Partnerschaftsgewalt – Was auch gesagt werden sollte …

hintergrund frau trauer mädchen lichteffekt, Quelle: kalhh, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Jedes Jahr gibt es Ende November zwei wichtige Ereignisse zum Thema der Partnerschaftsgewalt:

  • Weltweit wird jeweils am 25. November der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“ begangen, der 1981 eingeführt wurde und immer wie ein Mahnmal wirkt
  • Zur selben Zeit werden in Deutschland die Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt veröffentlicht und durch die Familienministerin in einer Pressekonferenz mitgeteilt.

„Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“

Die Gewalt gegen Frauen ist eine große internationale Herausforderung, die jeweils in landesspezifischer Weise alle Staaten betrifft. Dieser Tag ist bedauerlicherweise kein Grund zum Feiern, sondern ein drastisches Mahnmal. Während in Deutschland zahlreiche Gewaltdelikte an Häufigkeit abnehmen, zeigt die Partnerschaftsgewalt weiterhin moderate Anstiege. Dies ist ein unerträglicher Befund, der dringend politischer Interventionen bedarf. Diese Botschaft hören jedoch die deutschen Bundesbürger seit Jahren, ohne dass die notwendigen Maßnahmen erfolgt sind. Eine der möglichen Hilfsmöglichkeiten sind Frauenhäuser. Diese dienen den Geschädigten oder Bedrohten als Frauen wertvolle Zufluchtsorte. Lediglich 350 Frauenhäuser mit 7 000 Plätzen gibt es in Deutschland. Experten schätzen den Bedarf jedoch auf 20 000 Plätze. Diese Diskrepanz ist gravierend. So nannte denn in der Pressekonferenz die Familienministerin Franziska Giffey die aktuelle Befundlage als „schockierend“. Und das zu Recht.

Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 zur Partnerschaftsgewalt

Jährlich im November veröffentlicht das Bundeskriminalamt einen Bericht zur Partnerschaftsgewalt, der die Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) spezifisch für diese Deliktart auswertet. Er umfasst in diesem Jahr 33 Seiten und kann von jedem Bürger im Internet auf der BKA-Homepage eingesehen werden. Die Polizeiliche Kriminalstatistik bezieht sich als sogenannte Hellfeld-Analyse auf die bei der Polizei angezeigten Gewaltdelikte. Danach wurden im Jahr 2018 immerhin 140.750 Menschen von ihrem Ex-Partner genötigt, bedroht, geschlagen, vergewaltigt oder im Extremfall sogar getötet. Dies ist die Zahl der angezeigten Fälle. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen etwa fünfmal so hoch sind. 122 Frauen wurden Opfer eines Intimizids – einer Tötung durch den Intimpartner. Der aktuelle Partner oder der Ex-Partner ist hier der Tatverdächtige.

Das Bundeskriminalamt erfasst unter dem Sammelbegriff „Partnerschaftsgewalt“ folgende Strafdelikte:

  • Mord und Totschlag
  • Gefährliche Körperverletzung
  • Schwere Körperverletzung
  • Körperverletzung mit Todesfolge
  • vorsätzliche einfache Körperverletzung
  • Vergewaltigung, sexuelle Nötigung
  • Bedrohung, Stalking, Nötigung (psychische Gewalt)
  • Freiheitsberaubung
  • Zuhälterei
  • Zwangsprostitution

Der blinde Fleck: Frauen als Täterinnen werden oft ausgeblendet

Partnerschaftsgewalt ist sicherlich ein männliches Problem. Durch evolutionsbiologische, genetische, hormonelle und soziokulturelle Faktoren zeigen Männer eine größere Aggressionsbereitschaft als Frauen und begehen folglich auch die meisten Morde. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf, der überwiegend die potentiellen Täter im Blickfeld haben muss.

