Am 10. Dezember
wird in Stockholm der Nobelpreis für Literatur überreicht. Peter Handke ist
würdig der bedeutenden Ehrung. Schon
früh kritisierte der Autor die Willkür der Justiz. Nie ließ er Zweifel an
seiner sensiblen Haltung für Gerechtigkeit.
„Wer wenn ich schriee, hörte mich denn aus der
Engel Ordnungen?“, begann Rainer Maria Rilke seine
Duineser Elegien, inspiriert dazu 1912 auf Schloss Duino bei Triest. Es ist ein
Satz, der bleiben wird. Oft sind es einzelne Sätze von Autoren, die von Wert
sind, für den ewigen Bestand.
Es ist ein Satz,
der auch in einem Text von Peter Handke seinen Platz hätte finden können.
Jedenfalls ist es ein Satz, bei dem man an Peter Handke denken möchte, wie er nach
den Engeln ruft, gezeichnet vom Wehe der Welt.
Auch im Werk von Peter Handke sind es oft solch brillante Sätze, die die
Genialität des Autors beweisen und von Bedeutung sind, sie bleiben in
Erinnerung, wie magische Berufungen, jenseits aller Moden.
Beharrlich
ist Peter Handke in seinem Werk à la recherche du mot juste des Gustave
Flaubert. Dafür ist hohe Konzentration, tiefe Kontemplation, ja eremitische
Ernsthaftigkeit die erforderliche Voraussetzung gewesen, die den Autor Handke
erkennbar bestimmt.
Schulterklopfer mit Hakenkreuzen
„Als es in Mode kam, sich mit Kreide Hakenkreuze auf die Handfläche zu
zeichnen und damit Nichtsahnenden auf die Schulter zu klopfen, war ich meist
der Beklopfte“, formulierte Peter Handke 1967 in „Ein autobiographischer Essay“.
Die Aussage bezog sich auf das Jahr 1957, da wurde Peter Handke 15 Jahre alt. Doch
offenbar blieb es in Mode, Peter Handke auf die Schulter zu klopfen, um den
Autor mit grausam verzerrten Tätowierungen zu stigmatisieren.
Das Klopfen beginnt gleich beim österreichischen Bundespräsidenten Alexander
van der Bellen, respektive seinem Ghostwriter, der Peter Handke zum Gewinn des
Nobelpreises mit einer verräterischen Wortwahl gratulierte. Demnach schriebe
Peter Handke „in einem Ton, der
schnörkellos ist“ (Alexander van der Bellen, Presseaussendung, 10. 10,.
2019).
Statt eine „Schnörkellosigkeit“, wie mit einer Klistierspritze, unachtsam einzuführen,
wäre es wohl passender gewesen, die Genauigkeit in der Sprache Peter Handkes zu
betonen, die wie von einem akribischen Buchhalter erstellt wird, mit
etymologischen Bewusstsein und der exakten Prüfung aller denkbaren Synonyme, damit
ein jedes Attribut präzise gesetzt werde.
Hätten die Ghostwriter, die im Hintergrund des österreichischen
Bundespräsidenten die Verfassung des Landes bestimmen wollen, doch nicht die
„Schnörkseln“ gewählt,
in ihrem kurzen Dankschreiben zum langen Ruhme der Nation, das bei Olympiasieg und
Nobelpreisgewinn stets Usus zu sein hat, dann wäre nicht so erkennbar in
Erscheinung getreten, dass die Staatshüter wohl die „Schnöseln“ mit größerer
Begierde erwähnt hätten, in ihren bedächtigen Reden.
Sigmund Freud, in seinen Theorien geprägt von der Wiener Kultur, stellte solche
Assoziationen, als sogenannte Fehlleistungen, in seiner Studie „Zur Psychopathologie
des Alltagslebens“ ausführlich dar. Ohne eine solche Assoziation, die zum „Vorschwein“ kam, hätte das Werk Peter
Handkes in der Staatsrede eine angemessenere Würdigung erhalten.
