Der Papst war da und hat Ärgernis gegeben. Er hat sich bei den protestantisch fortgeschrittenen Katholiken nicht dafür entschuldigt, daß er katholisch ist und bleiben möchte. Das ist schon ein starkes Stück. Er hat nicht die Erwartungen erfüllt, die von Zölibatsgegnern, Homosexuellen- und Frauenverbänden, von rätedemokratischen Kirchenvertretern via Massenmedien seit langem laut erschallen.
Nicht einmal auf das Ansinnen des Herrn Bundespräsidenten, der von „Brüchen“ sprach, wenn es um Ehebrüche geht, ist der Papst eingegangen. Mit dem Hinweis auf Barmherzigkeit lassen sich biblische Normen nicht aushebeln.
Und wer unwürdig die Heilige Kommunion empfängt, der „ißt und trinkt sich das Gericht“, sagt das Evangelium, an das man auch einen katholischen Politiker mal erinnern darf. An die Geschichte mit dem notorischen Ehebrecher und Mörder Heinrich VIII. läßt sich die Anglikanische Kirche nicht gerne erinnern. Übrigens hätte wohl kaum einer unserer Papstkritiker der englischen Queen, die immer noch Oberhaupt ihrer Kirche ist, eine Rede vor dem deutschen Parlament untersagt. Auch nicht dem Dalai Lama, der, besonders in Hessen, als politischer Religionsführer missionarisch unterwegs ist.
Wichtig am Papstbesuch war also zunächst einmal das, was er nicht gesagt hat, worauf er nicht eingegangen ist. Er ist nicht auf das eingegangen, was man hierzulande am meisten von ihm erwartete, nämlich auf einen „Dialogprozeß“, der alles offenläßt und zur Verhandlungssache erklärt. Zumal das Wort „eingehen“ in der deutschen Sprache auch „zugrunde gehen“ bedeuten kann, was ja keine sinnvolle Perspektive für einen Glauben eröffnet, der einen Wahrheits- und Geltungsanspruch erhebt. Man kann sich von diesem Anspruch ergreifen lassen – oder man läßt es bleiben. Nicht einmal der Papst ist so souverän und unfehlbar, daß er das Evangelium und die kirchliche Tradition außer Kraft setzen könnte.
Die säkulare Öffentlichkeit, also die überwiegende Anzahl der Printmedien und der Fernsehanstalten, ist in Deutschland fest in der Hand von Leuten, denen jede festgefügte christliche Glaubensgemeinschaft zuwider ist. Von diesen späten Gralshütern der Aufklärung konnte man natürlich keinen freundlichen Empfang des Papstes erwarten. Erschwerend hinzu kommt die traditionelle Los-von-Rom-Bewegung, die seit der Reformation den nationalen Protestantismus kennzeichnet und gelegentlich auch auf die katholische Kirche übergreift. Die Polemik gegen die „Ultramontanen“ kennen wir besonders seit den Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts und dem Kirchenkampf der Nazis. Manche Forderungen unseres modernen Reformkatholizismus wirken wie ein fernes Echo, haben aber einen hohen antiquarischen Wert.
Im übrigen neigen die heutigen Deutschen nicht zum Enthusiasmus. Die „Berufskatholiken“ unter ihnen können wenigstens noch Papstreisen einigermaßen glatt organisieren. Eine Begeisterung für den Papst werden sie in Abhängigkeit von den säkularen Medien nicht mehr artikulieren können. Die öffentlichrechtlichen Anstalten haben die päpstlichen Ereignisse zwar gut dokumentiert, waren aber in ihren Kommentaren nicht selten inkompetent und gehässig. Den Vogel abgeschossen hat in Sachen Inkompetenz und Gehässigkeit der Chefredakteur des ZDF, der dem „Zentralkomitee“ der deutschen Katholiken angehört.
Aber es gibt eine subversive Art von volkskirchlichem Glauben, der sich von der zeitgeistbeflissenen Propaganda nicht einschüchtern läßt. Daß der Papst die überspannten Erwartungen vieler nicht erfüllt hat, unterstreicht die Bedeutung dessen, was er gesagt hat. Manche erwarteten erbauliche Aussagen über europäische finanzpolitische Rettungsschirme und dergleichen. Stattdessen konzentrierte der Papst die Aufmerksamkeit der Parlamentarier auf das, was wesentlich ist. Wesentlich in der Demokratie ist nicht das formale Mehrheitsprinzip, sondern das Natur- und Menschenrecht. An dieser Frage hängt die Legitimation einer Demokratie, die immer stärker angezweifelt wird. Somit gewinnt das Naturrechtsdenken der katholischen Soziallehre eine aktuelle Bedeutung, die in der akademischen Theologie neu zu bedenken wäre.
Vor der Papstreise wurden Stichworte wie „Blockbildung“ oder gar „Kirchenspaltung“ ausgegeben. Innerkirchlich unterschiedliche Strömungen hat es immer gegeben. Dazu sind ja die Hirten der Kirche da, daß sie feindselige Blockbildungen auflösen und das Auseinanderdriften verhindern. Das ist ja gerade die Aufgabe einer innerkirchlichen Ökumene, die sich nicht in permanenten, in sich kreisenden Dialogen und Strukturfragen erschöpft. Das eigentliche Problem liegt aber – wie immer – tiefer: Es ist die Frage nach dem inzwischen weithin ausgedünnten Glauben an Gott. Wir haben es mit einem massenhaften Glaubensabfall zu tun, mit einem eklatanten Mangel an Erlösungsbedürftigkeit. Der Papst hat ein Missionsgebiet betreten, als er nach Deutschland kam. Und er hat den christlichen Missionsauftrag eindringlich wahrgenommen, ohne aufdringlich zu sein.
In seiner Freiburger Rede ging es dem Papst um die Glaubwürdigkeit einer Ortskirche, die allzu stark in weltliche Dinge verstrickt ist. Es geht um die Freiheit einer Kirche, die sich allzu sehr hat einbinden lassen in politische, wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeiten. Wo diese Abhängigkeiten dem Verkündigungsauftrag im Wege stehen, müssen sie aufgelöst werden. Das bedeutet „Entweltlichung“. Ob dazu auch der Abschied vom deutschen Kirchensteuersystem gehört? Wer nicht zahlen will, wird exkommuniziert? Die glaubwürdige Lebens- und Wirkungsform der Kirche darf nicht von ihrem öffentlichrechtlichen Status oder anderen Privilegien abhängen. Ein unangenehmes Dialogthema.
Manche Bischöfe haben es ja gelernt, sehr freizügig „mit Texten umzugehen“, die von Rom kommen. Adressaten der Papstreden waren nicht allein Bischöfe und Priester, sondern alle Gläubigen. Sogar die Nichtgläubigen durften sich angesprochen fühlen. Mir scheint, viele einfache Gläubige haben den Papst besser verstanden als manche Theologen und Berufskatholiken. Freilich hat uns der Papst einige Nüsse zum Knacken hinterlassen. Dazu gehören vor allem das Programm der „Entweltlichung“ und die veruntreute Naturrechtstradition.
(C)-Vermerk: Die Neue Ordnung, 5/2011 Oktober
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