„General Motors hat den Autokauf zum patriotischen Akt gemacht“

Dr. Markus Weik, Deutsche Bank

Markus Weik ist Autor des Buches „American Patriotism and Corporate Identity in Automobile Advertising.“ „Tabula Rasa Magazin“ traf den promovierten Amerikanisten in Frankfurt und sprach mit ihm über Trumps Clinch mit General Motors, Patriotismus in der Autoindustrie und amerikanische Grundwerte in der Werbung.

In seiner Rede zum Nationalfeiertag am 4. Juli hat US-Präsident Donald Trump die Automobilindustrie als eine der größten Errungenschaften der Amerikaner hervorgehoben. Auf der anderen Seite macht er keinen Hehl daraus, dass er mit den amerikanischen Herstellern wie General Motors (GM) im Clinch liegt, weil sie immer weniger im eigenen Land produzieren. Wie passt das zusammen?

Der amerikanische Präsident scheint generell multinationale Konzerne nicht zu mögen: Amerikaner sollen seiner Meinung nach lieber von Herstellern kaufen, die im eigenen Land produzieren und damit Arbeitsplätze sichern. Aber so einfach ist das nicht. GM sieht sich schon lange nicht mehr als rein amerikanischer Autobauer. Er ist ein multinationaler Konzern, der einen Großteil seines Geschäfts im Ausland macht – etwa in China. Mich verwundert daher nicht, dass sich Trump mit CEO Mary T. Barra angelegt hat. Sein Vorwurf: Sie solle nicht so undankbar sein, weil der Staat den Konzern 2009 vor der Pleite gerettet hat. Damit hat er meines Erachtens aber auch das kulturelle Band zerschnitten, das seit dem Zweiten Weltkrieg mit General Motors bestand. Denn man darf nicht vergessen, was GM auch alles für Staat, Gesellschaft und Kultur getan hat.

Sie argumentieren in Ihrem Buch, es gebe gemeinsame Interessen zwischen dem Land und General Motors. Woran machen Sie das fest?

Als ich Anfang der 2000er in Ann Arbor, Michigan, lebte, habe ich oft gehört: „What’s Good for General Motors Is Good for the Country“. Das war der Ausgangspunkt meiner Studie. Ich wollte zeigen, dass GM und die USA gemeinsame Interessen verfolgen. Und dass amerikanische Grundwerte wie etwa Patriotismus in der Imagewerbung das Vehikel dafür sind. Die Werbung musste demnach die kulturspezifischen Vorstellungen, Werte und Erwartungen ihrer Zielgruppen aufgreifen, reproduzieren und mit dem Automobil verknüpfen. Ich habe also untersucht, welche textlichen und visuellen Strategien GM in seiner Imagewerbung zwischen 1939 und 2009 einsetzt, um sein amerikanisches Image aufzubauen und zu erhalten.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Das Ergebnis war: GM pflegt bewusst ein patriotisches Image. Das Unternehmen war immer bemüht, das Beste von Amerika in einem Auto zu verkörpern. Die Werbekampagnen folgen einem patriotischen Leitmotiv. Sie stehen durchgängig im Einklang mit amerikanischen Grundwerten und erzeugen selbst neue patriotische Ideen. Die Werbung suggeriert eine affektive Bindung zwischen Land und Produkt und lässt den Autokauf damit nicht nur als patriotischen Akt erscheinen. Diese Verbindung definiert General Motors – vor allem seine Flaggschiff-Marke Chevrolet – auch als amerikanischen Grundwert, der nicht zu bezweifeln ist. Zudem artikuliert sie eine Idee von einem guten Leben in einer guten Gesellschaft. Wer bei GM kauft, ist stolz auf sein Land, die nationalen Errungenschaften und sein Automobil.

Wie muss ich mir das konkret vorstellen? Können Sie Beispiele aus der Werbung nennen?