Dann hätte der österreichische Bundespräsident einen Panegyrikus erklingen lassen, in dem die Sprache des Peter Handke ornamenthaft
erscheint, arabeskenhaft-beschwörend wirkt und sein Werk zu einem ernsten Beitrag
macht, der aus den massenweisen Veröffentlichungen des Literaturbetriebs herausragt.
Wer war der Ghostwriter aus dem Kreis der Juristen und Kommunikationsexperten,
die die Reden des österreichischen Bundespräsidenten erschaffen. Rasch und
beflissen will dieser Ghostwriter, noch als Spitze erkennbar, „ versöhnlich“
auftreten, wie es von ihnen gerne genannt wird:
“Wir haben Peter Handke
viel zu verdanken. Ich hoffe, er weiß das”, erklärte der Ghostwriter.
Offenbar sind Ghostwriter und der österreichische Bundespräsident sich bewusst,
dass die Verantwortlichen der österreichischen Staatsgewalt keinesfalls sicher
sein können, dass der Nobelpreisträger die Wertschätzung des Landes als
selbstverständlich annehmen darf, selbst wenn er die Wertschätzung der ganzen
Welt besäße.
Stiefel wie Nazi-Bonzen
Die Stadt Salzburg, in der der spätere Nobelpreisträger noch in den achtziger
Jahren leben wollte, verließ Handke, bestürzt durch einen Zwischenfall, von dem
hier auch erzählt werden soll.
Damals, im Februar 1985, wurde Peter Handke in Salzburg auf offener Straße von Polizisten
belästigt, als hätten sie auf den Autor bereits mit Ressentiment gewartet, das
von ihnen schon zu lange in einer negativen Weise sublimiert wurde. Handke war
gezwungen, ihnen zu erklären, sie erinnerten ihn an andere Zeiten:
„Ihr steht da vor mir mit euren
Stiefeln wie Nazi-Bonzen”.
Der Dichter wurde in das Wachzimmer der Polizei mitgenommen und erhielt
eine Strafanzeige. Es zeigte sich schon damals, dass es schwierig war, einen
korrekten Bericht über den Vorfall in den österreichischen Medien zu bringen. Der
zuständige Direktor im österreichischen Fernsehen ORF untersagte die
Ausstrahlung eines Beitrages, in dem Peter Handke über seine Erfahrungen mit
der österreichischen Polizei berichtete.
Im Nachrichtenmagazin profil, das in jener Zeit noch bemüht wirken wollte,
konnte der Autor Handke die „obrigkeitliche
Niedertracht und Menschenverachtung“ damals in die Öffentlichkeit bringen,
am 25. März 1985, mit dem Titel „Eine
andere Rede über Österreich“.
Später wurde berichtet, dass Handke in der Folge Briefe erhielt, auch von
Polizisten der „Kameradschaft der Exekutive Österreichs“, in denen
gefordert wurde, dass der Autor, „für den Dreck,
den er fabriziert„, zumindest ins Exil komme.
Die Leiden des jungen Handke
Peter Handke ließ nie einen Zweifel, dass er solche Übergriffe der Polizei
nicht duldet. Er kritisierte auch schon früh die Willkür der Justiz in seinem
Essay „Die Tautologien der Justiz“,
der erstmals im November 1969 erschien. Darin analysierte der Autor die janusköpfige Sprache der Gerichte.
Peter Handke erkannte, dass bei Aussagen von Entlastungszeugen in der Regel mit
„behauptet“ geurteilt wird, bei Aussagen
von Beamten aber mit „durchaus
glaubwürdig“ oder „klar und sicher“.
Sollte für die Verleihung des Nobelpreises für Literatur entscheidend sein,
dass der Autor für Demokratie und Grundrechte aufrecht steht, so ist Peter
Handke deshalb ein würdiger Träger der Auszeichnung, die einen solchen Einsatz
bestätigen und fördern soll, den Handke schon früh in einer authentischen Weise
einbrachte, die spürbar bei diesem Autor auch mit innerlich empfundenen Schmerz
und Leid verbunden ist.