Die Resonanz in den Medien auf die BKA-Daten zu Partnerschaftsgewalt ist relativ einseitig: Sie fokussieren die Männer als Täter und die Frauen als Opfer. Dass Frauen auch als Täterinnen von Partnerschaftsgewalt aktiv sind wird häufig ausgeblendet. Nach den BKA-Daten wurden 26.362 Männer im Jahr 2018 Opfer von Partnerschaftsgewalt. Täterinnen waren ihre Ehefrauen, Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen. Experten gehen davon aus, dass Männer eine deutlich höhere Hemmschwelle haben, zur Polizei zu gehen. Intensive Schamgefühle hindern sie daran, männlichen Polizisten zu sagen, dass sie von ihrer Ehefrau verprügelt wurden. Sie schämen sich und fürchten, für unmännlich oder „Weicheier“ gehalten zu werden. Experten gehen davon aus, dass etwa nur 20 % der Frauen und etwa 10 % der Männer Partnerschaftsgewalt bei der Polizei anzeigen. Rechnet man die BKA-Daten nach diesen Erfahrungswerten hoch – was methodisch durchaus problematisch ist – so könnte man von etwa 700 000 Fällen von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2018 ausgehen. Entsprechend waren zwischen 130.000 und 263.000 Männer Opfer von weiblicher Gewalt gewesen (26.362 männliche Opfer bei 10 % Anzeigewahrscheinlichkeit).

Aussagekräftige Paardynamik

 In sogenannten Dunkelfeld-Analysen (z.B. Umfragen in der Allgemeinbevölkerung) erhalten die Forscher deutlich höhere Zahlen als in der Polizeilichen Kriminalstatistik. In Medienberichten kursiert oft die Behauptung, dass jede dritte Frau Opfer von Partnerschaftsgewalt wurde. Das wären hochgerechnet in einer Lifetime-Perspektive etwa 14 Millionen Frauen in Deutschland.

Aus einer paardynamischen Perspektive scheint bedeutsam, dass Partnerschaftsgewalt ein Phänomen ist, das meist nicht am Anfang einer Beziehung steht. Es taucht oft erst nach Jahren gemeinsamer Beziehungserfahrung auf. Partnerschaftsgewalt gibt es – wie Familienministerin Franziska Giffey richtig feststellte – in allen sozialen Schichten und allen ethnischen Gruppen.  Bevorzugt existiert sie jedoch in Beziehungen, die Psychiater und Psychotherapeuten als konflikthaft, gescheitert oder dysfunktional bezeichnen. Es sind oft Streitbeziehungen oder Partnerbeziehungen, in denen ein Partner extrem unzufrieden und enttäuscht ist.  Sexuelle Affären und außereheliche Beziehungen sind weitere häufige Risikofaktoren. Trennungsdrohungen, faktische Trennungen und Scheidungen sind dann der Kulminationspunkt des zwischenmenschlichen Desasters. Männer wiederum sind sehr trennungssensibel und vulnerabel durch „Verluste“. Trennungen und Scheidungen sind deshalb oft der Auslöser oder Trigger für männliche Partnerschaftsgewalt.

Diese Perspektive – dass sich Partnerschaftsgewalt meistens in jahrelangen Partnerbeziehungen erst entwickelt – wird in Medienberichten oft ausgeblendet. Ein Beispiel hierfür ist der Kommentar zu den BKA-Daten von Meredith Haaf in der Süddeutschen Zeitung. Vollmundig erklärte sie, was die eigentliche Wurzel des Übels sei. Es sei die Unterdrückung der Frau (Haaf 2019). Dieser pauschale Erklärungsversuch erscheint wenig zielführend.  Träfe die Vermutung von Meredith Haaf zu, dann müssten lesbische Beziehungen weitgehend gewaltfrei sein. Dies ist aber nicht der Fall!

In Paarbeziehungen geht es um eine intersubjektive Beziehung, um eine Interaktion von zwei Subjekten. Und wenn diese Paarbeziehung misslingt oder scheitert, sind beide am Scheitern beteiligt. Der renommierte Paarforscher Helm Stierlin brachte dies mit einem Buchtitel wie folgt auf den Punkt: „Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen“ (Stierlin 1976). Einseitige Schuldzuweisungen oder pauschale Urteile erscheinen hier fehl am Platze. Es geht vielmehr um eine solide Analyse des Scheiterns einer einmaligen Beziehung. Bei Mord und Totschlag erfolgt diese Analyse bei der Gerichtsverhandlung durch die forensisch-psychiatrische Begutachtung des Tatverdächtigen.

