Lou Andreas-Salomé und ihre Beziehung zu Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud

Rose im Schlossgarten von Mersburg, Foto: Stefan Groß

Lou Andreas-Salomé – eine außergewöhnliche und begehrte Frau in der europäischen Moderne

Lou Andreas-Salomé (1861 – 1937) war in vielfacher Hinsicht eine außergewöhnliche Frau. Als einzige Tochter und Liebling eines adeligen russischen Generals wurde sie in Sankt Petersburg bzw. Leningrad geboren. Zu ihrer Geburt ließ der Zar die Glocken läuten. Viel Beachtung und Aufmerksamkeit erhielt sie also schon zu Beginn ihres Lebens. Symbolisch war und blieb sie eine Prinzessin. Viele Männer verehrten und begehrten sie. Ihre Schönheit und erotische Ausstrahlung faszinierte sie. Mehrere verheiratete Männer wollten ihretwegen ihre Familie verlassen. Doch sie lehnte diese Avancen ab und blieb trotz ihres Begehrt-Seins lange Jungfrau. Ihre große Faszination galt dem Geistigen. Schon als Jugendliche erhielt sie Philosophieunterricht. Ihr Philosophielehrer war der Theologe und protestantische Pastor Hendrik Gillot. Er stammte aus den Niederlanden, war Pastor der niederländischen Gesandtschaft und gleichzeitig Hauslehrer der Kinder des Zaren. Er brachte Lou die Philosophie von Kant, Kierkegaard, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Fichte, Spinoza und Schopenhauer nahe. Im Haus der Familie Salomé wurden drei Sprachen gesprochen: Deutsch, Französisch und Russisch. Schließlich war sie eine der ersten Frauen Europas, die Philosophie und Theologie studierte. Ihr Philosophieprofessor Biedermann von der Universität Zürich war von ihrer Klugheit begeistert. Im Jahr 1886 ließ sie sich zu einer Heirat erpressen. Der Privatgelehrte, Orientalist und Philosoph Friedrich Carl Andreas lernte sie in Berlin kennen und machte ihr einen Heiratsantrag. Sie lehnte diesen wie andere vergleichbare Heiratsanträge ab. Sie hatte früher schon ihren Philosophielehrer Hendrik Gillot und die Philosophen Friedrich Nietzsche und Paul Rée mit ihren Heiratsanträgen zurückgewiesen. Doch Andreas verblüffte sie: Er zog unvermittelt ein Messer aus seiner Aktentasche und stieß dieses in seine Herzgegend. Er wäre fast verblutet. Lou Andreas-Salomé war so überwältigt und überrascht, dass sie schließlich – weiterhin hoch ambivalent – in die Heirat einwilligte. Sie stellte jedoch die Bedingung, dass die Beziehung platonisch bleiben müsse und es zu keinen sexuellen Aktivitäten kommt. Mit Andreas blieb sie bis zu dessen Tod im Jahre 1930 verheiratet. Die Ehe dauerte also 43 Jahre. Treu geblieben ist sie ihrem Ehemann in dieser Zeit nicht.

Präsent in allen europäischen Metropolen

Lou Andreas-Salomé kannte sehr viele berühmte Persönlichkeiten. Sie wohnte zeitweise in fast allen europäischen Metropolen. In Sankt Petersburg wurde sie geboren und ist dort aufgewachsen. In Zürich studierte sie Philosophie und Theologie. In Rom lernte sie Friedrich Nietzsche kennen. Rainer Maria Rilke wurde ihr Liebespartner und sie lebte mit ihm in München und Berlin. Durch mehrere Reisen nach Paris, London und Stockholm wurde sie mit vielen europäischen Schriftstellern bekannt. In Wien schließlich lernte sie im Jahr 1912 Sigmund Freud persönlich kennen, dessen Vertraute sie bis zu ihrem Tod blieb. Mit Freud hatte Lou Andreas-Salomé einen geistigen Vater gefunden, der sie forderte und gleichzeitig gebunden hat. Die rastlose Suche hatte ein Ende. Sie wurde Psychoanalytikerin und schrieb psychoanalytische Aufsätze. Mit zahlreichen Psychoanalytikern hatte sie intensiven fachlichen Austausch. Trotz ihrer langjährigen Ehe wurde sie Geliebte von mehreren jüngeren Psychoanalytikern. Ihr „erotisches Beuteschema“ hatte sich wohl gewandelt. In den ersten Jahrzehnten waren es wesentlich ältere gebildete Männer, von denen sie begehrt wurde oder denen sie „den Kopf verdrehte“. Nach der Eheschließung mit Friedrich Carl Andreas waren ihre Geliebten meist wesentlich jünger als sie. Als sie beispielsweise Rainer Maria Rilke kennenlernte, war sie fast doppelt so alt wie er. All ihre Liebespartner waren geistig sehr gebildet, Akademiker, Philosophen oder Psychoanalytiker.

