Satanismus – noch immer oder schon wieder eine Gefahr?

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Satan kann aus dem Hebräischen mit „Widersacher“ übersetzt werden. Nach dem babyloni­schen Exil kennt das Volk Israel auch einen Ankläger, gewis­ser­maßen einen Staatsanwalt, der vor Gott die menschlichen Sünden vorträgt. Im Buch Hiob zählt er sogar zum himmlischen Hofstaat, wo er freilich die Men­schen ver­leumdet und diese gegen Gott aufzubringen sucht. Immerhin lässt sich Gott mit ihm in Diskussionen ein. „So endet das Hiobbuch in einer unauflösli­chen Ambi­valenz von schroffer Zurückweisung Hiobs und seiner überraschen­den Aner­kennung – allerdings keiner Anerkennung seiner Gerechtigkeit.“[1] Diese „un­auflös­liche Ambi­valenz“ scheint das Geheimnis des Bösen zu sein, jedoch nicht das Ge­heimnis Gottes.

Satan wird in manchen Theologien bereits von Anfang an als Verführer des Menschen, ja als Inkarnation des Bösen aufgefasst. Ein spannendes Thema, das aber in Uferlose führen würde.

Stützen wir uns hier auf ein Zitat aus dem 1863 erschienenen Buch „Geschichte des Satans“ des französischen Theologen A. Lecanu:

         „Der aufrührerische Engel, der all diese Übel verursacht und dessen himmli­schen Na­men wir nicht kennen, heißt in der menschlichen Sprache  S a t- a n, das ist Verführer; er wird Diabolus – Teufel d. i. der Gestürzte oder Stür­zende genannt; er heißt Dämon, d. i. Geist des Bösen, oft auch Belial, d. i. der Verkehrte und Widerspenstige.“[2]

Manche behaupten, Satan würde noch Hilfs- oder auf neudeutsch: ABM-Kräfte befehligen, zum Beispiel Drachen und anderes Geflügel. Einige dieser Wesen ließen sich gar mit irdischen Frauen ein, die dann Monster gebaren. Gott verlor die Nerven und ertränkte seine missratene Schöpfung. Nur Noah durfte auf einer Arche das Nötigste retten, doch nachdem die Erde wieder bevölkert war, geriet alles wieder in die alten, also in Adams Bahnen. Der alte HERR sah ein, dass aus seinen Ge­schöpfen, wenn er ihnen auch nur die geringsten Freiheiten ließ, kein gottgefäl­liges Volk zu machen war. Und mit dem Wunder des Regenbo­gens besiegelte er schließlich zähneknirschend einen neuen Bund. Das verleitete einige Theologen oder sonstigen Interpreten dazu, Gottes Allmächtigkeit zu be­zweifeln und im Satan einen ebenso starken Gegenspieler zu sehen. Doch Satan, Beel­zebul, Be­lial, Dämo­nenfürst, Diabolus, Fürst der Finsternis, Luzifer, Me­phisto, Sammael, Teufel oder Urian – hinter welchen Namen sie sich auch im­mer zu verbergen trachten – sind unleugbar Gottes ei­gene, wenn auch von ihm abgefallene Ge­schöpfe, die ihm keinesfalls in sym­metrischer Weise gegenüber zu stellen sind. So schickte Gott neben dem Heiligen Geist seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus zur Menschwerdung auf die Erde. Selbst er wurde bald durch den teuf­lischen Satan in Versuchung geführt. „Wer dieser Böse näherhin ist, wie er heißt, woher er stammt, wie er zum Bösen wurde, das alles beschäftigt Jesus nicht; dieses Ge­heimnis des Bösen lässt er bestehen. Nur das eine küm­mert ihn, dass wir von der Herrschaft des Bösen befreit werden (…)!“[3]

