Der ehemalige Vizepräsident Joe Biden führt in den Vorwahlumfragen der Demokraten. Doch noch ist das Rennen nicht gelaufen, insbesondere wenn sich das linke Lager geschlossen hinter Elisabeth Warren oder Bernie Sanders versammelt. Gelingt den Außenseitern Kamala Harris und Pete Buttigieg noch die Überraschung? Unser Autor Andreas T. Sturm reist momentan durch verschiedene Bundesstaaten und fängt dort die Stimmung ein.
Die aktuellen Vorwahlumfragen
Das amerikanische Vorwahlsystem ist weitaus flexibler als die Praxis deutscher Parteien mit dem Erstzugriffsrecht Parteivorsitzender oder der Nominierung durch die Parteispitze – tatsächlich darf jeder US-Politiker bei den Vorwahlen antreten, der in drei unterschiedlichen landesweiten Umfragen mindestens 1% Unterstützung erhält oder Geldspenden von 65.000$ vorweisen kann. Umfrageergebnisse sind in den USA eine harte Währung.
In den Umfragen der letzten Tage führt der ehemalige Vizepräsident Joe Biden (25-32%) deutlich vor der Senatorin aus Massachusetts Elizabeth Warren (15-16%) und dem Senator aus Vermont Bernie Sanders (12-19%). Kamala Harris, die Senatorin aus Kalifornien, liegt in Schlagdistanz knapp dahinter (11-13%). Die Kandidaten Pete Buttigieg (Bürgermeister von South Bend, Indiana), Beto O’Rourke (ehemaliger Abgeordneter aus Texas), Andrew Yang (Unternehmer) Cory Booker (Senator von New Jersey) und Kirsten Gillibrand (Senatorin aus New York) liegen zwischen einem und fünf Prozent und haben keine Chancen auf die Nominierung, sie könnten aber genau wie Kamala Harris als Running Mate eine Rolle spielen.
Die Umfrageergebnisse sind stark schwankend und traditionell ist die Signalwirkung der ersten Vorwahlen entscheidend. Die erste Vorwahl findet im Januar des Wahljahres in Iowa statt (Iowa Caucus), gefolgt von New Hampshire.
Die Prognose
Joe Biden als ehemaliger Vize-Präsident unter Barack Obama ist sicher der bekannteste Bewerber, er tritt als Elder Statesman auf, er kann die meiste Regierungserfahrung vorweisen und er ist der kleinste gemeinsame Nenner der Demokraten. Der frühere Senator von Delaware scheint der perfekte Kandidat zu sein, doch er wäre bei Amtsantritt mit 78 Jahren der mit Abstand älteste neugewählte Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ebenso ist Biden nicht als erfolgreicher Wahlkämpfer bekannt – ihm haften die schmerzhaften Niederlagen bei seinen Präsidentschaftsbewerbungen 1988 und 2008 an, bei denen er jeweils weniger als 1% der Stimmen auf sich vereinen konnte – eine Tatsache, auf die Präsident Trump bei jeder Gelegenheit hinweist.
Bernie Sanders, der bei den letzten Vorwahlen von einer breiten Unterstützerbewegung getragen, hinter Hillary Clinton Platz zwei belegte, ist mit seiner Agenda bei dem linken Parteiflügel immer noch beliebt. Im Gegensatz zu seiner Außenseiterrolle gegen Hillary Clinton bekommt er diesmal eine Konkurrentin mit einem ähnlichen Programm, Elizabeth Warren. Sanders und Warren sprechen die gleiche demokratische Wählerklientel an, das könnte Joe Biden zur Nominierung verhelfen. Außerdem ist es fraglich, ob die beiden linken Politiker in den entscheidenden Swing States mit der Abschaffung der hohen Krankenkassenbeiträge, dem Kampf gegen den Klimawandel und gegen die wirtschaftliche Ungleichheit punkten können. Sanders wäre bei Amtsantritt mit 79 Jahren noch einmal ein Jahr älter als Biden, die ehemalige Harvard-Professorin Warren ist auch bereits 70 Jahre alt. Die Kontroverse um ihre zweifelhafte indianische Herkunft (Trump nennt sie verächtlich »Pocahontas«) und Vorstöße wie eine Millionärssteuer (womit der Swing State Florida fast automatisch an Trump gehen würde), lassen Zweifel aufkommen, ob sie im Wahlkampf gegen Donald Trump bestehen könnte. Zumindest in den Primaries geht es nun darum, wie strategisch die beiden Lager denken: Wenn Sanders oder Warren frühzeitig ihren Ausstieg aus den Vorwahlen erklären und eine Wahlempfehlung für den anderen Linkspolitiker abgeben würden, könnte Joe Biden ernsthaft in Bedrängnis geraten und dem Politiker, der zurückgezogen hat, ein Ministeramt verschaffen.
