. Man lässt sich also gehen in Erlebnisse, deren Erfahrungswert nur selten gehoben wird. Die Bezüglichkeiten der Vorstellungen werden oftmals nur virtuell nahe gebracht, d.h. allein der Kraft nach, ohne dass sie sich als Aktanten im leiblichen Befinden konkret lokalisieren ließen. Nach dieser Richtung geht die Zerstreuung letztlich in Berauschung über, wenn das Begehren innerhalb eines sich fortsetzenden materiellen Prozesses zunehmend angeeignet und verausgabt wird. Die ursprüngliche Flucht vor etwas wird in eine Flucht gegen etwas umgelenkt. Im Angesicht dieses neuen, materiell hoch produktiven Zustandes erkennt sich das Bewusstsein damit selbst nicht mehr als das primäre Objekt notwendiger Umarbeitungen. Mit der Macht, die das Subjekt umschließt, wird für gewöhnlich der Gedanke einer Einengung verbunden. In Hinsicht auf gesellschaftliche Prozesse der Ausrichtung eines kollektiven Begehrens und der Zentrierung desselben auf ein bestimmtes Ziel, charakterisiert diese Form des machtvollen Zugriffs auf das Subjekt an dieser Stelle zuerst vielmehr das Vorhandensein einer unerträglichen Weite, an der das Individuum zu verzweifeln droht. Eine zunächst persönliche Ergriffenheit wird in ein gesellschaftliches Feld verlagert, wenn die kulturelle Ordnung keine Modelle bereit hat, um dieser zu begegnen. Damit aber leitet sie einen Zersetzungsprozess an sich selber ein.
Die Konzentration gesellschaftlicher Mechanismen auf sich selbst bewirkt das Zusammentreffen einer Ausschließung der Aufmerksamkeit des Subjekts aus seinen körperlichen Regungen mit einer Einschließung dieser Aufmerksamkeit in Objekten des Konsumtionsapparats. Es gibt in positiver Weise eine Lust an Ordnung, an der Kraft ihrer Strukturierungsleistung. Ein Symptom zunehmend erstarrender Ordnungen ist nun das Auftreten dieser Lust als Verausgabung. Sie antwortet dabei eben nicht auf eine Unlust an der Regulierung, sondern gestaltet sich als eine von einer um sich greifenden Einmündigkeit, Nüchternheit und Rationalisierung ablenkenden Kraft, die ihren Boden in einer Erschwernis des Individuums an sich selbst hat. Eine starre Ordnung verbirgt sich dadurch, sie wird gewissermaßen stumm, macht sich unzugänglich und verwehrt sich dem Eingriff in ihre Zusammenhänge. Insbesondere im Feld des kommunikativen Verhaltens: Welcher Härtegrad kommt bestimmten Diskursen zu? Wie stark ist die Norm zur Herstellung einhelliger Urteile. Inwieweit hängen wir von der vorgeblichen Eindeutigkeit gewisser Aussagen ab? Das Bedürfnis einer Ordnung zu verstummen, indem sie von ihr Wegdeutendes zum Sprechen bringt, bewirkt innerhalb der Kommunikationssituationen eine Umverteilung von Ausschließungsprozeduren, also eine Umverteilung dessen, worüber man nicht zu sprechen in der Lage ist, sowie eine Umverteilung von Erwartungsreihen, jenes was innerhalb von Gruppenzugehörigkeiten vorausgesetzt wird im Sinne eines common ground.
Der semiotische Raum einer Gesellschaft beinhaltet Resonanz- und Dissonanzbereiche der Reden untereinander. Reden greifen sich gegenseitig auf, befürworten und setzen sich fort oder suchen sich voneinander zu unterscheiden. Ebenso weist solch ein Raum Zonen niedriger Frequenzen oder von größeren Häufigkeit auf. Deleuze betont, dass die Beziehung zwischen Aussage und Handlung eine innerliche ist. Das bedeutet, dass Aussagen stets mit gesellschaftlichen Verpflichtungen verbunden sind, die Handlungen implizieren. Als Raum eines möglichen Handelns kann dies aber auch schon das Selbstverhältnis von Individuen betreffen. Aussagen schließen sich an gewisse Bedingungen unseres Denkens an und legen nahe, was man darin festhalten und erwarten muss. Sprechen heißt Eingreifen, den Leib in dem, worin er von etwas Betroffen ist, zu transformieren. Die Erfassung der Kommunikation durch eine sterile Ordnung bedeutet demnach die Verdichtung dieses Raumes auf eingeschränkte Resonanzzentren, wobei die Dissonanzbereiche ausgelagert und als Demarkationslinie umgestaltet werden. In diesem Sinne kann man die Rede von einer Verhärtung der Organisationsstruktur einer Ordnung verstehen. Dem entspricht ein Begriff der Macht als Deutungshoheit wie ihn Friedrich Nitzsche formulierte.
