Warum das Internet nicht unsterblich macht

Spuren im Schnee, Foto: Stefan Groß

Wer hofft nicht auf Unsterblichkeit, auf das ewige Leben? Es bleibt seit Menschheitsgedenken ein Traum. Seit dem Rauswurf aus dem Paradies hat sich der Mensch bei der Vermessung seiner zeitlichen Individualität diesen zur Signatur seiner Existenz gemacht. Platon sah die Unsterblichkeit der Seele als Katharsis von aller materiellen Endlichkeit und der Grieche Plotin die intellektuelle Ekstasis als ein Eins-mit-Gott-Werden. Ägyptische Pharaonen bauten gigantische Pyramiden als Zeichen ihrer Unendlichkeit und der erste chinesische Kaiser, Qin Shihuangdi, errichtete als Megaprojekt seiner Erinnerungskultur die chinesische Mauer. Alexander der Große gründete ein bis dahin nie gekanntes Weltreich und die Massenvernichtungsmaschine Adolf Hitler hatte mit seinem Architekten Speer den gigantischen Traum von der Welthauptstadt „Germania“. Selbst der französische Präsident François Mitterand hinterließ als futuristisches Erbe seine Megabauprojekte in Paris. Die Spuren mit Unendlichkeitsanspruch waren und sind vielfältiger Natur. Ob in der Kunst, auf dem Schlachtfeld oder in der Literatur – mit all seinen Kulturschöpfungen wollte der Mensch im Gedächtnis der Nachwelt bleiben, im Bewusstsein von Generationen verankert, weiterleben.

War es bei den Griechen die unsterbliche Seele, bei den Christen die Auferstehung samt Jüngstem Gericht oder bei vielen anderen Religionen der Gedanke der Reinkarnation – unsterblich wollten sie alle sein oder zumindest werden. Göttergleich wähnte sich der Mensch, wenngleich er, so lehrt es auch das Gilgamesch-Epos, einsehen muss, dass Unsterblichkeit nur den Göttern gegeben ist. Doch an dieser Festung rüttelt der Mensch seit ihm die Vernunft die Gabe gegeben hat, Unendliches zu denken und die Möglichkeit, unendlich und ewig zu werden. 

Der Wunsch das Leben zu verlängern, nährt seit Urzeiten das endliche Bewusstsein, ist Motor und zugleich Triebkraft unserer Zivilisation. Medizinischer und technischer Fortschritt bleiben probate Erfolgsgehilfen der Unsterblichkeitshoffnung, laborgetestete Wunderdrogen, Vitamine und Antioxidantien gelten als ultimative Lebensverlängerer.

Neue Formen der Unsterblichkeitshoffnung

Die Faszinationskraft der Unsterblichkeit hat auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrem Geltungsanspruch eingebüßt; mehr denn je scheint der Mensch im Machbarkeitswahn angekommen und arbeitet intensiver an seiner Unsterblichkeit. Ob Kryonik, die Kryokonservierung von Organismen oder einzelnen Organen, oder Transhumanismus, Cyborg oder Mind-Uploading, die neue Vision der Unsterblichkeit ist die Maschine, die das Leben zu verlängern, zu verbessern oder eben auf Unendlichkeitskurs zu bringen sucht. Die neue Identität dabei ist die digitale. Sei es Facebook, Twitter und Co, die virtuelle Unsterblichkeit scheint für jeden gewöhnlich Sterblichen mit Händen greifbar. Tote bleiben via Facebook lebendig, wenn ihre Accounts nicht abgeschaltet werden, digitale Bestatter wie Asset Lock, Deathswitch und Legacy Locker kümmern sich dann um das digitale Erbe. Die Plattform Stayalive.com ist sogar das Portal für digitale Unsterblichkeit und wirbt dafür, „sich oder Ihre verstorbenen Lieben digital unsterblich – auf dem Online Friedhof“ zu machen.

Der Futurologe Ian Pearson prophezeit für das Jahr 2050 bereits die digitale Unsterblichkeit, denn dann sei es möglich, „den Geist auf eine Maschine zu laden, sodass der körperliche Tod kein wirkliches Problem“ mehr ist.