Es ist deshalb unvorstellbar, dass Peter Handke für ein Blutregime und einen
Schreckensherrscher sich einsetzen möchte. Eine solche Vermutung entspricht
keinesfalls dem Leben und Werk dieses Autors.
Winterliche Reise
Dennoch kam Kritik an der Verleihung des Nobelpreises auf, die in keinesfalls
erforderlicher Weise, doch beabsichtigt, zu weiteren Verwundungen führen soll. Angegriffen
wurde Peter Handkes Apologie des serbischen Volkes, für das er in den Zeiten
des Balkankrieges, einfühlsame und verständnisvolle Worte fand. In seinem Essay
„„Eine
winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder
Gerechtigkeit für Serbien“, der
erstmals 1996 erschien.
Es war ein Bericht, in sehr persönlich gehaltenem Ton, in dem Peter Handke
bemüht war, seine Empfindungen zu ordnen, angesichts von Angst und Schrecken
des Krieges. Die bemühte Suche nach Orientierung, mit der er „wenn nicht klar, so doch klarer“ werden
wollte, erinnert fast an die Methode der écriture automatique von André Breton.
Es sollte einem Autor doch gewährt werden, auch ohne Furcht und Mitleid auf die
Suche zu gehen, angesichts der Stimmen des Jammerns und Schauderns, die er
erklingen hört.
In Salzburg wirkt jetzt ein Obsthändler, in der Nähe des Kapuzinerbergs, der
aus Serbien stammt. Seine Herkunft ist kaum jemand bekannt, doch er ist beliebt
und wird geschätzt, gerne werden bei ihm die ausgezeichneten Früchte gekauft,
die er wöchentlich auf seinen Reisen aus Italien holt.
So kann man auch in Österreich sympathischen Serben begegnen. Da kann es
durchaus sein, dass Peter Handke eine brutale Serbenfeindlichkeit, die oft
aggressiv zum Ausdruck kam, nicht dulden wollte.
In seiner „winterlichen Reise“ nahm Handke den Ausgang bei seinem ersten
Aufenthalt in Belgrad, rund 40 Jahre zuvor, damals für eine Lesung, kaum noch
waren ihm die Plätze der Stadt in Erinnerung. Er erzählte von seinem Interesse
für die Filme Emir Kusturicas, von seinen serbischen Bekannten, dazu zählte
insbesondere der Übersetzer seines Werkes in die serbische Sprache, bevor er
aufbricht in die Kriegsregion, die er gleich deutlich mit winterlicher Kühle
vermittelte, zu einer persönlichen Spurensuche, mit Begegnungen, Beobachtungen,
Erlebnissen.
Fraglos ist Handke dabei auch die
Zerstörungswut bewusst, die bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges an der Sirk
Ecke, gleich neben der Staatsoper, in Wien tobte: „Serbien muss sterbien“ riefen sie. Und „Jeder Russ, ein Schuss“. Karl Kraus beschrieb diese Szenen
eindrücklich in „Die letzten Tage der Menschheit“.
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Handke eine solch aufkommende
Feindseligkeit gegen alles Serbische nicht nochmals unreflektiert hinnehmen
wollte und deshalb um Serbien sich bemühte.
Nochmals war Peter Handke damit, als die Feindseligkeit zur Mode wurde, der „Beklopfte“.
Für seinen Erfahrungsbericht, so fordern die Kritiker, soll Handke der
Nobelpreis unverzüglich aberkannt werden.
Doch die Schwedische Akademie, die mit ihrem Komitee über die Vergabe
entscheidet, wich nicht wankend zurück und verteidigte ihr Urteil.
Jetzt sind Demonstrationen gegen den Autor Handke geplant, in Stockholm sollen
sie die Festtage des Nobelpreises lärmend begleiten. So wird gegen den
Literaten protestiert, aber nicht gegen die Politiker, die die Verletzung von
Grundrechten begehen oder zumindest tolerieren. Es ist auch mit weniger
Bedrohungen verbunden, gegen den Autor Handke zu demonstrieren, als aufzustehen
gegen menschenverachtende Diktatoren.
