Der Aufstand von Kronstadt 1921 – Wie die Sowjetmacht ein Blutbad anrichtete

Der Aufstand 1921 der Matrosen von Kronstadt gegen die Sowjetherrschaft unter Lenin und Trotzki in der russischen Hauptstadt Petersburg war weit mehr als nur eine lokale Erhebung gegen die Willkür subalterner Funktionäre. Was hier, drei Jahre nach dem Bürgerkrieg 1917/20, von der Führung der Kommunistischen Partei gegen die aufbegehrende Bevölkerung exekutiert wurde, lief nach einem Aktionsmuster ab, mit dem fortan alle Aufstände in der Sowjetunion wie nach 1945 im Ostblock überhaupt niedergeschlagen und im Blut erstickt wurden, vom Aufstand des 17. Juni 1953 über den Ungarnaufstand 1956 bis zum „Prager Frühling“ 1968.

Russland war um die Jahreswende 1920/21 ausgeblutet und ausgehungert. Die kriegsmüde und darbende Bevölkerung war höchst unzufrieden mit ihrer immer aussichtsloser werdenden Situation, was sich allein auf dem Lande in 118 Bauernaufständen äußerte. Die Unruhe bemächtigte sich auch der „Baltischen Flotte“ Sowjetrusslands, die in Kronstadt, auf einer vorgelagerten Insel im Finnischen Meerbusen, stationiert war und deren Angehörige aus dem Aufstand gegen den Zarismus 1905/06 über revolutionäre Erfahrung verfügten. Die „roten Matrosen“ von Kronstadt hatten die Sowjetmacht seit 1917 unterstützt, jetzt mussten sie ohnmächtig mitansehen, wie Nahrungsmittel requiriert und oppositionelle Regungen harsch verfolgt wurden. Allein in Kronstadt, der „Hochburg der Revolution“, traten im Januar 1921 aus Protest gegen die bolschewistische Politik 5000 Matrosen aus der Partei aus.

Als am 24. Februar in Petersburg ein Streik ausbrach, solidarisierten sich die Besatzungen der Kriegsschiffe „Petropawlowsk“ und „Sewastopol“ mit den um ihre Rechte kämpfenden Arbeitern und schickte am 1. März eine Delegation von 30 Parteilosen nach Petersburg, die freilich sofort verhaftet wurde und spurlos verschwand. Am 2. März wurde den Kronstädtern von Lenin und Trotzki „Meuterei“ vorgeworfen, am 4. März sprachen sie von einer „gegenrevolutionären Erhebung“, am 5. März folgte Trotzkis Ultimatum, sich zu unterwerfen, und am 7. März der Beschuss der Stadt mit Artillerie. Am 16. März wurde Kronstadt zur See von drei Seiten angegriffen, am 17. März bekam der Befehlshaber der „Roten Armee“ vor Kronstadt die Vollmacht, „die meuternde Stadt zu reinigen.“

Das erfolgte so gründlich, dass Nacht für Nacht Massenerschießungen stattfanden! Selbst Gefangene, die schon in Gefängnisse eingeliefert waren, um abgeurteilt zu werden, wurden exekutiert. Hunderte von Kronstädtern, die übers Eis nach Finnland hatten entkommen können, wurden unter Vorwänden zurückgelockt, dann erschossen oder nach Sibirien verschleppt. Der Aufstand, der am 28. Februar begonnen hatte, war am 18. März mit äußerster Grausamkeit niedergeschlagen worden!

Die humanitären Forderungen der Aufständischen gingen kaum über das hinaus, was das Existenzminimum ausmachte! Man hungerte, man fror, und man wehrte sich dagegen. Die „arrogante Haltung der Regierung“, so der Zeitzeuge Alexander Berkman, zeigte sich darin, dass die Arbeiter und Matrosen als „Verräter der Revolution“ beschimpft und ihr Aufstand als „Komplott der Menschewiki und Sozialrevolutionäre“ denunziert wurden. Wer gegen Lenin und Trotzki aufbegehrte, galt als „Klassenfeind“, dem die Essensrationen entzogen wurden, so dass er dem Hungertod preisgegeben war. Zu Dutzenden wurden in Kronstädter Wohnungen erfrorene und verhungerte Arbeiter gefunden.

Was sich hier abspielte, war „lediglich“ eine Vorform dessen, was Stalin, Lenins gelehriger Schüler, 1929/30 mit den drei Millionen russischen Großbauern anrichtete, die „als Klasse ausgerottet“ werden sollten. Ein halbe Million von ihnen wurde erschossen, der Rest nach Sibirien „umgesiedelt“ oder, nach Beschlagnahme ihrer Getreideernten, dem nackten Hungertod ausgeliefert.

Diese tödliche Spannung zwischen den Arbeitern und ihren berechtigten Forderungen und den angeblichen Arbeitervertretern, der neuen Kaste der Parteifunktionäre, der „Nomenklatura“, die heute schon im Kommunismus lebten, denen das Schicksal der Arbeiter höchst gleichgültig war und die mit allen Mitteln um die Erhaltung ihrer Machtpositionen kämpfte, auch mit tausendfachem Mord, zieht sich seit 1921 durch die Geschichte der Sowjetunion bis zu ihrem schmählichen Ende am 21. Dezember 1991.

In seinem „Tagebuch aus der russischen Revolution 1920-1922“ (Untertitel), das unter dem Titel „Der bolschewistische Mythos“ (1925) erschienen ist, beschrieb Alexander Berkman den Untergang des Kronstädter Aufstands: „7. März – Kronstadt wird angegriffen! Tage des Schmerzes unter Kanonendonner! Mein Herz ist vor Verzweiflung wie betäubt, etwas in mir ist abgestorben… 17. März – Heute ist Kronstadt gefallen. Tausende von Matrosen und Arbeitern liegen dort tot in den Straßen. Massenhinrichtungen von Gefangenen und Geiseln gehen weiter…18. März – Die Sieger feiern den Jahrestag der Pariser Kommune von 1871. Trotzki und Sinowjew verurteilen Thiers und Gallifet für das Massaker an den Pariser Aufständischen…“.

Über Jörg Bernhard Bilke 261 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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