Die letzte Stufe der beschriebenen, sich immer weiter fortsetzenden Bewegung geht von einem Drift des Raumes des Befindens und des Netzes einer Ordnung voneinander weg aus. Sie kehren sich in sich selber ein, wodurch das Drängen der Empfindungen gegen das Refugium des Subjekts zur Gewalt wird und die Ordnung sich in Kontrolle verkehrt. Das geschieht, wenn also selbst das Mögliche gerastert und innerhalb der Rede eingefroren wird. Dass die Dinge eine Ordnung haben, verweist auf eine zuunterst liegende Aktivität. Die Formgebung von Affekten und Regungen bedeutet, dass differierende Affekte gegeneinander abgegrenzt werden, sodass sie ein kulturelles System ausbilden können. Der Raum des Erlebens wird semiologisch gegliedert. Demgemäß lässt sich nun unter der Berauschung ein Zusammenhang verstehen, wenn verschiedene Begehren aufgrund eines Mangels an Ausdrucksformen ineinander übergehen und dadurch eine Intensität zu entfalten beginnen, die weder vom Individuum noch von gesellschaftlichen Regulationen eingefangen werden kann. Eine Kultur wird für den Einzelnen dann zu einer Gefahr, wenn sie in ein Selbstverständnis eintritt, das ihre Natur als den Genuss an sich selbst auszeichnet. Legitimiert sich die Ruhelosigkeit zu einer normierten Form der Identität mit sich selbst, wird das Individuum zunehmend von der Pflicht zur Veräußerung umgrenzt. Roland Barthes würde dem hinzufügen: Die Macht ist gerade etwas, das uns zum Sprechen zwingt. Die zwanghafte Selbstbetrachtung über die Rede bedeutet die persönliche Lust als ihr erstes Motiv, verdeckt darin aber eben gerade jenen Zusammenhang, dass die Verteilung von Lust als auch von Unlustempfindungen in ein Verhältnis zur Macht gesellschaftlicher Diskurse eingelassen ist. So erscheint die Introversion des Subjekts als eine bald rückhaltlose Hingabe an gesellschaftliche Mechanismen.
Die Berauschung findet ihr volles Objekt an der eigenen Leere. Leere bedeutet hier aber nicht bloße Abwesenheit von möglichen Inhalten. Wir begegnen ja in der Diskussion Blochs eher dem Zeugnis einer Überfülle dessen, das da seinen Sprung tun möchte. Das Subjekt fühlt sich bedrängt, sodass Leere hier vielmehr die Unfähigkeit bedeutet, diese Elemente aufnehmen zu können. Eine derartige Abstumpfung kann aber auch mithilfe populärer Beschreibungsmodelle formuliert werden. Joseph Chilton Pearce beispielsweise spricht von einer neurologisch bedingten, neuen Gleichgültigkeit. Jedes Nervensystem arbeitet ausgehend von einem Aktivationslevel, das mit einem bestimmten Maß an äußeren Reizen korrespondiert. Die aufkommende Flut an Reizen durch die Verdichtung der Verkehrs- und Kommunikationsnetze in den modernen Gesellschaften bewirkt eine Erhöhung der Reizschwelle des Gehirns. Erhöhte Erregungsstimuli sind also erforderlich, damit etwas bewusst zur Kenntnis genommen wird, sei es zum Beispiel das Empfinden des Individuums gegenüber sich selbst. Dadurch lässt sich vermuten, dass ein Individuum für seine kognitiven Leistungen des Lernens, Erinnerns und Aufmerkens eine Umgebung zu erschaffen suchen wird, deren Reize nochmals verdichtet sind und prägnanter hervortreten. Wenn das eigene Befinden von den gesellschaftlichen Diskursen nun aber einer Ausblendung anheimgegeben wird und dass heißt für das Subjekt nur schwach frequent besetzt ist, kann es auch für höherstufige Informationsverarbeitungsprozesse ignoriert werden. Die Trübsal könnte man dadurch auch als eine sensorische Isolation beschreiben, eben im Wortsinn als eine Abdichtung gegenüber der Umwelt und die damit einhergehende Angst als bezogen auf den Verlust von Objekten, welche die Aufmerksamkeit des Individuums noch binden könnten.
Die abendländische Kultur hat aber nicht erst seit der Neuzeit eine besondere Aufmerksamkeit für die Gefahr der Leere in Form ihrer Erscheinungen als Entfremdungserleben, als Depersonalisierung oder Derealisation entwickelt. Acedia ist der treffende Begriff für die Leere im christlichen Mönchswesen durch das gesamte Mittelalter hindurch. Leere bedeutet hier aber nicht nur Schwunglosigkeit, sondern vereint in sich einen Fächer von ambivalenten Regungen. Acedia beschreibt einerseits das Subjekt als durch seinen Leib Betroffenes. Es fühlt sich schwer, schläfrig und in seinen Bewegungen gehemmt. Neigt zu Faulheit und Unbeharrlichkeit. Lauheit des Verstandes und Ekel vor der Anregung des Herzens. Andererseits umfasst dieser Begriff ebenfalls die Reaktionen der Abstoßung davon. Das Subjekt befindet sich von einer unruhigen Betriebsamkeit angesteckt, schweift in seiner Unruhe von Ort zu Ort. Erlebt sich in seinem Begehren als bald wahllos und hat den unbestimmten Drang, wegzukommen. An die Acedia, an den Überdruss des Menschen, worin er sich selbst zur Last wird, lehnt sich allerdings noch ein zweiter Begriff an: murmuratio – das von Überdruss geplagte Individuum entwickelt den Drang, sich durch Reden abzulenken, sich im leichtfertigen Reden von sich abzusetzen. Sachlichkeit und Zerstreuung sind ihrerseits verschiedene Ausdrucksformen dieser Flucht nach vorne.

