„Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, hatte einst Goethe geschrieben. Und dieser Goethe war ein Mensch offenen Auges. Und diese Art des Schauens, der empirisch-detaillierte Blick, die Wachheit der Anschauung, das Erarbeitete in Form zu gießen, ist sicherlich eine Maxime einer Frau, die nicht nur den Blick, den Aus- und Augenblick sich zum Beruf erwählte, sondern die die Dinge, die Phänomene, in ihrer Kleinheit, Abwägigkeit, in ihrem bloßen Vorübereilen zeitlebens mit ihren Augen aufsaugte. Ja, zum „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“ – dies mag vielleicht ein Geheimnis ihres künstlerischen Schaffens sein, die Welt in ihrer Fülle als Wunderhorn in sich abzubilden, um aus dem Reichtum des Erlebten, den großen Raum der Darstellung zu betreten. Doch dieser Raum, diese Welt der Bildenden Kunst, erobert sie sich leise, als Dilettant, oder wie sie gerne sagt, als jemand, dessen Anspruch es nicht ist, die Welt zu verändern, zu revolutionieren, sondern für die Kunst ein rein subjektiver Ausdruck individuellen Schaffens und eines unmittelbaren Glückserlebens bleibt. Gerade aber dieser Diletantismus als Selbstanspruch und Selbstaufgabe und Grenze, kommt nicht manieriert entgegen, vielmehr eklektisch und dennoch aus dem Spurwasser einer persönlichen langen Lebenserfahrung, die nicht ohne Zweifel, Selbstzweifel war. Deswegen hat sie auch lange gehadert, überhaupt auszustellen.
Ihren Blick auf die Welt, transformiert sie wechselvoll, er bestimmt sich nicht als Schema, das zugrunde liegt, sondern der als Akt oder Ereignis beflügelt. Thematisch schwenkt sie dabei sowohl ins transzendent-Religiöse quasi als Gottessucherin, aber auch die Alltäglichkeit vermittelt sich in ihren Kreidebilden, in seinem Hier- und So sein, das sich ebenso lebendig wie farbenfreudig materialisiert, sei es im Geschlecht als Hort und Quelle des Lebens, sei es im Harlekin als dem Offenbarer verschlossener Wahrheiten, seien es die verkreuzten, parallelen oder sich annährenden Wege zwischen Mann und Frau.
Dabei variieren die Augenblicke! Mal sind sie gegenständlich naturell, mal mystisch-verklärend, mal realistisch, mal abstrakt. Bei allem Wechsel des Sujets sucht sie aber nicht nach der Regel der Kunst, sondern es ist das Ereignis selbst, das ihre Kunst gebiert, für das diese steht. Das Augenblickhafte manifestiert sich zugleich als Stimmungsbild, zugleich aber auch als eine Ars inveniendi, einer Kunst also, die versucht die Welt zu übersteigen, Reales und Imaginäres, Wirklichkeit und Ideal miteinander zu synthetisieren. So wirken ihre Kreidezeichnungen wie aus der Zeit gefallen, und illustrieren doch immer wieder Zeitgeschichte. Sie sind Geschöpfe religiösen Glaubens wie Produkte einer lebendigen Welterfahrung, die das Universum, die Zerrissenheit, die Sehnsucht und den Tatendrang einer Rentnerin im Unruhestand spiegeln. Und seit sie Rentnerin ist, arbeitet sie viel seltener, aber ein bisschen farbenfroher und heiterer
Für den Betrachter bleiben sie Spuren, die er aufgreifen oder verwerfen kann, Bruchstücke, ein Glasperlenspiel des Lebens, Spuren eines Lebens, das in der Kunst auch, wie es Jean Paul formulierte, nicht das Brot, sondern den Wein des Lebens findet.
Ihre Bilder sind insofern postmodern, weil sie Andeutungen bleiben, weil sie den Betrachter dazu auffordern, einzutreten, und wie formulierte es einst Christoph Schlingensief: „Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor etwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können“.