Gläubige glauben zu wissen, dass Satan durch das Wirken von Jesus Christus seine Macht grundsätzlich einge­büßt hat. Die Wirklichkeit scheint im aktuellen Zustand weniger heilbringend auszusehen. Allein im ka­tholischen Italien sol­len einer aktuellen Zeitungsnotiz zufolge über 650 satanische Sekten aktiv sein. Das möge schockieren und zum Anlass genommen werden, zur modernen Form des Satanismus überzuleiten, ohne dass hier auf das dunkle Reich der Magier, Ok­kultisten oder anderer obskurer Persönlichkeiten wie zum Beispiel auf den histo­rischen „Faust“ eingegangen werden kann, die alle zwischen den biblischen Zeiten und der Gegenwart wirkten und ebenfalls mit dem Teufel im Bunde ge­standen haben sollen. In aller Kürze nur dies: In der Mitte des 18. Jh. entwi­ckelte sich in höchsten Gesellschaftskrei­sen Europas ein Teufelskult mit blas­phemisch obszönen Ritualen. Madame de Montespan, Geliebte des französi­schen Königs Ludwig XIV., ließ Schwarze Messen abhalten, um die Gunst des Königs wiederzuerlangen. Dabei wurden über einer nackten Frau auf dem Altar Kinder geschlachtet. Spiritistische Séan­cen mit Tischrücken, Pendeln und Geist­befragungen waren hingegen eher ein Gänse­haut hervorrufendes Gesellschafts­spiel. Geisterscheinungen, Mitteilungen Ver­storbener über Medien und andere geheimnisvolle Erscheinungen fanden ein breites Echo.

Eliphas Levi (1810-1875) und Aleister Crowley (1875-1947), der sichMeister Therion nannte, müssen zu den unmittelba­ren Vorläufern moderner Satanisten gezählt werden. Von Levi soll hier nur das Fol­gende zitiert werden: „Wenn der Mensch niemals die Kühnheit gehabt hätte, Gott erschaffen zu wollen, indem er ihm einen Körper gab, hätte er sich dann der Gefahr ausgesetzt, den Teufel zu erschaffen? Haben wir nicht gesagt, dass ein körperlicher Gott notwendiger­weise einen Schatten werfen muss, und dass dieser Schatten Satan ist?“

Von Crowley stammt hingegen:

  1. Der Mensch hat das Recht, nach seinem eigenen Gesetz zu leben – zu le­ben, zu arbeiten, zu spielen, zu ruhen wie er will, zu sterben wann und wie er will.
  2. Der Mensch hat das Recht zu essen was er will, zu trinken was er will, zu wohnen wo er will, zu reisen wie er will auf dem Antlitz der Erde.
  3. Der Mensch hat das Recht, zu denken was er will, zu sagen, zu schreiben was er will, zu zeichnen, malen, schnitzen, ätzen, gestalten und bauen wie er will, sich zu kleiden wie er will.
  4. Der Mensch hat das Recht zu lieben wie er will: – „erfüllt euch nach Wil­len in Liebe, wie ihr wollt, wann, wo und mit wem ihr wollt.“
  5. Der Mensch hat das Recht zu töten diejenigen die ihm diese Rechte zu neh­men suchen. „Die Sklaven sollen dienen.“ – „Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“

Praktisch umgesetzt bedeutete das für Crowley, die traditionelle Moral zuguns­ten eines Lebens als Drogensüchtiger und brutaler Vergewaltiger einzutauschen. („Ich tobe; und ich vergewaltige und ich reiße und zerfetze“ heißt eine Zeile in einem seiner Gedichte. „Tagebuch eines Drogenteufels“nennt ereines seiner Bücher.) Er behauptete, er selber sei das Große Tier 666 und genoss den Titel des „verruchtesten Menschen der Welt“. Er hatte zwei Ehefrauen; beide wurden wahnsinnig. Fünf Geliebte sollen Selbstmord begangen haben und Dutzende seiner Konkubinen sollen als Alkoholikerinnen oder Drogensüchtige in der Gosse oder in Nerven­heilanstalten gelan­det sein. Crowleys Charisma schien sich aus zwei Hauptteilen zu­sammengesetzt zu haben: Er erbte ein Vermögen und bemühte sich durchaus mit einer speziellen Begabung, seltsam zu sein.

Ein Hauptvertreter des modernen Satanismus, dem es neben den „Helden“ der amerikanischen Protest-Bewegung der Beat-Generation gelang, ebenfalls zu ei­ner weltweit bekannten Kultfigur zu werden, war Anton S. LaVey(1930-1997). Er gründete in der Walpurgisnacht 1966 die kalifornische „Church of Satan“, die einen blut- und drogenarmen Satanismus praktizierte, bei dem aus Crow­leys “Tu, was du willst“  „Mach, was dir gefällt“ geworden war. Dazu ge­hören auch Experimente mit Nazi-Ritualen. Die „Church of Satan“ ist in Kali­fornien offiziell als Religion anerkannt worden.

