Richard Wagner und die Theologie: Eine Tagung des Richard Wagner Verbandes International und des Richard Wagner Verbandes München im Schloss Fürstenried

Parsifal B. Fritz Zaubermädchen c) W. Hösl

Einen schöneren Ort als das barocke Schloss im Südwesten von München hätte man für diese Veranstaltung nicht auswählen können. In diesem „Biotop des Glaubens“, einem Ort für Exerzitien, Meditation und christliche Bildung, referierten sechs namhafte Wissenschaftler ausgerechnet über einen Künstler, der als Atheist gilt und in seinem Spätwerk mit seiner Kunst der Religion Konkurrenz machen wollte.Während sein „Sternenfreund“ Nietzsche Gott sterben ließ, belebte der Bühnenmensch Wagner die germanischen Götter, blieb aber, was die Religion betrifft, bei seiner christozentrischen Perspektive.

Der Komponist, der an die 3000 Briefe und sämtliche Libretti selber schrieb, der unzählige Seiten mit seinen theoretischen Schriften füllte, war auch ein fanatischer Leser und Intellektueller. Seine Lektüre reichte von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit, denn er gehörte zu der Generation von Komponisten, deren musikalische Innovationen  wesentlich auf literarische Quellen zurückzuführen sind. Die sind speziell im „Parsifal“ vielfältig und öffnen  gerade nach jüngeren Ergebnissen der Wagner- Forschung den Blick auf die von Schopenhauer inspirierte  Vorliebe des Komponisten für Indien.

Wagner war ein Kombinationsgenie und hat in seine „Arbeit am Mythos“, der bei ihm für alle Zeit „wahr“ ist, auch christliche Rituale und Gebete einbezogen. Halleluja, Chorgesang, Lobpreisung und Mariengebet, Wagner verstand es, diese Rituale zwecks Ausdruckssteigerung geschickt in seine Werke zu integrieren, was Dr. Piontek, Journalist und Dramaturg aus Bayreuth mit zahlreichen Beispielen belegte. Man denke nur an das berühmte Schlussgebet im „Rienzi“, in dem es eigentlich um politische Probleme geht. Außer dem Kardinal Raimondi in dieser Oper lässt Wagner in seinen Werken keine kirchlichen Repräsentanten auftreten, denn der Kirche stand er äußerst kritisch und ablehnend gegenüber, scheute aber nicht davor zurück, sich den Abendmahlsritus für den „Parsifal“ gründlich von einem Pater erklären zu lassen.

In seinem Vortrag „Kunst als Religionsersatz?“ bot der Jurist und Historiker Dr. Bernd Rill aus München einen umfassenden kulturgeschichtlichen Überblick von der Aufklärung bis zu Schopenhauer, von der Antike bis zu Nietzsche und schließlich zu  Wagner, dessen „Kunstreligion“ ohne die  Einflüsse der  frühen Romantik nur unvollständig zu erklären ist.  Bei Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck wird die Kunst derart nahe an die Religion heran gerückt, „dass sie schon fast als Religionsersatz bezeichnet werden kann“, so der Referent. Die „Kunstfrömmigkeit“ der Romantiker und ihre Poetisierung realer Phänomene, die Idealisierung des Mittelalters bis zur Ästhetisierung der Religion  im Überschwang prägen einen Wagner nachhaltig. Bereits in der Antike war der Künstler „als göttlich inspiriert wahrgenommen worden“ ergänzt Rill, aber erst  durch die „Säkularisierungsfeldzüge“ der europäischen Aufklärung und das entstandene Vakuum an Sinngebung konnte sich bis in die Romantik hinein und darüber hinaus die Sicht auf die Kunst derart radikalisieren. „Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“, schrieb Friedrich Nietzsche. Auch in  der Lektüre von Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“  fand Wagner sich aufgehoben, vor allem „die Musik als Ausdruck des Weltwillens“ traf bei ihm auf offene Ohren. Den tiefen Pessimismus des Philosophen teilte er dagegen nicht. Stattdessen dominierte gegen Ende von Wagners Lebens eine Art Privatreligion, die er in seinem Essay „Religion und Kunst“ von 1880 und dann im „Parsifal“ auf die Bühne brachte: „Man  könnte sagen, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole … ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“

Der „Kern der Religion“, was meinte Wagner damit? 

Sein „allerchristlichstes Werk“ – so Wagner selbst -, der „Parsifal“, dieses schillernde Spätwerk, das seit seiner Uraufführung 1882 in Bayreuth die Gemüter erregte, die Wissenschaftler bis heute beschäftigt und auf  den Bühnen der ganzen Welt nach wie vor gerne aufgeführt wird, stand folglich im Mittelpunkt der Tagung. Außerdem  bestand die  Möglichkeit, als krönenden Abschluss der Tagung den „Parsifal“ in der Inszenierung von Pierre Audi in der Bayerischen Staatsoper zu besuchen.