3. Zusammenfassung – die harte Linie

Fassen wir das Besprochene kurz zusammen. Das Individuum ist affiziert, ein von Affekten betroffenes Subjekt. Wir haben gesehen, wie Furcht, Klarheit, Macht und die Lust am Vernichten in eine gemeinsame Anordnung eintreten können, sodass sie für einen anfänglichen Druck wie Relais wirken, der sie, sich dabei beschleunigend, nacheinander durchläuft. Betraf die Furcht noch die Angst, die Sicherheit eines der Orientierung dienenden Inventars zu verlieren, weil die für einen verbindliche Ordnung sich nicht mehr als zeitgemäße erwies, verschärft die Klarheit die Erosion. Die Ordnung des Ausdrucksfeldes, das ein Außen gliedert und auch den Mitmenschen mit in Bezug nimmt, ergreift nun auch das Empfinden und sucht es, zum Zwecke einer neuerlichen Stabilität zu verhärten. Die angestrebte Kontrolle des Wunsches und d.h. die Hinauszögerung seines Hereinbrechens kann allerdings nur in Gestalt eines sich fortsetzenden materiellen Vorgangs verwirklicht werden. Macht findet ihren Bereich in der Organisation von Zerstreuungsweisen. Die Klarheit tritt dabei als ihr Gewährsmann auf, da sie zwar auf bestehende Leerräume innerhalb einer Ordnung deutet, dabei jedoch ausschließlich die Notwendigkeit einer Abstoßung von diesen evoziert. Sie kompensiert eine wirkliche Umarbeitung in der bloßen Relativierung dieser Lücken. Die eigentliche Fixierung, die sie damit aufrechterhält, behebt aber gerade nicht das Problem der Aushöhlung der Semiotik. Der Leib als Raum des Empfindens wird schließlich ebenso wie die Vorstellungen von der Zerstreuung erfasst. Dieses Zusammenfallen, dieser Sog leitet für Ernst Bloch Berauschungsformen ein, wie beispielsweise das um sich Greifen einer Lust an der Reglementierung oder die Zwanghaftigkeit, auf bestimmte Glaubenssätze bestehen zu müssen. Hier nun verfällt der Mensch in ein Wesen einer negativen Ökonomie, das seinen eigenen Nährboden anzugreifen beginnt.

