Nein, ich habe mir das inszenierte Getöse auf dem CDU-Parteitag in Hamburg – laut Zeitungsbericht wieder mal fast zehn Minuten SED-mäßiger Applaus für Merkel – nicht angesehen noch angehört, sondern abgewartet, was dabei herauskommt. Herauskam die knappe Mehrheit für Annegret Kramp-Karrenbauer. Zu deren Kür nun doch noch ein Eingeständnis: am späten Freitagabend – nach einer nicht übermäßig informativen Reportage über das staatlich indirekt finanzierte Vordringen Chinas durch Investitionen auf dem deutschen Markt – guckte ich mir für ein oder zwei Minuten Kramp-Karrenbauers Auftritt vor den 999 Delegierten an. Inhaltlich nichts Neues – nichts, was auf eine politische Wende zum Besseren schließen lassen könnte -, kaum mehr als die alllseits bekannten polit-rhetorischen Versatzstücke und die entsprechend angestrengte „kämpferische“ Gestik.
Dazu noch ein Zitat von AKK auf dem – „für unser 21. Jahrhundert“ – wichtigsten Informations – und Agitationsmedium Twitter: „Wir haben eine Verantwortung! Die Menschen verlassen sich darauf, dass wir unser Land stark machen. Wenn unser Wertesystem Standard überall in der Welt sein soll, geht das nur mit starkem Deutschland und starkem Europa. Das ist die Verantwortung, die über die CDU hinaus reicht.“ Derlei Worte erquicken das Volk, erwecken allseits Hoffnung, bei den Menschen in Deutschland, bei den gebeutelten Gelbwesten in Frankreich, ja weltweit -, klingen indes nach Merkel: inhaltslos, immerhin in korrekter Syntax.
„Unser Wertesystem“: Interessanter als das, was sich die Katholikin Kramp-Karrenbauer darunter vorstellt, ist was, bei dem politischen Schaulaufen der Jusos – der Truppe, aus der die SPD ihre künftigen leaders rekrutiert – zu hören und zu sehen war. Eine nicht mehr ganz jugendliche Funktionärin ereiferte sich „als Feministin“ für das Recht auf Abtreibung bis zum neunten Monat – nicht etwa neunte Woche – der Schwangerschaft. Der Antrag ging durch, Widerspruch regte sich nur bei einer Gruppierung „Pragmatische Mitte“ (oder so ähnlich). Mit derlei „radikal emanzipatorischen“ Proklamationen empfiehlt sich der Parteinachwuchs im Umfeld von Kevin Kühnert für künftige Führungaufgaben in Deutschland und Europa.
Der SPD ist aus mancherlei Gründen – Übergang zum postindustriellen Zeitalter, volatiles Wahlvolk (nicht nur im „Osten“), Massenimmigration, dürftige Programmatik, charismafreies Führungspersonal, Konkurrenz auf der Linken – das frühere Wählerpotential (Industriearbeiter, untere Mittelschicht, „kleine Leute“) – abhanden gekommen. Wenn sie künftighin bei bei Wahlen nicht über die Prozentzahlen der derzeitigen Umfragen hinauskommt, hat die einstige „Volkspartei“ SPD dies auch ihrem „kämpferischen“, in Wirklichkeit nur noch peinlichen Nachwuchs zu verdanken.
Also doch lieber – faute de mieux – Kramp-Karrenbauer? Kaum. Was längst not tut, wäre die Abkehr von der „unpolitischen Politik“ (Ferdinand Knauss) des Merkelismus. Dessen verantwortungsfreie Konzeptionslosigkeit ist parteiübergreifend.
Quelle: Herbert Ammon