LaVey hatte angeblich georgische, rumänische und elsässische Vorfahren, seine Groß­mutter soll eine transylvanische Zigeunerin gewesen sein. LaVey besuchte die Highschool, brach seine Ausbildung jedoch ab. Er war musikalisch und spielte Klavier, Orgel und Oboe. Als Jugendlicher schloss er sich einem Wan­derzirkus an und war dort der Assistent des Löwendompteurs. Mit 18 wechselte er vom Circus zu einem Jahrmarkt. 1951 heiratete LaVey Diane, sie bekamen zwei Töch­ter; er ernährte seine Familie als Polizeifotograf und durch parapsy­chologisch-okkulte Berichte sowie Fotos für die Zeitschrift „Bizarre“.

Zur Philosophie dieser weltweit kopierten „Religionsgemeinschaft“ gäbe es zu sagen: Satanismus will eigentlich keine Religion sein, sondern ein Le­bensstil. Außerdem glaubt ein gebildeter Satanist nicht wirklich an den Satan wie er in der Bibel steht, da ein Satanist weder Götter noch Götzen haben möchte. Er will das menschliche Dasein zur höchsten Stufe erheben. Im Satanismus steht Satan gewissermaßen als Archetyp für das Selbst und die Macht. Er steht angeblich für alles, was Religionen als „Sünde“ ansehen. Natürlich kommen sie nicht ohne Rituale aus: Es werden „Schwarze Messen“ abgehalten, in denen Schwarze Ma­gie praktiziert wird. Das heißt, man „beein­flusst oder verändert mit seinem Geist und der göttlichen Kraft oder diversen Wesenheiten, die angerufen werden“, wie es in Selbstdarstellungen heißt, „die äußere Realität, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen“. Im Gegensatz zur Wei­ßen Magie versucht sich ein Schwarzmagier Vorteile zu verschaffen, andere Menschen oder Lebewesen zu beherrschen oder ihnen zu schaden. Beispiele hierfür sind: Behexung, Anzaubern verschiedener Krankheiten, Rachezauber, Bestrafung eines Unrechttäters und Totenbeschwö­rung.

Jugendliche werden besonders über harte Rockmusik in das Lager der Sa­tanisten gezogen. Black bzw. Death Metal sind Subgenres, die sich aus dem Heavy Me­tal entwickelt haben, jedoch um ein Vielfaches aggressiver sind. Bands wie: Black Sabbath, Coven, Venom, Slayer oder die mecklenburger Band „Feine Sahne Fischfilet“ demonstrieren in der Öffent­lichkeit ihre satanischen Aus-wüchse in diabolischen Bühnenshows mit aggressi­ver und pro­vokanter Mu-sik; gepaart mit „satani­schen“ Texten, deren Inhalte von krie­geri­schen und antisozialen Tendenzen nur so strotzen.

Durch verschiedene angebliche Er­fah­rungsberichte aus dem Bereich des Sata­nismus inspiriert erreichen die Sektenberatungsstellen immer häufiger Berichte von satanistischen Ritualen, die wahrscheinlich nur in der Vorstel­lung angstbe­setzter Zeit­genossen statt­gefunden haben. Sata­nismus wird zur offenen Bühne für alle bisher ver­drängten Schreckbil­der, eine Bühne, welche die be­drängte Phantasie nun durch angebli­che Berichte legitimiert und ohne selbstkritische Vorbehalte betritt. Es gibt Stimmen, die meinen, dass die Satansfurcht eines du­alistischen Christentums, wo sich der Glaube an Gott notwendig mit dem Glau­ben an den Teufel verbände, dazu beitrüge, dass imaginierter Satanismus nicht als Traum­welt er­kannt würde. Selbst Journalisten und Sektenexperten fiele es schwer, den imaginierten Satanismus als Einbildung zu erken­nen. Oft seien christliche Ab­hand­lungen zum Thema Satanismus mehr ein Kampf mit den ei­genen Schatten als eine Auseinandersetzung mit dem eigent­lichen Thema.

