Die amerikanische Shakespeare-Kennerin Jacquielynn Wolff, die ein Shakespeare-Festival in Florida leitet, reist momentan durch Europa, um Inspiration für ihre Arbeit zu sammeln. Im Frankfurter Presseclub besuchte Sie am ursprünglichen Brexit-Datum, dem 31.10.2019, den Vortrag des Autors Andreas T. Sturm »Was würde Shakespeare zum Brexit sagen?«, bei dem auch sein neuerschienener Shakespeare-Ratgeber vorgestellt wurde, auf dessen Grundlage die Brexit-Krise aus einer anderen Perspektive betrachtet wird.
Der ehemalige Europa-Abgeordnete Thomas Mann führte in das Thema ein, indem er den Weg der Brexit-Krise von dem Referendum bis zum heutigen Tag nachzeichnete. Der engagierte Pro-Europäer Mann lieferte in einem zehnminütigen Kurzvortrag eine passende Einleitung zum Hauptvortrag.
Der Autor Andreas Sturm begann seinen Vortrag mit einer der bekanntesten Rede aus Shakespeares Werk, »this sceptere’d isle«, aus Richard II., die die momentane Stimmung zwischen glühendem Patriotismus und niederschmetterndem Pessimismus widerspiegelte. Nicht wenige Zuhörer haben sich in den letzten beiden Szenen gefunden: »England, das andern obzusiegen pflegte, / Hat schmählich über sich nun Sieg erlangt.«
Mit fünf Thesen übertrug Sturm Grundprinzipien aus Shakespeares Werk auf den Brexit, diese basieren auf seinem neuerschienenen Buch »Das Shakespeare-Prinzip: 13 Wege zum Erfolg«.
In der ersten These stellte Sturm da, dass der Versuch Shakespeare für sich zu vereinnahmen nicht funktioniert, da Shakespeare Perspektivenwechsel, Multiperspektivität und die Berücksichtigung von Graustufen meisterhaft beherrschte – ganz im Gegensatz zu heutigen Politikern und Pressevertretern.
Die zweite These widmete sich den historischen Parallelen, dem »ersten Brexit« von Henry VIII., als er 1534 mit Rom brach, während die Rosenkriege (1455-1485) an die heutige gesellschaftliche Spaltung und die erbitterte Auseinandersetzung in den Medien und auf Sozialen Netzwerken erinnert. Beide Probleme wurden damals nur durch Kompromisse gelöst, Elizabeth I. vereinigte das Land, indem sie protestantische Theologie und katholische Riten miteinander verband, während die verfeindeten Häuser der Rosenkriege durch eine Hochzeit vereint wurden.
These drei widmete sich dem Vergleich von Charakteren Shakespeares mit aktuellen Spitzenpolitikern. Für Sturm stellt Theresa May den Hamlet der britischen Politik dar, da sie nicht mit Entschlossenheit und innerer Überzeugung ihre Aufgabe erledigte. Da Boris Johnson in den Medien bisweilen mit Richard III. vergleichen wurde, verglich Sturm Boris Johnson mit Richard III. anhand von Eigenschaften Richards aus dem Buch Stephen Greenblatts »Der Tyrann: Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert«. Die Übereinstimmungen waren für die Zuschauer spannend, die Reaktionen reichten einem vergnüglichen Lachen bis zur Fassungslosigkeit, als der Vortragende Parallelen aus Johnsons Leben vortrug.
Die Ordnung, die in am Ende eines jeden Shakespeare-Dramas wiederhergestellt wird, veranlasste Sturm in Kapitel 5 seines Buchs dazu, für eine Politik zu werben, die dieses Grundprinzip beherzigt. Oftmals haben Politiker Fähigkeiten eine bestimmte Aufgabe zu lösen, die sie gleichzeitig disqualifiziert eine geordnete Regierungsarbeit zu erledigen. Beispiele waren Richard III. und Macbeth, die alle Register zogen, um an der Macht zu bleiben, während sie als Herrscher kaum konstruktiv wirkten und sich nur um ihrem Machterhalt kümmerten. Die Parallelen zeigen sich bei der heutigen britischen Regierung.
Bei seiner fünften These erzählte Sturm, dass Boris Johnson sein Buch »Shakespeare: The Riddle of Genius«, welches schon mehrfach hätte erscheinen sollen, erneut verschob. Der Autor hatte für die Zuhörer aber eine Lösung parat, indem er sein eigenes Buch »Das Shakespeare-Prinzip« ersatzweise als Leitfaden für gelingendes Regierungshandeln opfert.
Mit seinem Vortrag, genauso wie mit seinem Buch, erreicht es Sturm die Aktualität der Dramen Shakespeares zu unterstreichen, die durch ihre präzise Darstellung der menschlichen Natur eine neue Perspektive auf alte Problem werfen: zügelloses Machtstreben, überambitionierter Ehrgeiz, mangelnde Entschlossenheit, innere Zerrissenheit, das Fehlen eines moralischen Kompasses und die Hybris. Mit dieser Einsicht offenbarte der Abend Schlussfolgerungen, die sich weit über den Horizont des Brexit erstrecken und die Relevanz Shakespeares eindrucksvoll beweisen.
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Die amerikanische Rechtswissenschaftlerin und Shakespeare-Kennerin Jacquielynn Wolff leitet ein Shakespeare-Festival in Florida. Während ihr rechtlicher Schwerpunkt auf dem Einwanderungsrecht liegt, erstreckt sich ihre Tätigkeit im kulturellen Bereich auf den internationalen Austausch von Theatergruppen, der Lehrtätigkeit an Bildungseinrichtungen und Fundraising.
Jacquielynn sieht das Theater als potentielles Bindeglied internationaler Diplomatie.