Mit der aktuellen Diskussion um den Autor Handke wird Literatur bekämpft, statt
autoritärer Politik. Der Skandal, der Handke
gemacht wird, ist deshalb ein affirmativer Skandal, der die wahren Verbrechen,
die weiterhin täglich geschehen, verhüllt.
Publikumsbeschimpfung
Da die Schriften Peter Handkes über das Leben und Sterben in Serbien nicht
genügen könnten, um den Autor einen kafkaesken Prozess zu machen, soll auch in
seinen früheren Werken noch Beweismaterial aufgespürt werden. Sein Drama
„Publikumsbeschimpfung“, das erstmals 1966 im Theater im Turm in Frankfurt/Main
von Claus Peymann inszeniert wurde, dient dann als Beweismittel, für das
chronisch renitente Verhalten des Autors.
Doch was ist das Thema dieser Publikumsbeschimpfung. Über weite Strecken gibt
das Stück eine Erklärung, was Drama und Theater ausmacht, durchaus inspirierend
für ein Lehrbuch der Dramentheorie. Im ersten Semester des Studiums der
Theaterwissenschaft sollte „Das Drama“ von Manfred Pfister gelesen werden, erstmals
veröffentlicht 1977, das in einer sehr genauen und elaborierten Begrifflichkeit
formuliert wurde, mit anschaulichen Beispielen aus der Dramengeschichte.
Wer die Sprache von Pfister als zu schwierig erfährt, der kann zur Autorin Elke
Platz-Waury ausweichen, denn ihr „Drama und Theater“, erschienen 1978, wurde im
simplen Stile eines Lehrbuchs verfasst, das jeder eigentlich kennen sollte, der
erfolgreich das Abitur bestand.
Doch werden in den österreichischen Gymnasien diese Grundlagen der Dramenkunde kaum
vermittelt. Da sollte doch die „Publikumsbeschimpfung“ von Handke gelesen
werden, die dieses Wissen in eine attraktive Form brachte. Damit endlich in der
Öffentlichkeit bekannt wird, wovon dieses Drama von Handke eigentlich handelt,
das erst im zweiten Teil die Frage des Theaterskandals vorstellt, in der Form
einer literarisch überhöhten Ansprache an die Rezipienten: „Ihr Glotzaugen, ihr Totengräber der abendländischen
Kultur“.
Wie kommt das Gift in den Autor
Auch die österreichische Autorin
Brigitte Schwaiger hàtte den Nobelpreis für Literatur verdient. Doch kam
Schwaiger schon in den frühen neunziger Jahren, bald nach ihrem vierzigsten
Lebensjahr, in Berührung mit den psychiatrischen Einrichtungen der Stadt Wien.
Es ist ein ungeheuerlicher Skandal, das für eine Autorin vom Rang der Brigitte
Schwaiger keine andere Lösung gefunden werden konnte, als eine Verwahrung in
der Anstalt auf der Baumgartner Höhe, die als gemeingefährlich gelten muss,
angesichts der Methoden, die dort der Brauch sind.
Ein Sachwalter übernahm das gesamte Vermögen von Brigitte Schwaiger, dazu zählen
ihre einträglichen Tantiemen für all ihre Bücher, auch für den Bestseller „Wie kam das Salz ins Meer“, mit dem
Millionen verdient wurden.
Der Sachwalter räumte die Wohnung von Brigitte Schwaiger und schnitt die
Autorin von ihrer Arbeitsbibliothek ab, auch von ihren Aufzeichnungen,
jahrelang notiert, sie waren die Grundlage für weitere Buchprojekte, die die
Autorin plante und vorbereitete. Brigitte Schwaiger wurde damit frühzeitig
blockiert in ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin.