Natürlich. Die Fusion der Interessen hat ihren Ursprung in der Kriegswerbung. Damals passte GMs Tochterunternehmen Pontiac seinen Markennamen an, indem es das T im Namen durch das Bild der Liberty Bell ersetzt hat. Das Pontiac-Markenlogo und die amerikanische Ikone der Freiheitsglocke verschmelzen damit harmonisch miteinander und schaffen so eine patriotische Identifikation von Automobilhersteller und Land. Von diesem Zeitpunkt an scheinen auch die Interessen der Nation und die Interessen des Autoherstellers miteinander zu verschmelzen. In den 1950ern findet diese Verschmelzung ganz klar über das Thema Reisen statt. Es ermöglichte etwa Chevrolet, amerikanische Grundwerte wie Freiheit und Individualismus aufzugreifen und trug dazu bei, den Urlaub mit dem Auto zu einem kulturellen Ritual zu machen. TV-Moderatorin Dinah Shore wird mit ihrer „Dinah Shore Chevy Show“ und ihrer Werbemelodie „See the USA in the Chevrolet“ schnell gleichbedeutend mit ihrem Sponsor und der Kauf des Chevrolet-Autos zur patriotischen Verpflichtung. Das Versprechen, dass jede Familie nach dem Krieg ein Auto besitzen kann, war damals wie der Griff nach den Sternen für die Amerikaner. In den 1970ern erhebt sich Chevrolet zur amerikanischen Ikone, die unantastbar wird. Der Slogan: „Baseball. Hot Dogs. Apple Pie and Chevrolet.“ Nach den Terroranschlägen von 9/11 steht die Wirtschaft am Abgrund. Präsident Bush bittet den Autohersteller um Hilfe, und GM erfüllt diese Bitte. Das Unternehmen startet die Rabattaktion „Keep America Rolling“ – eine Null-Prozent-Finanzierung für alle Modelle. Die anderen Autohersteller folgen. Der Konsum wird zwar angekurbelt. Langfristig hat aber der Wettlauf über Kampfpreise die Autokonzerne kaputt gemacht, weil sie so kaum noch Geld verdienen konnten.

Da wird die Grenze zwischen Auto-Patriotismus und ökonomischem Nationalismus fließend…?

Richtig. Seit den 1960ern ist das immer mal wieder der Fall gewesen und verläuft nach einem ähnlichen Muster. Dann kommt nämlich der Überlegenheitskomplex zum Tragen: Es wird postuliert, man sei allen ausländischen Herstellern überlegen. Dieser Argumentation zufolge muss die USA vor Importen verteidigt werden – es geht um die nationale Sicherheit. Der Konsument wird zum Helden, denn er trägt mit seinem Kauf eines heimischen Autos zur Bewältigung der nationalen Aufgabe bei. Klingt irgendwie nach Trump. Allerdings gibt es diese Haltung und den protektionistischen Reflex schon sehr viel länger. Das aggressivste Beispiel ist Chevrolets „Deport Your Import“ von 1969, also „Deportiere Dein ausländisches Automobil“. Diese feindliche Haltung war klar gegen die japanischen Importe gerichtet, wenngleich die Nazi-Anspielung gewollt war und unmöglich ist. In den 1980ern war das gemäßigter mit „Pontiac beats the imports at their own game.“ Die Japanophobie hat das sicherlich mit angestachelt. Diese ging sogar so weit, dass US-Bürger Toyotas mit dem Vorschlaghammer zertrümmert haben. In der Rückschau mutet das als verzweifelter „Buy American Appell“ an – genutzt hat es nichts. Heute dominieren die japanischen Hersteller wie Toyota oder Honda den US-Pkw-Markt.

Welche Rolle spielt das Label „Made in the USA“ dann noch bei der Kaufentscheidung, wenn heute immer weniger Autos in Amerika hergestellt werden?

Nur in den USA hergestellt zu sein, reicht nicht mehr aus, um sich den Nationalstolz zu verdienen. Als Gütesiegel und Verkaufsargument spielt der sogenannte Herkunftslandeffekt oder Country-of-Origin-Effect eine immer geringere Rolle. Entsprechend macht Herkunft immer weniger vom Markenimage aus. Wir sehen das ja auch am „Made in Germany“-Label, dessen Wahrnehmung weltweit verblasst, weil sich die Konkurrenzsituation deutlich verschärft hat. Dagegen schätzt man im Ausland unverändert unsere Ingenieurskunst. Aus diesem Grund werben deutsche Firmen, die in den USA produzieren, auch nicht mehr mit „Made in Germany“, sondern mit „Designed“ oder „Engineered in Germany“, wie zum Beispiel Volkswagen mit dem Slogan “That’s the Power of German Engineering.”

Aber was ist dann überhaupt noch ein amerikanisches Auto?

Gute Frage. Was ist noch „As American as apple pie“? Wenn man danach gehen würde, wäre Amerika ganz nach Peter DeLorenzo „Die Vereinigten Staaten von Toyota.“ Also keine Chevrolets, keine Fords: Laut der Highway-Sicherheitsbehörde NHTSA ist das amerikanischste Auto der Toyota Camry. Die Mittelklasselimousine ist zu 75 Prozent amerikanisch und wird in Kentucky montiert. Das Herstellerlabel sagt daher wenig über die Nationalität eines Autos aus. In der öffentlichen und kulturellen Wahrnehmung gelten Pickup Trucks dagegen weiterhin als uramerikanisch. Nicht ohne Grund sind mehr als 70 Prozent aller Fahrzeuge auf den Straßen Pickups und SUV. Allerdings werden auch die absoluten Bestseller Ford F-150 und der Chevrolet Silverado größtenteils im Ausland produziert.