Wie christlich ist der „Parsifal“ wirklich, und wie hat Wagner selbst sein Werk inszeniert? Diese Fragen stellte sich der Theater-, Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker Dr. Oswald Georg Bauer, langjähriger Mitarbeiter von Wolfgang Wagner in Bayreuth. Was Wagner da 1882 sechs Jahre  nach dem „Ring“ auf die Bühne brachte und seine Frau Cosima als „Hochamt“ bezeichnete, wirkte nach Bauer wie ein Narkotikum auf die Zuschauer, deren kritischer Teil von einer „gotteslästerlichen Parodie“ sprach. Statt Oper ein Mysterium, statt Religion Kunst! Das „Bühnenweihfestspiel“ mit  Wagners Dauerthema der „Erlösung“, das Nietzsche als „Kniefall vor dem Kreuz“ ablehnte, ist trotz aller sakralen Elemente die Schöpfung eines Künstlers, der geschickt auf ein „Frissonnement“ (modern: „Gänsehautfeeling“) bei seinem Publikum aus war. Mit dem Begriff der Religion und der Weihe sei Wagner, der die Kunst als „Lebensheiland“ bezeichnete, sehr freizügig umgegangen, meinte der Referent, und der Versuch, Kunst und Religion wie im antiken Theater zu vereinen, sei gescheitert. Als gescheitert im Sinn von „allerchristlich“ (Wagners Superlative!) sieht Bauer auch die Inszenierung der Uraufführung, die, weil sie vom „Meister“ selber war, von Cosima bis ins 20. Jahrhundert gerettet und erst 1934 durch eine Neuinszenierung ersetzt wurde. Der Pomp auf der Bühne habe seiner Meinung nach den Kern, nämlich das Mitleidsethos des Werkes überdeckt, was Bauer  mit zahlreichen Abbildungen in Erinnerung rief. Parsifal war christusgleich wie auf Gemälden der Nazarener dargestellt, obwohl Wagner behauptet hatte, an Christus „gar nicht gedacht zu haben“. Bauer sprach von der „Pseudoreligiosität“ auf der Bühne, der suggestiven Wirkung der Inszenierung mit Mitteln der Synästhesie und einem Raum-Klang-Wunder, aus dem der Bayreuth-Kult erst entstehen konnte.

Von „Wallfahrten“ nach Bayreuth wird ja bis in unsere Tage trotz allen Entrümpelungsversuchen auf der Bühne und in den Köpfen der Verantwortlichen gesprochen. Bereits in den beiden Neuinszenierungen von Wolfgang Wagner aus den Jahren  1975 und vor allem 1989 mit der radikalen Umdeutung der Gralsidee, die der Referent Bauer wohl begleitet hat, wurde in Bayreuth der Weg frei gemacht  für eigenständiges und kritisches Regietheater: Politik statt Religion, Entmystifizierung statt heiliger Schauer und Weihe-Zauber.

Was hat Isoldes Liebestod mit dem Nirwana zu tun, und was die schillernde Figur der Kundry im „Parsifal“ mit dem Buddhismus? In zwei sich ergänzenden Vorträgen gingen Dr. Danielle Buschinger/Amiens und Dr. Ulrike Kienzle/Frankfurt der Frage nach, was Wagner am Buddhismus fasziniert hatte, aus welchen Quellen er schöpfte und welche Einflüsse in seinen Dramen erkennbar sind. Nach der intensiven Lektüre von Schopenhauers Hauptwerk mit seiner Mitleidsethik bekannte Wagner „unwillkürlich zum Buddhisten geworden“ zu sein. Die Verneinung des Willens und der Ethos des Mitleids hatten einen empfindlichen Nerv getroffen, sodass er dieser Spur mit der Lektüre indologischer Bücher nachging. In französischer Sprache las er die „Einführung in die Geschichte des Buddhismus“ des Indologen Eugène Burnouf aus dem Jahr 1844. Tief beeindruckt von den Erzählungen, die dieses Buch enthielt, skizzierte er 1856 sein buddhistisches Drama „Die Sieger“, das ihn bis 1882 nicht losließ. Wolfram von Eschenbachs Epos vom Parsifal und dem Gral hatte ihn schon lange beschäftigt, und in die  Entstehungszeit von Wagners letztem Werk fiel auch die Lektüre von Ernest Renans Hauptwerk „Vie de Jésus“ (1863 erschienen). Sollte sich da nicht in Wagners Dramenkonzept Buddhistisches mit Christlichem mischen? Auf den Synkretismus im „Parsifal“ legte folglich die Professorin für Germanistik Danielle Buschinger den Schwerpunkt in ihrem Vortrag. Kundry wird immer wieder neu geboren, um eine Sünde zu sühnen, zum Schluss kann sie im Nichts erlöschen. Ihr Vorbild ist Prakriti, eine Frauenfigur aus den „Siegern“, die durch Leiden und Entsagung erlöst wird. Zeigt nicht auch Parsifal Züge Buddhas oder Anandas aus den „Siegern“? Mittelalterliche Quellen  verschmelzen mit denen des Buddhismus, und die Qualen der Liebe und des Verlangens lösen sich durch Entsagung und universales Mitleid auf. Buddha und Parsifal, beide sind „Erlöste“, nur Parsifal ist Erlöser zugleich.