Freilich erfahren wir über die Me­dien von Satanskult-Exzessen, die tödlich aus­gingen, aber da müsste man Statistiken kennen, um Schluss­folgerungen ziehen zu können. Aus einer Diplomarbeit eines Polizeioffi­ziers ging hervor, dass es noch keine genauen Er­fassungen von Delikten gibt, die speziell auf den Einfluss satanistischer Jugendkulte auf die Krimina­litätsstatistiken Auskunft ge­ben könnten.

Der Jugend-Satanismus soll nach den Erfahrungen von Jugendämtern weniger organi­siert sein als die Satanskirchen Erwachsener; er wird in mehr oder weni­ger geheimen „Cli­quen“ betrieben, die oft von einem etwas äl­teren Meister oder Messias geleitet werden. In den Cli­quen kommt es zu Straftaten, zum Beispiel werden Opfertiere (schwarze Kat­zen, Kaninchen, Hühner) gestohlen und auf ei­nem Altar rituell getötet. Es kommen Ge­walt gegen „Abtrünnige“, Vergewalti­gungen und andere sexuelle Übergriffe vor. Selten kam es zu Suiziden und Morden.


Die Zahl satanistischer Jugendgruppen ist also unbekannt, sie sind nicht allzu häufig, tre­ten aber lokal immer wieder auf. Wird bekannt, dass eine solche Cli­que exis­tiert, soll nach Meinung der Polizei und anderer Be­amter unbedingt un­ter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes eingegriffen wer­den. Häufig sollen traumati­sche Erlebnisse eine seelsorgerliche Begleitung er­forderlich machen. Und hier müsste die eigentliche Diskussion erst beginnen. Vielleicht sollte man sich in­tensiver mit Martin Luther und Friedrich Nietzsche auseinandersetzen, dann freilich auch mit Denis de Rougemont und René Gi­rard, um über den Ur­sprung der menschlichen Schattenseiten nachzudenken, desgleichen über die Verdrängung des Teufels aus der modernen Theologie, um vor allem mehr die Provokation zu beachten, die hauptsächlich von selber ernannten Gutmenschen aus­geht; denn im Guten wie im Detail liegt so viel Teuflisches wie auch umge­kehrt. Ist etwas zu sehr in Ordnung geraten, zu sehr vergesell­schaftet, verstaat­licht, bü­rokratisiert und kommerzialisiert, bereitet sich das Chaos mit Gewalt auf einen Ausbruch vor; und erst im katastrophalen Chaos sehnen sich die meisten dann wieder in eine Ordnung, in ein überschaubares und friedliches Leben zu­rück. Aus der Ambivalenz unseres irdischen Lebens wird uns wohl niemand entlassen.


[1]   Spiekermann, Hermann: Die Satanisierung Gottes. In:  Kottsieper, Ingo u. a. (Hrsg.): “Wer ist wie du, Herr, unter den Göttern?” Studien zur Religionsgeschichte Israels. Festschrift Otto Kaiser. Göttingen 1994, S. 444

[2]   Lecanu, A.: Geschichte des Satans. Sein Fall, seine Anhänger, seine Offenbarungen, seine Werke, sein Kampf      gegen Gott und die Menschen, Augsburg 1863, S. 48

[3]   Schnackenburg, Rudolf: Das Problem des Bösen in der Bibel. In: Derselbe (Hrsg.) : Die Macht des Bösen und der Glaube der Kirche. Düsseldorf 1979, S. 31

Über Siegmar Faust 46 Artikel
Siegmar Faust, geboren 1944, studierte Kunsterziehung und Geschichte in Leipzig. Seit Ende der 1980er Jahre ist Faust Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), heute als Kuratoriums-Mitglied. Von 1987 bis 1990 war er Chefredakteur der von der IGFM herausgegebenen Zeitschrift „DDR heute“ sowie Mitherausgeber der Zeitschrift des Brüsewitz-Zentrums, „Christen drüben“. Faust war zeitweise Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V. und arbeitete dort auch als Besucherreferent, ebenso in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er ist aus dem Vorstand des Menschenrechtszentrums ausgetreten und gehört nur noch der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik und der Wolfgang-Hilbig-Gesellschaft an.