Man sagt: Im Luxussegment gibt es keinen Auto-Patriotismus…

Das sehe ich anders. Nehmen Sie zum Beispiel die Premium-Marke Cadillac. Deren Modelle, allen voran der Luxus-SUV Escalade, wurden mit dem Slogan „Life.Liberty. And the Pursuit.“ beworben. Dieses Motto appelliert klar an die patriotischen Gefühle der Konsumenten, denn es spielt auf die Unabhängigkeitserklärung und die darin vertreten Werte an.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind große Themen unserer Zeit. Gibt es eine Verbindung zwischen Patriotismus und Nachhaltigkeit?

GM hat früh erkannt, dass Nachhaltigkeit positiv für die Reputation sein kann und war damit seiner Zeit weit voraus. Die Tochterfirma Saturn rückte das Thema mit der Werbekampagne „Rethink American“ bereits im Jahr 2007 in den Vordergrund. Damit sollten die Amerikaner ihre Haltung bei Energieversorgung, Heimat und Status überdenken und sich als ressourcenschonende Weltbürger verstehen, die günstigste Hybridautos fahren. Saturn hat die richtige Debatte angestoßen. Diese Auseinandersetzung mit Normen und Werten in der US-Gesellschaft fällt nicht leicht, weil man über Veränderungen von Lebensstil und Gewohnheiten sprechen muss. Das macht niemand gerne freiwillig.

Warum hat sich das nicht früher durchgesetzt? Kann heute die Elektromobilität Werte beeinflussen?

Die Frage ist doch: Was bedeutet der „American Way“ und das damit einhergehende Konzept von Mobilität für die USA und die Welt? Die dominanten Wahrnehmungsmuster konnte man damals nicht brechen. Das wäre zutiefst unamerikanisch gewesen. Wer stellt schon seine eigene Kultur und Identität in Frage? Zudem nehmen die Amerikaner ihre nationale Ikonographie sehr ernst – daran zweifelt man nicht, das wäre unpatriotisch. Und als das Benzin wieder günstig wurde, war es schnell vorbei mit dem „grünen Gewissen“ und den Hybridmodellen. An den Werten und dem Verhalten der Menschen hat sich seitdem nur wenig geändert. Hybridautos und Elektromobilität sind bis heute die Ausnahme, nicht die Norm. Die USA zählen beim E-Auto zwar zu den Vorreitern. Allerdings waren von den 17 Millionen zugelassenen Fahrzeugen im Jahr 2018 gerade mal rund 400.000 E-Fahrzeuge. Das zeigt: Trotz aller Versprechungen der Hersteller sowie politischer und gesellschaftlicher Bemühungen hat das „grüne Auto“ noch nicht wirklich Einzug in die Gesellschaft gehalten.

Losgelöst vom Patriotismus und „America First“-Parolen: Welchen Rat geben Sie GM CEO Mary T. Barra und ihrer Marketingabteilung?

Mary Barra hat 2014 versprochen, keine schlechten Autos mehr zu bauen. Dieses Versprechen sollte sie einlösen – nicht nur im Hinblick auf Sicherheit, Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis. Denn auch die beste Marketingkampagne kann kein schlechtes Auto verkaufen.

Herr Dr. Weik, herzlichen Dank für das Gespräch.

Fragen: Sebastian Sigler 

MARKUS WEIK

Markus Weik studierte Amerikanistik, Anglistik und Sportwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der University of Kansas in Lawrence (USA). Er promovierte in Mainz und arbeitete viele Jahre als Kommunikationsberater, u.a. für die Automobilindustrie. Heute ist er Mediensprecher bei der Deutschen Bank.

Der Siegeszug des Automobils und seine Verknüpfung mit der amerikanischen Kultur sind häufig gewürdigt worden. Weniger beachtet wurden dagegen die kulturspezifischen, wertorientierten Werbestrategien des wichtigsten US-Autobauers General Motors (GM) im Heimatmarkt. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf der Verbindung zwischen GM-Produkten und Amerika sowie den von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vertretenen Grundwerten. Der Autor argumentiert, dass die Werbekampagnen von GM einem patriotischen Leitmotiv folgen und durchgängig im Einklang mit amerikanischen Grundwerten stehen beziehungsweise neue patriotische Ideen generieren. Weik untersucht anhand von Image- und Werbekampagnen des General Motors-Konzerns, welche textlichen und bildlichen Strategien verwendet werden, um das patriotisch-amerikanische Image des Autobauers zu etablieren und aufrecht zu halten. Indirekt bilden die analysierten Werbemittel auch eine Geschichte des Wandels und der Möglichkeiten amerikanischer Werbung ab.

Markus Weik: “American Patriotism and Corporate Identity in Automobile Advertising «What’s Good for General Motors Is Good for the Country and Vice Versa?»”. Peter Lang Verlag, 356 Seiten, 69,95 Euro, ISBN: 978-3-631-77694-0