Bei 23 % der Intimizide tötete die Frau ihren männlichen Partner

Es gibt zweifellos ein Übergewicht männlichen Geschlechts in der Ausübung von Partnerschaftsgewalt. Vergegenwärtigt man sich die einzelnen Deliktarten, die den BKA-Daten zugrunde liegen, so zeigt sich hier ein sehr großes Spektrum: Es geht über die extremsten Fälle von Mord und Totschlag (Intimizid) bis hin zu Körperverletzung, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung oder Stalking. Während bei der Deliktart der Vergewaltigung 98,5 % der Täter männlich sind, sind es bei Mord und Totschlag 77 %. Bei den einzelnen Formen der Körperverletzung ist die Befundlage noch komplexer.

Interessant ist der Vergleich der Täterinnen dahingehend, wer ihre Opfer waren. Bei der Tötung des Intimpartners liegt der Frauenanteil nach den neuesten BKA-Daten bei etwa 23 %. Bei der Gesamtzahl aller Morde liegt der Frauenanteil jedoch nur bei etwa 13 %, also fast halb so groß. Dies deutet darauf hin, dass Frauen überwiegend im Nahbereich der Familie zur Mörderin werden. Die renommierte Gerichtsgutachterin und Forensische Psychiaterin Sigrun Roßmanith hat sich besonders diesem Thema gewidmet. Sie begutachtete zahlreiche Mörderinnen, die über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurden, z.B. die „Eis-Lady“ und den „blonden Engel“ von Wien. Beide Frauen haben ihren Ehemann getötet (Roßmanith 2013). Die Gewaltexpertin hat in Österreich mehr als dreitausend Gerichtsgutachten verfasst und kam beim Thema weiblicher Partnerschaftsgewalt zu folgendem Fazit:

„Die Emanzipationsbewegung hat wesentlich zu einem einseitigen Bild beigetragen – hier die friedfertige Frau, dort der gewalttätige Mann. Auch wenn Frauen seltener morden als Männer, sind sie ebenfalls zu brutalster Gewalt fähig. Sie sind nicht immer nur Opfer. Und sie sind ganz sicher nicht die besseren Menschen.“ (Roßmanith & Lache 2017)

Gewaltdelikte in lesbischen Beziehungen im Vergleich zu heterosexuellen Partnerbeziehungen

Wer der Hypothese glaubt, dass Partnerschaftsgewalt überwiegend durch die Aggressivität der Männer hervorgerufen wird, der sollte einen Blick auf lesbische Beziehungen werfen. Paarbeziehungen zwischen zwei Frauen sollten dieser Hypothese folgend – weitgehend gewaltfrei sein. Constance Ohms forscht seit fast 30 Jahren über dieses Phänomen und ist vom Gegenteil überzeugt (Ohms 1993, 2008). Die BKA-Daten können zu dieser Frage wenig beitragen, weil diese eine Differenzierung nach sexueller Orientierung nicht enthalten.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst bei den Opfern und Tatverdächtigen auch den Beziehungsstatus. Dieser wird differenziert nach Ehepartnern, eingetragenen Lebenspartnerschaften, Partnern nicht ehelicher Lebensgemeinschaften und ehemaligen Partnerschaften. Unter der Rubrik „eingetragene Lebenspartnerschaft“, die nach Geschlechtern getrennt aufgeführt wird, finden sich auch lesbische Paare. Diese Zahl bildet nicht die Gesamtheit der homosexuellen Beziehungen ab. Im Jahr 2018 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik unter den Tatverdächtigen insgesamt 424 Fälle den „eingetragenen Lebenspartnerschaften“ zugeordnet. Bei dieser Subgruppe ermittelte das Bundeskriminalamt 267 Frauen und 157 Männer als Tatverdächtige. Diese höhere Zahl von Gewaltdelikten bei den lesbischen Frauen im Vergleich zu den schwulen Männern ist sicherlich erklärungsbedürftig. Diese Diskrepanz könnte daran liegen, dass schwule Männer viel seltener Gewaltdelikte anzeigen als lesbische Frauen.