Heiratsanträge von Friedrich Nietzsche

Auf einer Reise nach Rom im Jahr 1882 lernte sie den Philosophen Friedrich Nietzsche kennen. Dieser begehrte sie von Anfang an. Ihre Schönheit und Ausstrahlung, verbunden mit umfassender philosophischer Bildung und selbstbewusstem Denken faszinierten Nietzsche. Er lobte sie mit den Worten, sie sei „scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe“. Der mit Nietzsche befreundete Philosoph Paul Rée war ebenfalls in Lou Andreas-Salome verliebt. Diese „Ménage à trois“ – geprägt durch wechselseitige Freundschaft und Faszination – funktionierte eine Zeitlang als „philosophische Wohngemeinschaft“. Als jedoch Friedrich Nietzsche einen Schritt weiterging und Lou einen Heiratsantrag machte, verloren alle ihr Gleichgewicht. Lou war zu dieser Zeit noch sexuell unerfahren und lehnte sofort ab – wie bei anderen Heiratsanträgen zuvor auch. Nietzsche war tief gekränkt. Die Dreiecksbeziehung der beiden Philosophen und Lou wankte. Schließlich stiftete Nietzsches Schwester Elisabeth zusätzlich erhebliche Verwirrungen. Es kam bald zu einem Bruch. Die Liebe schlug in Hass um. Zuletzt beschimpfte Nietzsche Lou mit den Worten: „Dieses dürre schmutzige übelriechende Äffchen, mit ihren falschen Brüsten – ein Verhängnis!“

Beziehung mit Rainer Maria Rilke

Im Jahr 1897 lernten sich Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke in München kennen.  Sie war damals fast doppelt so alt wie er. Sie war damals 36 Jahre alt, er 21 Jahre. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung begann. Wunderschöne Liebesgedichte und Liebesbriefe sind durch diese Beziehung entstanden. Erfreulicherweise sind sie der Nachwelt erhalten geblieben. Rilke und Lou machten eine Russlandreise und besuchten Leo Tolstoi. Die Liebesbeziehung wurde zunehmend ambivalent. Rilke war zu schwach und wankelmütig, Lou zu selbstbewusst. Schließlich drängte Lou auf die Beendigung der Liebesbeziehung. Der Briefwechsel zwischen Lou und Rilke dauerte weiter an. Sie blieb seine „mütterliche Vertraute“ bis zu seinem Tod im Jahre 1926. Rilke war sein ganzes Leben umgeben von unterstützenden und gönnerhaften „Mutter-Figuren“. Als er an Leukämie erkrankte, schrieb er Lou bis kurz vor seinem Tod noch Briefe.