Das Literaturhaus Wien, wo die Autorin ihre Situation schilderte, griff nicht
ein. Damit eine der vielen Institutionen in Wien, deren Leitungsfunktionen nach
politischen Erwägungen besetzt werden, die Kompetenz wird bei solchen
Besetzungen der Posten ignoriert, die wie Wachposten des Systems erscheinen. Brigitte
Schwaiger erhielt keine Unterstützung in Wien. Bis zuletzt.
Bis Brigitte Schwaiger in einem Seitenarm der angeblich blauen Donau gefunden
wurde, ertrunken, therapiert von Wassermassen, statt von den üblicherweise
verabreichten Neuroleptika, zu denen auch Haldol zählt, ein schweres Mittel, das
bevorzugt in den österreichischen Psychiatrien verabreicht wurde, als
medikamentöse Fesselung, obwohl die Gefährlichkeit und die Nebenwirkungen
dieses Nervengiftes stets bekannt waren, das auf der „roten Liste“ sich
befindet, im Arzneimittelverzeichnis für Deutschland.
Peter Handke könnte bei seiner Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises
auch Brigitte Schwaiger gedenken,
während vor den Toren des Festaktes die Demonstranten gegen ihn wüten.
Nobelpreis für Deutschland
Als Elias Canetti den Nobelpreis 1981
erhielt, da galt die Auszeichnung seines Werkes auch als ein Gewinn für das
Land Österreich, obwohl der Autor in Bulgarien geboren wurde, später im Exil,
während der Zeit des Nationalsozialismus,
die britische Staatsbürgerschaft erhielt, dann seine letzten Lebensjahre in
Zürich verbrachte.
Dennoch war der Anspruch auf Canetti, den der Staat Österreich stellte,
gerechtfertigt. Canetti kann tatsächlich
als ein österreichischer Autor betrachtet werden, der wichtige Jahre in der österreichischen
Kultur verbrachte, in Berührung mit großen Schriftstellerkollegen, die er in
den zwanziger und dreißiger Jahren in Wien kennenlernte. Canetti schätzte die
Begegnung mit diesen Autoren, von denen er in seiner Autobiographie ausführlich
berichtete, insbesondere in der „Fackel
im Ohr“, wo er das Werk von Karl Kraus, dessen kritische Stimme er als
wohltuend empfand, als von entscheidender Bedeutung für sein weiteres Schaffen
beschreibt.
Auch thematisch war Canetti geprägt von seinem Umfeld und seinen Erlebnissen in
Wien. Sein Roman „Die Blendung“, mit all seinen monomanischen Helden, Exzentrikern und Sonderlingen, ist von seinen Beobachtungen in Wien geprägt. Der
Brand des Justizpalastes, der 1927 von einer entrüsteten Menge angezündet
wurde, die die politisch motivierten Fehlurteile nicht mehr hinnehmen wollte,
wurde zu einem Schlüsselerlebnis von Canetti, das ihn zu seinem philosophischen
Hauptwerk „Masse und Macht“ anregte,
an dem er unverzüglich zu arbeiten begann. Canetti war sich sofort bewusst,
dass er damit ein großes Thema begann, mit dem er über Jahrzehnte beschäftigt sein wird. Er legte die Ergebnisse schließlich 1960 vor.
Wie der Nobelpreis von Canetti auch als ein Triumph für Österreich betrachtet
wurde, so kann die Verleihung an Peter Handke als ein Erfolg für Deutschland
bewertet werden.
Siegfried Unseld, mit seinem Suhrkamp-Verlag, schätzte die Arbeiten von Handke
schon zu einem frühen Zeitpunkt und förderte sein Werk. Regisseur Claus Peymann
war für die Uraufführungen der ersten Stücke von Peter Handke verantwortlich,
die er im deutschen Theater inszenierte, im Theater am Turm in Frankfurt/Main.
Das deutsche Publikum der Uraufführung der „Publikumsbeschimpfung“ reagierte
begeistert. Neben der Publikumsbeschimpfung waren „Kasper“ und „Das Mündel will
Vormund sein“ frühe Erfolge.