4. Schlussfolgerung – der Gefühlsraum

Im Angesicht des besprochenen Problemzusammenhangs kann man Hermann Schmitz‘ Aufforderung zu einer erhöhten Sensibilität für die Betrachtung von Stimmungen nur unterstützen. Die Probleme der philosophischen Analyse von Gefühlen, Wahrnehmungen oder Bewertungen binden sich immer an die Frage nach der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt an. Es ist bekannt, dass das Bewusstsein immer von etwas handelt. Ungeklärt bleibt aber die eigentliche Reichweite von Objekten, wenn man ihnen eine psychische Funktion zuspricht. Treten sie wirklich als Affizienten auf, könnten sie nicht länger schlechterdings einem Subjekt gegenübergestellt werden, dass einen separaten Innerraum, dem bestimmte Gefühle zu eigen sind, für sich beansprucht. Im Gegensatz zu einer philosophischen Tradition von Spinoza über Kant, von Hegel, bis zu Husserl, die das Bewusstsein über eine diskrete Innerwelt definiert, das Seinssphäre, Bezugsfeld und Agens zugleich ist und den Reichtum leiblichen Regungen in Bezug auf Gefühle auf eine Lust- Unlustrelation reduziert, spricht sich der hier eine Stimme verschaffende Ansatz für eine rigorose Problematisierung der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt aus, vor allem in Richtung der enormen Bindungsstärke, die sie wechselseitig aufeinander ausüben. Das Subjekt ist Teil einer schieren Mannigfaltigkeit von Dingen, die aber vor allem eine Ordnung aufweisen. Es ist anzunehmen, dass die Verwobenheit von Dingen und Subjekten im alltäglichen Handeln Einfluss auf die Form der Subjektivierung von Individuen hat. Am deutlichsten drückt sich das wahrscheinlich in der Beachtung dessen aus, dass wir einen Körper haben, der einen Raum bewohnt. Wohnungen stellen zumeist eine konzentrierte Anordnung von Dingen dar, die in der Spezifizität ihres Gefüges als eine Festung des individuellen Bewusstseins wirken. Das heißt, sie bezeichnen ein ausgewähltes Subjekt, insofern sie in ihrer Zusammenstellung nicht nur Räume des individuellen Wohlempfindens organisieren, sondern außerdem als Speichermedien für die persönliche Geschichte des Subjekts dienen, dessen Identität sie ihm ununterbrochen widerspiegeln. Mag sein, dass es sich einmal nicht länger darin erkennt. Inwieweit sind wir uns jedoch der oft strikten Beziehung zu den Dingen bewusst und erleben die damit verknüpft Betroffenheit als eine Sphäre möglicher Bewusstheit?