Die Sprach- und Musikwissenschaftlerin  Ulrike Kienzle unterscheidet die Erlösung Buddhas durch Erkenntnis von Christi Erlösung durch Leiden. Buddhistisches trete im „Parsifal“  zurück zugunsten der christlichen Elemente, wenn auch die Figur der Kundry mit ihren Seelenwanderungen  eindeutig von Indien inspiriert sei. Parsifals Entwicklung vom „reinen Tor“ zum durch Mitleid Wissenden, sein  beschwerlicher und langer Weg bis zur Erlösung gleicht zwar annähernd dem des „Erwachten“, doch das ferne indische Ideal tritt hinter dem christlichen Ethos zurück. Kienzle ging ausführlich auf Wagners Weg von Schopenhauer zum Buddhismus und dessen Grundgedanken ein und machte Lust auf die Lektüre ihrer zahlreichen Veröffentlichungen.

Wenn Isolde am Ende des „Tristan“ von „des Weltatems wehendem All“ singt, in dem sie zu ertrinken und zu versinken scheint, scheint das drängende Begehren der Liebe im Nirwana herrlich zu erlöschen, und so klingt es auch in Wagners Musik. Mit wenigen Klangbeispielen auch aus dem „Parsifal“ gelang es Ulrike Kienzle das „tönende Nirwana“ erfahrbar zu machen. „Die Musik ist die eigentliche Sprache Richard Wagners“, betonte sie, und wer wollte der  Referentin da widersprechen ?

Dem Verfahren Wagners, seinen Werken auf der Ebene der Wörter Bedeutung zu verschaffen, ging der Philologe Dr. Oswald Panagl aus Salzburg nach. Wagners Hang zum Großen drückte sich auch in Superlativen in der Sprache aus, und sein Erfindungsgeist schuf neue Wörter oder gab anderen eine neue Bedeutung. Er gab seinen Protagonisten „sprechende Namen“ wie „Herzeleide“ (ihr brach das Herz) oder „Kundry“ (sie bringt wichtige Kunde), „Wehwalt“ oder „Frohwalt“ und  arbeitete mit Gegensätzen oder Synonymen,  Im „Parsifal“ reduzierte er nicht nur den Stab- und Endreim zugunsten des sakralen Charakters des Werks, sondern erzeugte mitunter durch das Versiegen der Sprache eine andere Art von Askese und Erlöschen. Schließlich entließ Parnagl seine Zuhörer mit Auszügen aus dem Parsifal-Libretto zur eigenen Bearbeitung und Anwendung der neu gewonnenen  Erkenntnisse.

Nicht durch Bühnenpomp sondern nur durch die Musik bekam dann der ein oder andere  Tagungsteilnehmer in der Bayerischen Staatsoper doch noch eine Gänsehaut. So fein differenziert wie unter dem Dirigat von Kiril Petrenko hatte man die Parsifal-Musik selten gehört. Von dem stimmschönen Gesang begleitet  „erzählte“ das Orchester von  Andacht, Leiden, Versuchung, Entsagung und Erlösung, und in den reinen Orchesterpassgen  türmten sich die Notenberge mitunter mächtig auf.  Die Regie von Pierre Audi wollte keine neue Bedeutsamkeit schaffen, und Georg Baselitz als Bühnenbildner stellte zwar im dritten Akt den Gralswald auf den Kopf, ließ aber eher eine unerwartete Zurückhaltung walten.

Besser konnte eine überaus informierende und bereichernde Tagung nicht enden.

Alle Fotos © Wilfried Hösl

BAYERISCHE STAATSOPER

Über Sylvia Hüggelmeier 34 Artikel
Sylvia Hüggelmeier studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Publizistik und Pädagogik an den Universitäten Münster/Westfalen und München. Seit 1988 schreibt sie als Freie Journalistin für verschiedene Zeitungen.