Exzellente Wissenschaft in und für Europa

Schafe auf der Weide, Foto: Stefan Groß

„Exzellent“ – geschrieben trotz permanenter Rechtschreibreformen derzeit mit „z“, nicht wie noch zu Goethes Zeiten mit „c“   – gehört zu jenen Vokabeln, mit denen der Sprecher – oder heute mehr die Sprecherin – signalisiert,  eine anspruchsvollere Diktion zu pflegen als die lieben Kollegen und/oder Konkurrentinnen. Auch in politisch-medialen Debatten ist die Vokabel zuweilen gebräuchlich, wenn etwa die  Leistungen (performances) von Ministerinnen wie Ursula von der Leyen oder von deren  unlängst  entlassenen, langjährig für die Beschaffung exzellenter Rüstungsgüter zuständigen Staatsekretärin Katrin Suder zu beurteilen sind. „Exzellent“ klingt vornehmer, gebildeter als die grünen Gebrauchsvokabeln „toll“ oder „finde ich irgendwie total gut“.

Ob ihrer Leistungen als  Bezirksstadträtin für Bildung, sodann als Bürgermeisterin im Berliner „Problembezirk“ Neukölln – wer erinnert sich noch an ihren so tatkräftigen wie illusionslosen Vorgänger Heinz Bukowsky? –  genießt Franziska Giffey einen guten, in den Augen ihrer Genossinnen und Genossen einen exzellenten Ruf. Dank ihrer Bewährung an der Problemfront gelangte Giffey ins Amt der Familienministerin (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)  im vierten Kabinett Merkel. Mutmaßlich erfüllt sie dort  ihre Aufgaben – nicht zuletzt im gesetzlich erweiterten Begriffsfeld „Familie“   –  zu „vollster Zufriedenheit“ (Terminus für „gute“ Leistungen in Arbeitszeugnissen)  ihrer Kanzlerin.

Kritische Worte, hässliche Bemerkungen, läppische Witzchen über Giffey waren im Berliner Politbetrieb bis dato nicht zu hören. Seit ein paar Tagen ist das anders. Die CDU-Vorsitzende und prospektive Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer nimmt Anstoß an Giffeys mit deren Politlaufbahn verquickten akademischen Leistung. Anno 2009 war Giffey als Dozentin an der Verwaltungsakademie Berlin tätig, außerdem Europabeauftragte des Bezirks Neukölln. Zugleich schrieb sie an einer Dissertation zum Thema „Europas Weg zum Bürger – die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“ – im Blick auf die olympischen Aspekte europäischer Politik und die nur von populistischer Propaganda beklagten („hochgepuschten“) demokratischen Defizite der EU ein grundlegend wichtiges Forschungsthema. Drei Monate, nachdem Giffey (verh.) ihren Sohn zu Welt brachte, reichte sie ihre Dissertation am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin ein.

Die digitale Revolution hat als neuen Unternehmenszweig die Durchleuchtung von wissenschaftlichen Forschungsarbeiten hervorgebracht. Eines davon ist die auf Plagiate spezialisierte Internet-Plattform „Vroniplag“ (Etymologie fragwürdig). Ob Vroniplag aus reinem Wissenschaftsethos heraus am Ruin von politischen Titelträgern (sc. -innen) arbeitet oder aus materiellem Interesse in diesem Bereich unternehmerisch tätig geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Jedenfalls stieß „Vroniplag“ in Giffeys wissenschaftlichem Werk auf zahlreiche Passagen (angeblich auf jeder dritten Seite), die den Kriterien streng wissenschaftlicher Arbeit nicht entsprechen.

An diesem Punkt akademischen Streits überschneiden sich Wissenschaft und Politik. Da in früheren Fällen (Karl-Theodor von und zu Guttenberg, CSU, sowie Annette Schavan, CDU) sich die politischen Gegner (SPD, Grüne etc.) die Chance zur akademischen Desavouierung der Konkurrenz nicht entgehen ließ, beschwört nun Kramp-Karrenbauer die Einhaltung der Maßstäbe strenger Wissenschaft für die SPD-Ministerin Giffey. Im Volksmund ist derlei bekannt als „Retourkutsche“.

Was immer der wissenschaftliche Wert der besagten Dissertation,  die Aufregung um Giffeys Promotion hat noch einen realen politischen, nicht nur wissenschaftspolitischen Aspekt. Es geht um den von FUB, HUB und TUB  erstrebten Exzellenzstatus, der die drei Berliner Universitäten aus dem minderrangigen Einerlei der deutschen Universitätslandschaft herausheben soll. Die politisch – auch europapolitisch – erhellenden Details der Affäre entnehmen wir der FAZ: „Die Doktormutter Giffeys, die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Tanja A. Börzel, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, bei Giffeys Dissertation  allzu großzügig verfahren zu sein und mögliche Plagiate nicht genau geprüft zu haben. Pikanterweise ist sie amtierende Direktorin des Exzellenzzentrums „The EU and its citizens“ und Sprecherin des neuen Exzellenzclusters „Contestations of the Liberal Script“, also unmittelbar mit dem Verfahren verbunden.“ („Ohne Ansehen der Person“, in: FAZ v. 14.o3.2019, S. 3).

Quelle: Herbert Ammon

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Herbert Ammon (Studienrat a.D.) ist Historiker und Publizist. Bis 2003 lehrte er Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin. Seine Publikationen erscheinen hauptsächlich auf GlobKult (dort auch sein Blog https://herbert-ammon.blogspot.com/), auf Die Achse des Guten sowie Tichys Einblick.