Stimmungen oder auch singuläre Affekte sind daher auch nicht auf ein Subjekt oder ein Objekt, den sie anhaften, reduzierbar. Sie umgreifen diese vielmehr als Raum, der sich in ihr konkretes Verhältnis ergießt und dadurch auf sie eine oft zwingende Kraft ausübt. Auf dieses Weise lässt sich die Möglichkeit denken, dass allein schon die Gestalt einer gewissen Umgebung – ein Environment – spezifische Stimmungen über sich darin aufhaltende Individuen ausbreiten kann. In der Literatur anerkennt man hauptsächlich dem Stadtraum mit seinen Verkehrsschneisen und Industrieanlagen eine solche Wirkkraft zu, wenn er allein schon durch seine Präsenz beispielsweise beklemmt oder ermüdet. Was davon festgehalten werden soll, ist die Einsicht, dass eine Gesellschaft bereits in der Ausgestaltung ihres Lebens- und Arbeitsraums psychisch-leibliche Situationen wie Rausch oder Zerstreuung vermittels ihrer Ordnung der Dinge verteilt und organisiert. Das ist möglich, weil Lust- und Unlustempfindungen an sich freischwebend sind. Das bedeutet, sie müssen erst diskursiv gebunden, in einer bestimmten Form des Umgangs mit ihnen fixiert werden. So folgt z.B. dem Schmerz nicht automatisch das Leiden oder angestrengtes Ertragen, sondern dieser kann ebenso leicht geduldet oder auch genossen werden. Ähnlich ist die Wonne nicht schlichtes Indiz für die Erfülltheit eines Einzelnen. Unterschiedlichen Zuständen kann sie angehaftet werden, darunter die Wonne an der Bewegungslosigkeit oder dem geistigen Dämmern. Die Lebenswelt ist eine Wiederspiegelung von Diskursen und strahlt insofern eine psychomentale Ordnung auf das Subjekt zurück. Die Verbindung zwischen Gefühl, leiblicher Regung und Gebärde ist immer schon eine kollektiv geprägte. Affektiven Mustern kommt jeweils ein bestimmter Stellenwelt im Feld des sozialen Verhaltens zu, neigen je nachdem mehr dazu, dem Taktgefühl zu entsprechen oder Anstoß zu erregen. Auf jeden Fall zurren Kommunikationssituationen die Identität zwischen Gefühl und Subjekt fest. Die Identifizierung eines Individuums mit seinen emotionalen Zuständen geschieht bereits unter der Bedingung einer Abspaltung, die das Subjekt zwar als Absicherung gegenüber sich selbst erlebt, im Endeffekt aber die Durchdringungsmacht gesellschaftlicher Mechanismen verschleiert, die im extremsten Fall randlos sein kann.
Eine gesellschaftliche Ordnung der Dinge wiederholt sich in jeder Erfahrung, behauptet ihren Anspruch auf Wahrheit mit jedem stimmigen Erleben und begründet für den Einzelnen sowohl die Kontaktfläche seines Behagens als sie auch Züge einer Dezentrierung des Subjekt in das Individuum einschreibt. Subjekte und Objekte sind daher weniger die Quellen von Gefühlen oder Stimmungen als vielmehr selber Effekte einer Zentrierung oder Verdichtung von Sphären, zu denen der Körper eine Resonanz aufbaut und die er verstetigt. Die Stimmung, das Raumgefühl und das Gefühl für den eigenen Körper bilden ein synästhetisches Feld. Auf diese Weise kann man von einer tatsächlichen Verlängerung von Objekten in die Räume der Erinnerung, Erwartung und Einbildungskraft von Individuen sprechen. Was über die Bindungs- und Wirkungskraft einzelner Objekte entscheidet, ergibt sich aus der spezifischen Position innerhalb des Gefüges, in das sie eingeordnet sind. Stimmungen haften daher eher an der Art ihres Zusammenseins. Die Umgebung bildet ein ganzheitliches morphogenetisches Feld. Es ist plausibel anzunehmen, dass Veränderungen in der Gestalt der Umgebung sofortige Folgen für die Art der Ergriffenheit von Subjekten haben, sowohl wie für den psychischen Status bestimmter, von einer Gruppe fokussierter Dinge. Möglicherweise finden innerhalb solcher Zusammenhänge die eigentlichen Prozesse kulturellen Wandels statt.


Literatur:

Bailie, G. (1997): Violence Unveiled. Crossroad, New York.
Bloch, E. (1977): Erbschaft dieser Zeit. Suhrkamp, Frankfurt a.M..
Canetti, E. (1980): Masse und Macht. Suhrkamp, Frankfurt a.M..
Deleuze, G. & Guattari, F. (2002): Tausend Plateaus. Merve Verlag, München.
DeMause, L. (2005): Was ist Psychohistorie? Psychosozialverlag, Gießen.
Marcuse, H. (2004): Der eindimensionale Mensch. Dtv, München.
Nietzsche, F. (1983): Genealogie der Moral. Goldmann, München.
Pearce, J. C. (2004): Biologie der Transzendenz. Arbor Verlag, Freiamt.
Schmitz, H. (2005): Der Gefühlsraum. Bouvier Verlag, Bonn.

Über Zetlmeisl Georg 6 Artikel
Georg Zetlmeisl, geboren 1983, studierte Philosophie, Soziologie, Linguistik, Ethnologie und literarisches Schreiben und ist seit 2011 als Doktorand für Kulturphilosophie an der Universität Leipzig tätig. Weiterhin gibt er verschiedene Workshops an den Paracelsus Heilpraktiker Schulen, die sowohl der Vermittlung akademischen Wissens an ein breiteres Publikum dienen, als auch nach Möglichkeiten der praktischer Anwendung solchen Wissens im Rahmen einer Lebenskunst suchen.

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