Seine Essays veröffentlichte Handke zuerst in deutschen Medien, „Die Zeit“ bot
dafür den geeigneten Rahmen, aber auch „Theater heute“ und später die
„Süddeutsche Zeitung“. Schließlich sei noch die „Gruppe 47“ erwähnt, in der der
junge Peter Handke mit Kollegen seine Debatte führte, die einen Kontrapunkt
darstellt, zur Begegnung des jungen Canetti mit dem etablierten Autor Franz
Werfel, der einst in Wien dessen erste Lesung kommentierte.
Land der Schande
Hätte Peter Handke für die
Verbreitung seines Werkes nicht die Strukturen in Deutschland nutzen können, es
erscheint wahrscheinlich, dass der Weltruhm in den österreichischen
Verhältnissen, karg und bitter, nicht hätte errungen werden können. Das gilt auch für die Persönlichkeiten, die in
Deutschland sein Werk schätzten und in die Wahrnehmung brachten.
In Österreich hingegen, mit all den diabolischen Ausgeburten an Missgunst und
Neid, mit all dem entwickelten Hang zur Intrige, auch in den vergangenen Jahren
deutlich erkennbar geworden, wäre das Werk Peter Handkes eher blockiert und sogar
verfolgt worden. Den Autor hätte man in Wien wohl am liebsten wütend angespuckt
und in den Rinnsal gestoßen.
Bei der Nachricht über die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke empfand
ich Freude. Die „Tautologien der Justiz“
von Peter Handke las ich erstmals im Alter von 18 Jahren. Der Essay, den ich
sofort als treffend und bedeutend verstand, blieb für mich ein prägender
Eindruck. Jetzt lebe ich im Ausland, in einer ländlichen Umgebung, wo ich die
Tage des Exils verbringe, abgetrennt von meiner Bibliothek, die im
zeitgenössischen Wien konfisziert wurde, damit auch die geschätzten Bücher von
Peter Handke, wie all meine anderen Bücher.
Gerne würde man jetzt das Werk Peter Handkes nochmals lesen. Doch während Peter
Handke in Stockholm den Nobelpreis für Literatur überreicht erhält und
Demonstranten, vor den Toren des Festaktes, gegen den Autor sich rüsten, werden
in Wien wieder Bibliotheken konfisziert, mit mehr als 10.000 Büchern,
Zeitschriften, Materialien und Aufzeichnungen.
Politisch motivierte Enteignungen werden noch aktuell in der Stadt Wien mit
richterlichem Beschluss brutal durchgeführt, jenseits aller Grundrechte, nach
dem Vorbild der erprobten Methoden, die bereits in der Zeit des
Austrofaschismus erfolgreich eingesetzt wurden, in den dreißiger Jahren. Damals
wurde beispielsweise das Vermögen des Sozialphilosophen Otto Bauer konfisziert,
sein Perserteppich wurde im Büro des Polizeipräsidenten von Wien als Beutestück
stolz aufgelegt.
Auch jetzt werden Betroffene bedroht von
Einweisung in eine geschlossene Anstalt oder von willkürlich verhängten
Gefängnisstrafen, wobei nicht gezögert wird, das Urteil des „Hochverrats“
auszusprechen, wenn eine kritische Stimme bemerkt wird, die die kriminellen
Vorfälle einer korrupten Justiz anprangert. Es bleibt nur der Weg ins Exil.
Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen empfindet es als
Zumutung, bei solchen Überfällen auf Arbeitsbibliotheken einzugreifen. Schon in
seiner Funktion als Forschungsbeauftragter der Stadt Wien, im Mai 2015, lehnte der
Schulterklopfer Alexander van der Bellen ab, eine solch politisch motivierte
Enteignung abzuwehren. Schnörkellos.
Links:
Gefängnis statt Gerechtigkeit: Über die Verfolgung des jüdischen Autors
Stephan Templ
(Tabula Rasa Magazin, 26. 12. 2018)
Medienlöwin Alexandra Bader
(Tabula Rasa Magazin, 5.
12. 2017)