Lebenslange Freundschaft mit Sigmund Freud

Mit Sigmund Freud trat ein „geistiger Fixstern“, ein Kompass und eine geistige Heimat in das Leben von Lou Andreas-Salomé. Im Jahr 1912 fand in Wien die erste Begegnung statt. Daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft. Lou Andreas-Salome wurde Mitglied der Psychoanalytischen Gesellschaft und hatte intensiven geistigen Austausch mit vielen namhaften Psychoanalytikern. Das starke Band jedoch war die enge Vertrauensbeziehung zu Sigmund Freud. In allen Werken über die Frauen um Sigmund Freud erscheinen Lou Andreas-Salomé und Marie Bonaparte als die wichtigsten. Anfangs war auch Helene Deutsch sehr bedeutsam für Freud. Sie emigrierte jedoch frühzeitig mit ihrem Ehemann Felix Deutsch in die USA. Vom Jahr 1921 an lebte Lou Andreas-Salomé in einer engen Freundschaft mit Freuds Tochter Anna. Beide hatten einen sehr umfangreichen Briefwechsel, der in Buchform erschienen ist.

Über jeden der drei großen Männer schrieb Lou ein Buch

Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud waren die drei großen geistigen Titanen im Leben von Lou Andreas-Salomé: Friedrich Nietzsche – der große Philosoph, Rainer Maria Rilke – der berühmte Dichter und Sigmund Freud – der Begründer der Psychoanalyse. In der Epoche zwischen 1880 und 1930 waren diese drei Namen in Europa mit Ruhm gesegnet. Lou Andreas-Salomé als „geistige Frau“ war Wegbegleiterin dieser drei großen Männer. Sie kannte ihr Wesen, wie sie als Mensch waren und sie war interessierte Kennerin der Werke dieser drei Männer. Über alle drei hat sie ein Buch geschrieben, in der Chronologie ihres eigenen Lebens und der Beziehung zu diesen Männern. Bereits im Jahr 1894 erschien eine Werkbiographie über Nietzsche mit dem Titel „Friedrich Nietzsche in seinen Werken“. Das Buch war lange Zeit richtungsweisend und fand auch in der philosophischen Fachwelt Anerkennung. Nach dem Tod Rilkes folgte 1928 das Buch „Rainer Maria Rilke. Buch des Gedenkens.“ Im Jahr 1931 schrieb sie „Mein Dank an Freud. Offener Brief an Professor Freud zu seinem 75. Geburtstag.“ Schließlich ist posthum nach Lou Andreas-Salomés Tod ihr „Freud-Tagebuch“ erschienen mit dem Titel „In der Schule bei Freud. Tagebuch eines Jahres, 1912/13.“ Dieser Band wurde von ihrem Nachlassverwalter und späteren Wegbegleiter Ernst Pfeiffer im Jahr 1958 herausgegeben.

Literatur:

Werke von Lou Andreas-Salomé über Nietzsche, Rilke und Freud:

Friedrich Nietzsche in seinen Werken. Wien 1894

Rainer Maria Rilke. Buch des Gedenkens. Leipzig 1928

Mein Dank an Freud. Offener Brief an Professor Freud zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag. Wien 1931

In der Schule bei Freud. Tagebuch eines Jahres, 1912/13, hg. von Ernst Pfeiffer, Zürich, Max Niehans, 1958

Briefwechsel:

Rainer Maria Rilke/Lou Andreas-Salomé. Briefwechsel, Zürich und Wiesbaden 1952 Sigmund Freud/Lou Andreas-Salomé. Briefwechsel, hg. von Ernst Pfeiffer, Frankfurt/Main 1966, 2. überarb. Aufl. 1980

Lou Andreas-Salomé-Anna Freud. „… als käm ich heim zu Vater und Schwester“. Briefwechsel 1919-1937, 2 Bände. Hrsg. von D.A. Rothe und I. Weber. Göttingen, Wallstein, 2001

Weiterführende Literatur:

Andreas-Salomé, L., Lebensrückblick. Grundriß einiger Lebenserinnerungen. Hg. von Ernst Pfeiffer, Zürich 1951

Ross, W., Lou Andreas-Salomé. Weggefährtin von Nietzsche, Rilke und Freud. Corso bei Siedler, Berlin, 1992

Salber, L., Lou Andreas-Salomé. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1990

Wieder, Ch., Die Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé. Ihr Werk im Spannungsfeld zwischen Sigmund Freud und Rainer Maria Rilke. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef          

Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Zentrum für Innere Medizin

Medizinische Klinik und Poliklinik II

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.