Warum keiner in Berlin leben will. Ein Lobgesang auf das Landleben

Berlin, Siegessäule, Foto: Stefan Groß

„Ich will nicht nach Berlin“. Mit dieser Zeile nahm einst die Band „Kraftklub“ aus Chemnitz die um sich greifende Hauptstadt-Begeisterung der Hippster auf die Schippe. Auch dem Autor dieser Zeilen wäre es nach Wehrdienst und Studium erst mal nicht in den Sinn gekommen, wieder in die „Provinz“ zurückzukehren. Das Kapitel Arnsberg und Sauerland schien bis auf gelegentliche Wochenendbesuche abgeschlossen zu sein.

Doch nach inzwischen 28 Jahren in Bonn und zehn beruflichen Jahren in Remscheid – immerhin NRW’s kleinste Großstadt – hat sich das geändert. Es geht dabei gar nicht um sentimentale Heimat-Begeisterung oder Landleben-Kitsch. Es stellt sich vielmehr die Frage, woran der vermeintliche Reiz der Großstadt liegen soll. Ich befinde mich jeden Tag zwei Stunden auf der Autobahn von Bonn nach Remscheid und retour. Im Sauerland könnte ich entspannt durch wunderschöne Landschaften fahren. Jetzt „genieße“ ich den Stau bei Köln, Leverkusen oder sonstwo. Will man ihm entgehen, lohnt es sich erst, gegen 19.30 Uhr aufzubrechen, um dann eine Stunde später „zuhause“ zu sein.

Wunderschöne Landschaften oder Stau auf der A 3

Die ohne Zweifel größeren kulturellen Angebote (Oper, Museen, Kino, Buchhandlungen etc.) der Großstadt könnte ich genauso gut genießen, wenn ich auf dem Land lebte und ein Mal pro Woche in eine x-beliebige Großstadt führe. Denn welcher Großstadtbewohner nutzt das reichhaltige kulturelle Angebot denn wirklich? Die meisten bewegen sich doch nicht außerhalb ihres Kiezes und sind nach dem täglichen Verkehrschaos und der Parkplatzsuche abends froh, auf dem Sofa eine Serie zu sehen. Das kann ich aber in Neheim-Hüsten genauso gut wie in Dortmund.

Es ist an der Zeit, Vorurteile gegenüber bestimmten Regionen wie dem Sauerland abzubauen. Nur Ignoranten halten die dort lebenden Menschen für beschränkte Bauern, die allerhöchstens mal beim Schützenfest die „Sau rauslassen“.  In einem Buch mit dem Titel „Sauerlandität“ lässt sich nun studieren, was das Sauerland zur Marke macht.

Das Wort „Sauerlandität“ wirkt auf den ersten Blick sperrig. Vielleicht kommt einem der Begriff „Diät“ in den Sinn. Was könnte eine sauerländische Diät sein? Vielleicht ein frischgezapftes Veltins aus Grevenstein zu einer „Dicken Sauerländer Bockwurst“ aus dem Hause Metten? Mit dem Titel „Sauerlandität“ wecken die Macher dieses prachtvoll gestalteten Bandes die Neugier des Lesers. Es geht im Kern um eine Verbindung von Sauerland und Identität. Ein ungewöhnliches Buch will ein neues Bild des Sauerlandes zeichnen und erklären, was das Sauerland zur Marke macht.

Manche Zeitgenossen begegnen dem Sauerland mit einer Mischung aus Herablassung und Unkenntnis. Dabei ist das „Land der tausend Berge“ nicht nur eine wunderschöne Urlaubsregion – es gehört zu den Top-Drei-Regionen in NRW -, sondern zugleich das starke Herz von Südwestfalen, der drittstärksten Wirtschaftsregion in Deutschland.

„Noch immer gilt: Die Zahl der Industriearbeitsplätze in Südwestfalen pro 100.000 Einwohner ist höher als im Ruhrgebiet“, schreibt der in Brilon geborene Friedrich Merz in seinem Beitrag für diesen Band. Nicht nur Land- und Forstwirtschaft sowie Tourismus prägen die Region, sondern eine Vielzahl von kleinen, mittleren und großen Industrieunternehmen.

Ein neues Bild des Sauerlandes


Im Sauerland tragen Unternehmer Verantwortung für ihre Mitarbeiter, für ihre Firmen und auch für ihre Region. Und so ist der Herausgeber von „Sauerlandität“ auch die Unternehmervereinigung „Sauerland Initiativ“. Auf 192 Seiten wird die Identität des Sauerlandes fassbar. Die Heimat wird anhand der Kapitel Lebensort, Industrie, Bauen und Design, Kultur, Kulinarik und Genuss, Gesundheit, Sport und „Wieder da“ beschrieben.

Sauerländer sind beharrlich, bodenständig und verlässlich. Darin ähneln sie den Bayern, wie Walter Mennekes, Vorstandsmitglied von „Sauerland Initiativ“, in seinem Editorial schreibt. Und wie die Bayern Laptop und Lederhose mühelos verbinden, ist das Sauerland ebenfalls nicht von gestern. „Smart Home, Smart Lighting, Smart Mobility – das sind nur drei Zukunftstechnologien, in denen die Sauerländer ganz vorne mitspielen“, so der Geschäftsführende Gesellschafter der Mennekes Elektrotechnik GmbH & Co. KG.

„Land der tausend Berge“ und Zukunftstechnologien


Auch optisch geht das Buch ungewöhnliche Wege. Kein Hochglanz-Cover, sondern solide, unlackierte Graupappe mit einer Ausstanzung der Sauerland-Silhouette auf dem Buchdeckel stellt eine Reminiszenz an die metallverarbeitende Industrie der Region dar.

Die Herausforderung der Zukunft wird darin bestehen, dass genügend Fachkräfte im Sauerland verbleiben oder nach dem Studium oder einer Ausbildung wieder zurück ins Sauerland kommen. Klar, die Region hat keine Metropole. Dafür viel wunderschöne Natur, funktionierende Vereine, eine intakte Nachbarschaft und starke Unternehmen. Anhand explodierender Mieten und Lebenshaltungskosten in den Großstädten und dem drohenden Verkehrsinfarkt in den Metropolen könnte die Stunde des Sauerlandes durchaus auch noch für die schlagen, die sich bisher als überzeugte Großstadtbewohner gesehen haben.

Sauerland Initiativ e. V. (Herausgeber): Sauerlandität. Was das Sauerland zur Marke macht.
Verlag Seltmann + Söhne, Berlin 2018. 192 Seiten. 35 Euro. ISBN 978-3-946688-47-1.

Über Ansgar Lange 22 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.