Die Überraschungskandidaten
Bereits letzten Sommer habe ich Kamala Harris bei »The European« als demokratische Hoffnungsträgerin bezeichnet. Harris ist eine talentierte, rhetorisch starke, charismatische und zielstrebige Politikerin. Als Generalbundesanwältin in Kalifornien hat sich Harris einen Namen gemacht. Obwohl sie die Einführung einer staatlichen Krankenversicherung befürwortet, ist sie vielen Demokraten nicht links genug.
Pete Buttigieg, der Bürgermeister der Stadt South Bend in Indiana, ist mit 37 Jahren der jüngste Bewerber und kann im Gegensatz zu anderen Kandidaten keine Erfahrung als Kongressabgeordneter vorweisen. Doch er ist der Geheimtipp, spätestens als Running Mate: Militärdienst in Afghanistan, populärer demokratischer Politiker im konservativen Indiana und rhetorisch mitreißend. Buttigieg könnte als Vize-Kandidat als Gegengewicht zu einem linken Präsidentschaftskandidat fungieren. Zudem ist Buttigieg kein Vertreter des Washingtoner Establishments, ein Alleinstellungsmerkmal bei den Demokraten und der Wunsch vieler Wähler.
Wenn Joe Biden die Vorwahlen gewinnt, wäre er gut beraten, Kamala Harris oder Pete Buttigieg als Running Mate auszuwählen, bei einer Kandidatin Elizabeth Warren würde neben Buttigieg selbst der Medienerprobte Senator von New Jersey Cory Booker eine denkbare Option sein.
Endgegner Trump
Die Anstrengungen der Vorwahlen sind nicht vergleichbar mit der Intensität des Wahlkampfs gegen Präsident Trump. Es ist deshalb nicht entscheidend, welche Bewerber bei der demokratischen Mitte-Links-Klientel gut ankommen, sondern welche die tendenziell konservative Bevölkerung ansprechen – insbesondere in den Swing States.
Donald Trumps Beliebtheitswerte sind nicht gut. In Umfragen der letzten zwei Wochen des Instituts Emerson führte er zwar gegen Warren, Harris und Buttigieg mit zwei Prozentpunkten, lag aber gegen Sanders mit zwei Prozent und gegen Biden mit sechs Prozent zurück. Aktuellere Umfragen sehen Biden (mit 9%), Warren (mit 5%), Sanders (mit 7%) und Harris (mit 1%) vor Trump. Es wird spannend zu sehen sein, inwiefern die Auseinandersetzung Trumps mit vier weiblichen Kongressabgeordneten mit Migrationshintergrund eine Rolle spielen wird. Trump hatte ihnen per Twitter nahegelegt, zurückzukehren woher sie gekommen sind, da sie unpatriotisch seien.
Bevor die Demokraten verfrüht feiern: Es gab bereits einige Situationen im Wahljahr 2016, bei denen sie Trump aus dem Rennen sahen. Ebenso gab es seit Trumps Amtseinführung ein ums andere Mal laute Stimmen, die ein kurz bevorstehendes Ende seiner Präsidentschaft verkündeten. Alles Schall und Rauch.
Ungeachtet der irreführenden landesweiten Umfragen: Gewählt wird in den einzelnen Staaten. Hillary Clintons Vorsprung von 2,8 Millionen Stimmen bei der Präsidentschaftswahl 2016 hat gezeigt, dass die Wahl in den Swing States entschieden wird. Donald Trumps Zustimmung bei der republikanischen Wählerklientel ist überwältigend und seine Zustimmung in den Swing States (gerade in Florida) dürfte den Demokraten Sorgen bereiten. In Gesprächen mit Amerikanern zeigt sich, dass selbst wenn sie Trump persönlich nicht sympathisch finden, die guten Wirtschaftszahlen für sich sprechen. Von daher wird ein ganz entscheidender Aspekt sein, wie die Wirtschaftslage Anfang November 2020 sein wird. Gerade gestern sagte mir ein Wechselwähler ohne Parteibindung: »Wieso sollten sich die Sympathiewerte von Donald Trump in den letzten drei Jahren verändert haben? Jeder wusste vor der Wahl was er nach der Wahl bekommt. Dass er aber die Wirtschaft in Gang bekommt, im Ausland amerikanische Interessen vertritt und keinen Krieg beginnt, das hat er nun bewiesen.« Donald Trump geht als Titelverteidiger in den Ring, die Bundesstaaten, die er letztes Mal gewonnen hat, muss man ihm erst einmal nehmen. Es wird für jeden demokratischen Kandidaten ein turbulenter und rauer Wahlkampf werden. Und ein spannender bis zur letzten Minute.