Die mediale Inszenierung

War es früher allein der Elite gegeben, sich Nachruhm auf Jahrhunderte zu sichern, gehört im Zeitalter des Internets der digitale Fußabdruck zum universalen Erbe des Einzelnen. Das Internet wird zu Historie subjektiver Selbstinszenierung, hier hofft der gewöhnlich Sterbliche, unsterblich zu werden. Denn wer nicht durch Glück oder gar Anstand zu politischen Ehren gekommen ist, wer nicht mit 18 schon parteilich engagiert war, wem die große Stimme versagt, wer schauspielerisch nur mittelmäßig und wem das Schicksal nur eine durchschnittliche Intelligenz verliehen hat, dem stehen zumindest im Zeitalter des Internets die Tore der der medialen Unsterblichkeit weit offen.

Die Möglichkeiten der digitalen Selbstinszenierung sind gigantisch

Jenseits von Rampenlicht und Bühne, jenseits von Parteitag und Bundeskanzleramt kann sich der Einzelne medial entfalten und ins glänzende Licht stellen. Ob auf Instagram oder per Twitter, ob auf einer eigenen Webseite oder im Blog – die Möglichkeiten, einen Abdruck in der Geschichte zu hinterlassen, die digitale Unsterblichkeit zu erreichen, sind immens.

Doch so sehr Internet und Cloud zu Hoffnungsträgern der Unsterblichkeit mit fast religiösem Geltungsanspruch geworden sind, so gigantisch diese Welt mit Informationen gefüttert wird, so gilt doch umgekehrt: je mehr Menschen sich interaktiv verewigen zu suchen, je quantitativer die Menge von Informationen wird, die um die Erde schießen, bei all dieser Flut von Daten droht der Einzelne doch wieder im medialen Vergessen unterzugehen, wird zu einer bloßen Randnotiz der gigantischen Maschinerie. Dahin ist seine Unsterblichkeit, seine Selbstdefinition durch Likes und Google-Rankings, sein Stolz – gewachsen aus dem Egosurfing.    

Das Internet frisst seine Kinder

Radiosendungen werden regelmäßig gelöscht, Zeitungen wie die HuffPost verschwinden und mit ihr alle Autoren und Inhalte, Verlage löschen ihre Bildarchive und Texte, weil die Datenmengen zu groß geworden sind, Webseiten ziehen um und verlieren damit ihre Relevanz für die Selbstinszenierung, anonyme Algorithmen bestimmen willkürlich die Suchauswahl und unliebsame Autoren und Kommentare werden dem Vergessen durch eine immer breiter wachsende Zensur preisgegeben und sogar nunmehr von Facebook den Justizbehörden gemeldet; das Internet verschlingt also die Identitäten wie es diese gezeugt hat; es ist aus Effizienzgründen eben nicht nur ein Identitätserzeuger, sondern ebenso ein Vernichter.

Das Internet als Klimakiller

Und auch um die Ökobilanz des Internets steht es nicht gut, es ist der Klimakiller schlechthin. Allein in Deutschland werden 33 Millionen Tonnen CO2-Emissionen jährlich durch das Web freigesetzt. So verbrauchen die Rechenzentren in Frankfurt mehr Energie als der Flughafen und mit 20 Google-Suchanfragen brennt eine Energiesparlampe mindestens eine Stunde lang. 2020 wird allein die Internet- und Telekommunikationstechnik in Deutschland ein Fünftel des gesamten Stromverbrauchs für sich vereinnahmen. Jenseits vom vielgescholtenen Diesel als Sündenbock und dem ebenso umweltunfreundlichen Batterie-Elektro-Auto ist das Internet zur Umweltfalle geworden und der Carbon footprint, der CO2-Fußabdruck, steigt ins Unermessliche. Doch ein Surfverbot gibt es bislang nicht.

Aber vielleicht wird, sollten die Grünen tatsächlich an die Macht kommen, einer der größten Umweltverschmutzer, das Internet, wieder abgeschaltet, limitiert, gar verboten – oder wie in China frisiert, um die Eindimensionalität der politischen Wahrheit nicht zu gefährden. Dann ist es endgültig dahin mit dem digitalen Fußabdruck. Was einzig bleibt, sind Bücher – und wer sein Leben nicht zwischen zwei Umschläge gepresst hat, verliert endgültig seine Identität. Wer also auf Nachhaltigkeit und mögliche Unsterblichkeit setzt, der sollte ein gutes Buch schreiben, aber selbst das ist kein Garant, Jahrhunderte zu überleben! Zur Unsterblichkeit trägt das Netz nichts bei, aber es frisst unsere Zeit, die wir lieber für unsere Mitmenschen, für Solidarität, Nächstenliebe und Miteinander investieren sollten, anstatt uns selbst zu wichtig zu nehmen.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".