Etwa 70 % der Kindstötungen werden von Müttern begangen

Bei den Kindstötungen geht es nicht per se um Partnerschaftsgewalt. Diese werden hier trotzdem erwähnt, weil sie etwas über die Tötungsbereitschaft von Frauen aussagen. Hierzu gibt es belastbarere Daten, weil Kindstötungen zu einem hohen Prozentsatz polizeilich erfasst werden. Nach zahlreichen empirischen Untersuchungen zu Kindstötungen werden etwa 70 % aller Kindstötungen von Müttern begangen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) legte kürzlich eine umfassende Analyse zu diesem Problemfeld vor, das hier nicht weiter erörtert werden soll (Haug & Zähringer 2017).

Partnerschaftsgewalt bei Zuwanderern

In der Pressekonferenz und in den Medienberichten zur Partnerschaftsgewalt wurde ein weiteres hochbrisantes Thema ausgeblendet oder totgeschwiegen: die Partnerschaftsgewalt von Nicht-Deutschen bzw. Ausländern. Hier ergibt sich eine deutliche Diskrepanz: Bei den Analysen der BKA-Daten sind die Fälle von Partnerschaftsgewalt bei Ausländern viel größer als dies dem Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Diese Diskrepanz erscheint dringend erklärungsbedürftig.  Sie ist aber offensichtlich nicht opportun und wird dann eben ausgeblendet. Auch ein blinder Fleck. Nach den Daten des Statistischen Bundesamts leben in Deutschland 10,9 Millionen Ausländer, das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 13 %. In den BKA-Daten zur Partnerschaftsgewalt zeigt sich, dass bei den polizeilich angezeigten Fällen der Ausländeranteil überproportional hoch ist. Er beträgt 33 % (38.714 ausländische Tatverdächtige von insgesamt 117.473 Tatverdächtigen). Dieses komplexe Problem lässt sich nicht in wenigen Sätzen erörtern, sollte aber durchaus Gegenstand der Diskussion sein, wenn es um die aktuelle Partnerschaftsgewalt in Deutschland geht.

Quo vadis?

Wie geht es weiter? Die Diskrepanzen, die jeweils im November eines Jahres mit den neuesten BKA-Daten zur Partnerschaftsgewalt auftauchen, erschienen auch im Jahr 2019. Die BKA-Daten sind brisant und herausfordernd. Viele Fragen sind offen. Dunkelfeld-Analysen sind aussagekräftiger als die Polizeiliche Kriminalstatistik. Es hat zwar einen gewissen Reiz, die Zahlen und scheinbar „harte Fakten“ im Jahresvergleich zu betrachten. Aber bei einer Anzeigewahrscheinlichkeit von 10 % bis 20 % bei den Partnerschaftsgewalt-Delikten ist dies eben nur die Spitze des Eisberges. Dessen sollte man sich bewusst sein. Mehr Forschungsgelder für klügere, aufwendigere und aussagekräftigere Dunkelfeld-Analysen wären ein Desiderat für die Zukunft!

Literatur:

Bundeskriminalamt (2019) Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2019 vom 25.11.2019

Haaf, Meredith (2019) Die Wurzel des Übels. Gewalt gegen Frauen. Süddeutsche Zeitung vom 24. November 2019

Haug, Monika; Zähringer, Ulrike (2017) Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. Tötungsdelikte an 6- bis 13-jährigen Kindern in Deutschland. Eine Kriminologische Untersuchung anhand von Strafverfahrensakten (1997 bis 2012). Forschungsbericht Nr. 143

Ohms, Constance (1993) Mehr als das Herz gebrochen. Orlando Frauenverlag, Berlin

Ohms, Constance (2008) Das Fremde in mir – Gewaltdynamiken in Liebesbeziehungen zwischen Frauen. Transcript Independent Academic Publishing

Roßmanith, Sigrun (2013) Sind Frauen die besseren Mörder? Spektakuläre Fälle einer Gerichtspsychiaterin. Amalthea Signum Verlag

Roßmanith, Sigrun; Lache, Anette (2017) Wenn Frauen töten. Stern-Gespräch mit Gerichtsgutachterin Sigrun Roßmanith. Interview vom 15. Juli 2017.

Stierlin, Helm (1976) Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen. Eine Dynamik menschlicher Beziehungen. Suhrkamp. Frankfurt am Main

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef    

Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Zentrum für Innere Medizin

Medizinische Klinik und Poliklinik II

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.